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Coronoia: Allen das Irre!

Suum cuique. Jedem das Seine. Jeder das Ihre. Seit einiger Zeit könnte noch eine andere Variante hinzukommen: Allen das Irre!

Suum cuique. Jedem das Seine. Jeder das Ihre. Seit einiger Zeit könnte noch eine andere Variante hinzukommen: Allen das Irre!

Die einen …

Ja, seit Corona hat sich die Welt verändert. Genau genommen hierzulande seit zwei vollen Monaten. Seitdem sitzen viele zu Hause und inhalieren nicht das Virus, aber die täglichen Journale, Reports, Kommentare und Glossen.

Je länger der Prozess dauert und je erfolgreicher der Versuch wurde, die Ausbreitung des Virus den hiesigen Krankenhauskapazitäten anzupassen, desto wirrer wurden die Reaktionen und Statements, die überall zu lesen und zu hören waren. Und wer wollte und will, der bekommt von allem etwas. Das ist der Vorteil dessen, was viele Demokratie nennen.

Da ist zum einen die offizielle Information von Bundesregierung und dem Robert-Koch-Institut. Beiden ist anzumerken, dass sie ankämpfen gegen den Verdacht, sie besäßen eine zweite Agenda, weil sie Positionen, die sie heute vertreten, manchmal morgen revidieren müssen. Viele hätten es gern eindeutiger. Dass das bei Lernprozessen mit großen Unbekannten nicht geht, wollen viele sich nicht vorstellen. Oder sie können es nicht. Wer weiß.

… und die anderen

Und dann sind da die, die glauben, dass alles sei ein von einigen dunklen Mächten ausgeheckter Plan, um die Welt endgültig unter ihre Knute zu bekommen. Wenn dem so ist, so könnte man sagen, dann sind das ziemlich geniale Freaks, die ohne Waffengewalt in kurzer Zeit das hinbekommen, was vorher weder dem Hunnenkönig, noch dem großen Alexander und auch nicht Napoleon und Hitler gelungen ist. Auch wenn wir dann alle totgeimpft und geschippt werden, um unseren willenlosen Korpus zu steuern, einmal klatschen wird man vorher hoffentlich dürfen, für diesen genialen Putsch.

Und da sind wiederum andere, die seit dem ersten Tag, quasi à jour, sich an alles halten, was es an Rat gibt – und sie werden mit Sicherheit die ganze soziale Dürreperiode überleben. Das ist schon einmal ein Asset. Manche von ihnen werden danach das business as usual suchen, das es dann aber so wie in der Erinnerung nicht mehr gibt.

Andere von ihnen werden sehr genau darauf achten, dass die Ausnahme- und Sonderrechte der Exekutive schnell wieder außer Kraft gesetzt werden, und wiederum eine Gruppe wird nicht mehr merken, dass das Virus besiegt wurde und den Rest ihrer Tage in häuslicher Quarantäne bis zum bitteren Ende verweilen. Auch wenn sie aus dem Radio hören werden, dass sie wieder heraus dürfen – sie werden es für eine Verschwörung halten und schlau zu Hause bleiben.

Masse gibt den Ausschlag

Es wird derzeit viel darüber spekuliert, was sich wohl alles ändern wird, wenn diese ganze Krise auf ihr Ende zusteuert. Es ist spannend, darüber nachzudenken, es ist auf der anderen Seite aber auch gar nicht so schwer, zu Ergebnissen zu kommen. Es hängt nämlich nicht von den Einsichten derer ab, die sich mit allem möglichen beschäftigen, sondern von denen, die in der Masse den Ausschlag geben.

Sie benötigen schon lange keine Priesterkaste mehr, die ihnen die Welt erklärt. Folglich wird es nicht mehr über Parteien laufen, sondern über schnelle Wahrheiten, die sich auf einzelne Punkte beziehen und nicht über komplexe Programme. Auch schon vor Corona war das alles deutlich, die Pest hat diesen Prozess nur noch beschleunigt.

Manche Erscheinungen werden bleiben, vorerst. Es sind die staatlich alimentierten Kommentatoren des Zeitgeschehens, die von allen Jahrgängen, die nach 1986 geboren wurden, gar nicht mehr gehört werden, was aber die Institutionen, für die sie unterwegs sind, noch nicht gemerkt haben. Sie haben, nicht im Gegensatz, sondern im Angesicht der nostradamischen Gegenwelt in dieser Zeit zuweilen einen Unsinn verbreitet, der – ohne Friseur! – haarsträubend war.

Weisheit

Vor wenigen Tagen, morgens beim Bäcker, wo es wunderbares Brot gibt, aber auch eine schlechte Zeitung ausliegt, starrte ich auf die Titelseite, wo eine dieser Kolumnistinnen des medialen Zeitgeschehens abgebildet war. In dem Moment, als ich mir das ansah, rief ein Kunde (mit Maske) mir zu:

“Ja, für Geld tun die alles. Ich weiß, wovon ich spreche. Und ich sage: Alles! Hahaha.”

Während ich schmunzeln musste, da mir bekannt ist, dass der Mann früher eine Größe im Rotlichtmilieu war, kam sein Einwurf nicht gut bei den anwesenden Frauen an. Eine Dame wankte regelrecht und man konnte froh sein, dass sie eine Maske trug, sonst wäre sonst etwas passiert. Nur eine der Frauen hinter der Theke, die immer alles im Griff haben und mit jedem fertig werden, stand seelenruhig hinter der Kasse und brachte den Frieden zurück:

“Es ist immer gut, wenn jemand hier ist, der uns die Welt erklärt!”

Dabei lächelte sie gütig wie die Göttin der Weisheit.



Illustration: Neue Debatte

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Coronoia: Allen das Irre!“

die masse aller leute wird nach covid genauso weitermachen und weiterleben wie vor covid – leiderST ist das so. der mensch ist, in der masse, fast völlig unbelehrbar …
ich sehe mit grausen jetzt zb schon wieder, nach covid, die urlaubsflieger die atmosphäre verseuchen …

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