Im Mittelpunkt des Romans Ragtime von E. L. Doctorow [1] steht eine wohlhabende Familie aus New Rochelle, New York. Die Figuren beschreibt Doctorow schlicht: Vater und Mutter, der jüngere Bruder der Mutter, der Großvater und der Junge, der kleine Sohn von Vater und Mutter. Vielleicht ist er der Erzähler, der Ereignisse aus seiner Kindheit beschreibt, aber das wird nicht wirklich klar.
Historische Persönlichkeiten säumen den Roman: J. P. Morgan [2], die Schauspielerin Evelyn Nesbit [3], Henry Ford, der berühmte Entfesselungskünstler Harry Houdini oder Emma Goldman [4], eine der herausragenden Persönlichkeiten der US-amerikanischen Friedensbewegung und des Anarchismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die tragische Rolle nimmt der Afroamerikaner Coalhouse Walker ein. Sein Name (aber auch sein Handeln) erinnert an die Figur des Michael Kohlhaas aus der gleichnamigen Erzählung von Heinrich von Kleist. Der professionelle Musiker, immer gut gekleidet und ausgestattet mit einer gepflegten Sprache, gewinnt den Respekt der Familie und überwindet ihre Vorurteile. Am Ende seines Weges, auf dem er soziale Gerechtigkeit mit der Brechstange der Rache zu finden sucht, wartet auf Coalhouse der gewaltsame Tod.
Quellen und Anmerkungen
[1] Edgar Lawrence “E. L.” Doctorow (1931- 2015) war ein Schriftsteller und Publizist aus den USA. Vor allem durch seine Romane Ragtime (1975) und Billy Bathgate (1989) wurde er in Deutschland bekannt. Ragtime wurde 1981 von Miloš Forman verfilmt. ↩
[2] John Pierpont Morgan (1837 – 1913) war ein US-amerikanischer Unternehmer. Er zählte zu den einflussreichsten Privatbankiers. ↩
[3] Evelyn Nesbit (1884 – 1967) war eine US-amerikanische Schauspielerin und Modell. Bekannt wurde sie durch ihre Verwicklung in den Mord an dem Architekten Stanford White, der zeitweise ihr Geliebter war. ↩
[4] Emma Goldman (1869 – 1940), geboren im Russischen Kaiserreich, emigrierte mit 17 Jahren in die USA (New York). Sie arbeitete in einer Textilfabrik, heiratete später einen Arbeitskollegen und erhielt so die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Hinrichtung von vier Anarchisten nach dem Haymarket Massacre politisierte Emma Goldman. Am 1. Mai 1886 begann ein von den Gewerkschaften organisierter landesweiter mehrtägier Streik, um eine Verringerung der täglichen Arbeitszeit von zwölf auf acht Stunden durchzusetzen. Auch in Chicago wurde die Arbeit niedergelegt. Am 3. Mai schritt die Polizei ein. Zahlreiche Arbeiter wurden verletzt, sechs erschossen. Am 4. Mai kam es erneut zu Protesten. Eine Bombe wurde in die Menge geworfen. Sie tötete zahlreiche Personen, darunter einen Polizisten, weitere Polizisten starben später an ihren Verletzungen. Die Polizei feuerte wahrlos in die Menge und tötete eine unbekannte Zahl an Menschen. Wer die Bombe warf, wurde nie abschließend geklärt, dennoch wurden acht Männer, die den Streik mitorganisiert hatten, angeklagt und für schuldig befunden. Die Ereignisse gingen als Haymarket Massacre in die Geschichte ein. Sie begründeten die Tradition der Gewerkschaften und der internationalen Arbeiterbewegung, den 1. Mai als Kampftag der Arbeiterklasse zu begehen. Goldman wurde Anarchistin und bedeutende Friedensaktivistin. Als feministische Theoretikerin setzte sie wichtige Akzente. 1893 wurde sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sie hatte es gewagt, Arbeitslose öffentlich dazu aufzufordern, nach Arbeit zu verlangen. Texte von Emma Goldman finden sich als Übersetzung u.a. in der Anarchistischen Bibliothek auf https://anarchistischebibliothek.org/category/author/goldman-emma und im Archiv von www.anarchismus.at (Links abgerufen am 14.6.2020). ↩
Informationen zum Buch
Ragtime
Autor: Edgar Lawrence “E. L.” Doctorow
Genre: Historischer Roman
Sprache: Deutsch
Seiten: 336 Seiten
Veröffentlichung: 2011 (erstmalige englischsprachige Veröffentlichung 1974)
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04319-8
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Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.