Kampfjets sind genau die richtigen Investitionen für die im Grundgesetz vorgesehene Landesverteidigung. Ursprünglich, nach dem historisch einmaligen Desaster, war in dem Artikel, der sich mit dem Thema befasste, exklusiv nur von der Situation ausgegangen worden, dass die Anwendung militärischer Gewalt dann gestattet sei, wenn das Territorium der Bundesrepublik angegriffen würde.
Die Verformung des Grundgesetzes
1994, vier Jahre nach der Fusion mit dem Oststaat, kam dann eine Passage hinzu, die es erlaubte, im internationalen Kontext friedenserhaltender oder friedensstiftender Maßnahmen Streitkräfte zu entsenden. Der Sturz legitimer Regierungen und die Zerschlagung souveräner Staaten war damit nicht gemeint; darauf lief es in einigen Fällen hinaus.
Seither befindet sich die Politik in einer gravierenden Legitimationskrise. Sie spricht von Frieden, führt jedoch Kriege mit Absichten, die sie nicht öffentlich kommunizieren kann. Regime Change, die logistische Unterstützung von Terroristen, die Luftraumüberwachung bei gezielten Luftschlägen ebenfalls „bedrohter“ NATO-Partner, alles das gehört zum Besteck eines Alltags, der weder mit dem Geist des Grundgesetzes noch mit der öffentlich kommunizierten Politik zu vereinbaren ist.
Dass die gegenwärtige Bundesverteidigungsministerin sich bei dem Kotau gegenüber den USA mit dem Gestus in der Richtung vertan hat, passt zu ihrer insgesamt wirren Performance. Die geplante Beauftragung von Kampfjets aus dem Hause Boing soll eine Loyalität gegenüber einem progressiv pathologisch agierenden US-Präsidenten und dessen Vorstellung einer gedeihlichen Zusammenarbeit in der NATO demonstrieren.
Neue Perspektiven
Beides, die Ministerin wie die NATO passen schlichtweg nicht mehr in die Zeit. Wenn davon gesprochen wird, dass die Welt möglichst schnell eine andere werden soll, wenn sie denn die Existenz von Menschen als Perspektive beinhaltet, verlangt nach neuen Perspektiven.
Wenn die grundgesetzliche Ausgangslage, nämlich der Fall von Bedrohung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, ernst genommen werden soll, dann muss über Maßnahmen gesprochen werden, die tatsächlich der Landesverteidigung dienen.
Alle strategischen und militärischen Überlegungen müssen diesem Ziel folgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die NATO seit Jahrzehnten zu einem Expansionsorgan ausgewachsen hat, deren Ziel es ist, jenseits der eigenen Territorien von USA und BRD Drittstaaten zunehmend zu bedrohen. Die Vision, es potenziellen Gegnern auszutreiben, über einen Angriff auf die Mitgliedstaaten auch nur nachzudenken, könnte der Realität nicht fremder sein als jetzt.
Wenn Bündnisse militärischer Natur, dann nur mit Ländern, die
- a.) in direkter Nachbarschaft liegen und
- b.) ebenfalls mit der Expansion ihres eigenen Einflusses auf andere Länder, deren Souveränität zerstört werden soll, nichts zu tun haben wollen.
Die Aufgabe, die daraus erwächst, ist radikal anders, als die gegenwärtige. Sie verlangt eine Umsteuerung von Politik und Streitkräften. Ihr Vorteil wäre eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Das Ziel der Landesverteidigung ist legitim, die Kumpanei mit der zunehmenden Warlord-Strategie der USA findet keine Zustimmung mehr.
Neue Grundlagen für einen Politikwechsel
Klarheit und Mut wären das Entree zu einer Verteidigungsstrategie, die den Namen verdient. An den Regalen der Waffenlobbies entlangzulaufen und in Panik einzelne Artikel auszudeuten reicht da nicht.
Das mit der Entscheidung für Kampfjets die gegenwärtig Verantwortliche genau eine Waffengattung gewählt hat, die über fremden Territorien zur vollen Entfaltung kommt, ist kein Zufall und zeigt, dass weder die vorliegenden Konzepte noch das verfügbare Personal die Grundlage für einen Politikwechsel bilden können. Was nicht heißt, dass beides nicht möglich wäre oder nicht vorhanden ist.
Es verhält sich wie immer im Leben: Man muss nur wollen, dann finden sich auch Wege und Menschen, die sie beschreiten wollen.
Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
3 Antworten auf „Eine politische Pathologie: Kampfjets für den Frieden?“
Ich finde es unerträglich, wie ein gebildeter Mann die sogenannte Widervereinigung als “Fusion mit dem Oststaat” bezeichnen kann. Dies wertet den gesamten Artikel ab und diskriminiert frühere DDR-Bürger aufs Äußerste. Ich verwahre mich gegen solche völkerrechtswidrigen und beleidigenden Aussagen. Ich unterstütze “Neue Debatte” seit einiger Zeit. Sollten solche Aussagen weiterhin bei euch zu lesen sein, stelle ich diese Unterstützung sofort ein.
Vielen Dank für den kritischen Kommentar zur Verwendung des Begriffs “Oststaat”, zu dem sich der Autor eventuell noch äußern mag. Sie schreiben: “Sollten solche Aussagen weiterhin bei euch zu lesen sein, stelle ich diese Unterstützung sofort ein.” Dieses Ansinnen will erfüllt werden: Stellen Sie bitte ihre Unterstützung unmittelbar ein, vielleicht argumentiert es sich anschließend entspannter, wenn Ihnen klar wird, dass wir nichts verkaufen und uns von niemandem nötigen lassen.
Sehr geehrter Herr Pahl,
die von Ihnen monierte Formulierung war von mir ironisch gedacht. Von Oststaat sprachen in Zeiten des Kalten Krieges Revanchisten, und ich wollte, vielleicht zu esoterisch, darauf hinweisen, dass die Vereinigung doch eher eine Einnahme durch einen Geist des Kalten Krieges war. Ich hoffe, ich konnte das Missverständnis damit ausräumen.
Beste Grüße
Gerd Mersmann