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USA On Fire

Der Protest nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd dokumentiert das Dilemma, in dem sich das politische System der USA befindet.

Manchmal ist es der berühmte Funke. Auch diesmal hat er einen Flächenbrand verursacht. Minneapolis. Eine eher als Routine zu bezeichnende Polizeikontrolle war der Auslöser.

Der Funke

Der zu Kontrollierende, aus welchem Grunde auch immer, George Floyd, wurde von drei Polizisten auf den Boden gezwungen. einer von ihnen kniete sich auf dessen Hals. Und trotz der Bitten des flach auf dem Boden Liegenden, er könne nicht atmen, wurde die brutale Unterwerfungsgeste beibehalten bis der Mann tot war. Dass es sich um einen Afroamerikaner handelte, passte in eine Serie, die seit Jahren zu beobachten ist. Dennoch war das der erwähnte Funke, der überschlug.

Große Teile der Gesellschaft schließen sich derzeit zusammen.
Wer wissen möchte, was seitdem in den USA vonstatten geht, dem sei empfohlen, sich die ununterbrochenen Berichte auf CNN anzuschauen. Der Sender selbst ist in besonderer Weise betroffen, weil vor wenigen Tagen auch vor seinem Gebäude in Atlanta gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten stattgefunden haben [1].

In den großen Städten der USA ist ein Protest entbrannt, der in den hiesigen Medien zumeist als Aufschrei der schwarzen Communities charakterisiert wird, was nicht den Tatsachen entspricht. Seit neun Nächten, in mehr als 30 Städten, und wir sprechen hier von Chicago, New York, Boston, Oakland, Los Angeles, Dallas, Houston, Tulsa, Minneapolis, St. Paul, Miami, Philadelphia, also Städte sehr unterschiedlicher Ethno- und Sozialstruktur, wird in allen Berichten von der großen Diversität der Protestierenden gesprochen.

Das Gemisch

Große Teile der Gesellschaft schließen sich derzeit in einem Aufbegehren zusammen, das auf mehr zielt als auf auftretenden weißen Polizeiterror gegen Schwarze. Auch wenn eine Koinzidenz festzustellen ist: Das Zentrum des Impulses sind zumeist tatsächlich die schwarzen Communities. Und die Ursache wird in den CNN-Berichten auch offen benannt. Neben dem rassistischen Aspekt spielen die auch mit dem Sozialstatus der Afroamerikaner korrespondierenden Todesraten bei der COVID-19-Epidemie eine große Rolle. Vor allem Afroamerikaner sind aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage, sich in einer Weise zu versichern, dass eine adäquate Krankenhausbehandlung abgedeckt wäre.

Der Protest dokumentiert das Dilemma, in dem sich das politische System der USA befindet.
Wie ein Beschleuniger hat die Ausbreitung des Virus gezeigt, wo die Risse in der amerikanischen Gesellschaft zu suchen sind. Vor allem sind es soziale Risse, die zeitweise deckungsgleich mit denen der jeweiligen Ethnie sind.

Das Gemisch, das die wuchtige Protestbewegung derzeit ausmacht, hat Potenzial. Es handelt sich um eine bürgerrechtliche Auflehnung gegen rassistische Polizeigewalt, es handelt sich um eine anti-diskriminatorische Erhebung der Afroamerikaner und es handelt sich um eine soziale Erhebung gegen die ultrakapitalistischen Lebensbedingungen, die sich vor allem im Gesundheitssystem gezeigt haben und zeigen. Wer daran zweifelt, dem seien die Bilder von Hart Island empfohlen, wo derzeit die vielen mittellosen Toten New Yorks in anonymen Massengräbern verscharrt werden [2]. Letzteres hat übrigens dazu geführt, dass in New York der Protest als Folge des Todes von George Floyd an die Beschreibung einer Volksfront reicht.

Die Flamme

In diesem Gemisch vertraut der derzeitige Präsident exklusiv auf die Staatsgewalt. Der bisherige Einsatz der Nationalgarde hat bereits historische Ausmaße [3]. Sollte das nicht ausreichen, so hatte der nicht nur mediale Maniak verlauten lassen, sende er Militär hinzu, was mittlerweile geschehen ist. So wie es aussieht, lässt sich die Flamme nicht mehr austreten.

Der Protest, so wie er sich gegenwärtig generiert, dokumentiert auch das Dilemma, in dem sich das politische System der USA befindet. Eine Alternative zu allem, was Präsident Trump repräsentiert, ist in Joe Biden nicht zu sehen. Die Demokraten haben wieder einmal eine historische Chance verpasst. Sie scheinen sich nicht mehr gemäß der veränderten gesellschaftlichen Strukturen anpassen zu können, genauso wenig wie die Republikaner.

Und in den Kommunen scheint sich eine neue Stimme herauszubilden. Auch das kann man sich in den Reportagen anhören. Da kommen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu Wort, die über eine Qualität verfügen, die die Menschen zu erreichen vermögen. USA On Fire: Da tut sich was.


Quellen und Anmerkungen

[1] CNN (30.5.2020): CNN Center in Atlanta damaged during protests. Auf https://edition.cnn.com/2020/05/29/us/cnn-center-vandalized-protest-atlanta-destroyed/index.html (abgerufen am 2.6.2020).

[2] Auf Hart Island befindet sich der Armenfriedhof von New York. Seit 1869 werden auf der Insel vor allem Obdachlose, unbekannte Tote und verarmte Menschen anonym in Massengräbern verscharrt. Häftlinge erledigen diese Arbeit. Eine Beerdigungszeremonie findet nicht statt.

[3] Kleine Zeitung (1.6.2020): Weiter schwere Ausschreitungen – 15 US-Bundesstaaten mobilisieren die Nationalgarde. Auf https://www.kleinezeitung.at/international/5821064/Weiter-schwere-Ausschreitungen_15-USBundesstaaten-mobilisieren-die (abgerufen am 2.6.2020).


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Illustration: Neue Debatte

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

2 Antworten auf „USA On Fire“

Dazu muß man aber auch noch anmerken, dass der “Brandbeschleuniger” Covid-19 eben nicht nur die Afroamerikaner hart getroffen hat. Die Konsequenzen ziehen sich durch die gesamte Unter- und Mittelschicht, egal welcher Hautfarbe.
Allein die Zahl der Amerikaner, die nur durch Covid arbeitslos wurden wird auf 10-20 Millionen geschätzt, und – wie richtig angemerkt – für die meisten bedeutet das zugleich den Verlust jeglicher Krankenversicherung.
Darüber hinaus ist ein Jobverlust in den Staaten auch sozial viel gravierender. Viel häufiger als hier müssen Kredite bedient, Hypotheken abbezahlt, Rücklagen für “schlechte Zeiten” (haha) oder fürs Alter gebildet werden. Das ist die Kehrseite des weit verbreiteten amerikanischen Anspruchs, dass der Staat sich bitte aus dem Privatleben der Bürger heraushalten soll.
Ausserdem ist die Zahl der Bedürftigen bei den Essensausgaben enorm hochgeschnellt. Und da trifft es eben auch nicht nur die Afroamerikaner. Es gibt z.B. Bilder von “drive-through food banks”, bei denen typische weisse Mittelschichtler im Wagen vorfahren. Prognosen gehen davon aus, dass sich die Zahl derer, die nicht wissen, “wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen” bis Jahresende auf 50 Millionen erhöhen wird!
Alles zusammen also gewaltiger sozialer Sprengstoff und wohl eben – neben berechtigter Wut über Polizeigewalt – ein Grund dafür, dass an den Protesten so viele “Nicht-Schwarze” beteiligt sind.

Vielen Dank den Kommentar und den Hinweis auf die Prognose zur Zahl derer, die nicht wissen, wo die nächste Mahlzeit herkommen soll. Könnten Sie dazu eine Quelle nennen, um das Thema zu vertiefen?

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