Es war wieder soweit. Der Qualitätsjournalismus aus dem Hause ZDF hatte seine Ikone Ulf Röller losgeschickt und aus dem Inneren Chinas berichten lassen. Wenn er dort ein- oder herumreist, wissen die Chinesen gleich, was auf sie zukommt. Er kann es sich nämlich nicht verkneifen, mit einer Baseballcap, auf deren Frontseite stolz der Name Hongkong prangt, sich als ein Fan der historisch wohl dunkelsten Seite des britischen Kolonialismus zu outen.
Die Perspektive
Jede Chinesin und jeder Chinese hat in der Schule gelernt, dass das britische Kolonialreich – in einem der dreckigsten Kriege in der Gattungsgeschichte – das Recht auf Drogenhandel und die Belieferung Chinas mit indischem Opium militärisch durchsetzte, um sich dafür gleichzeitig den Hafen Hongkong unter den Nagel zu reißen.
Gut, dass ein deutscher Journalist sich gleich so positioniert. Da wissen alle, der freie Westen kommt ins Haus, und es sicher, er bringt uns die lang ersehnte Perspektive der Demokratie.
Die Bilder, die gezeigt wurden, in dieser Sondernummer des Auslandsjournals [1], zeigten ein China, das von der Coronakrise, die übrigens eindeutig von der Kommunistischen Partei zu verantworten ist, das wirtschaftlich am Boden liegt und dessen Bevölkerung völlig demoralisiert ist. Es wird im Land herumgereist und immer mal wieder jemand interviewt, den der chinesische Shutdown hart getroffen hat, der oder die die Arbeit verloren hat oder auf Investitionen sitzen geblieben ist, die sich nicht amortisieren konnten. Nicht, dass die Existenz solcher Schicksale angezweifelt würde, fraglich ist jedoch, ob sie ein realistisches Abbild dessen geben, was sich in China derzeit tatsächlich abspielt.
Der Rückschluss
Beim betrachten der Reportage störte vor allem der omnipräsente Unterton des Besserwessis, der sich einer permanenten Schadenfreude nicht enthalten konnte und alles, aber auch alles in einer einzigen politischen Verantwortung enden ließ.
Unreflektiert, und darauf setzte das Kompositum des Berichts, konnte man zu dem Schluss kommen, das Ganze wäre ohne das politische System Chinas gar nicht erst passiert. Liegt da auch der Schluss nahe, der Befall des Virus in circa 150 Ländern dieser Erde sei ein Bock, den die chinesische Kommunistische Partei geschossen hat?
Der Rückschluss wäre, zu akzeptieren, dass keine Verschwörungstheorie zu abstrus ist, wenn sie eine Schuldzuweisung auf politische Feinde enthält. Ja, Feinde, denn so, wie das ZDF-Team da über China nicht zum ersten Mal berichtet, existiert kein anderer Begriff, der das Ressentiment besser beschriebe.
Und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, das in guten Zeiten der Profession geforderte distanzierte Auge des Journalismus sei in irgendeinem Gully der geschilderten Märkte mit Reptilien und Meeresgetier beim Ausspritzen verloren gegangen.
Die Lehre
Alle, die wissen wollen, wie schnell man sich den Vorwurf der Verschwörungstheorie einhandeln kann, nimmt die Reportage und die Verdächtigungen, Anspielungen und Bezichtigungen und wendet sie auf bundesrepublikanische Verhältnisse an. Ob es bei dem Vorwurf der Verschwörungstheorie bliebe, ist anzuzweifeln. Es könnte auch zu drastischen Maßnahmen führen, an deren Ende nicht mehr das Recht auf Freizügigkeit steht.
Was daraus zu lernen ist? Verschwörungstheorien sind per se nicht schlecht, solange sie auf politische Feinde angewendet werden. Im eigenen Hause sind sie jedoch ekelerregend. Wer das auseinanderhalten kann, hat nichts zu befürchten.
Quellen und Anmerkungen
[1] ZDF auslangs journal (27. Mai 2020): Inside China – Wie die Pandemie das Land verändert. Auf https://www.zdf.de/politik/auslandsjournal/die-doku-vom-27-mai-2020-100.html (abgerufen am 30.5.2020). ↩
Reden wir miteinander
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Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.