Goddamn! Jetzt liegt der Churchill im Bassin! Natürlich nicht er, sondern seine Statue. Der Charismatiker, der es als letzter vermocht hat, das fallende Empire noch einmal zu einen im Kampf gegen Hitlers Großmachtpläne zu stellen. Keep calm and carry on! Mit dem Slogan [1] appellierte er an die Briten, die noch etwas gaben auf ihre Nation. Es ging denen, die er motivieren konnte, nicht um das Empire, es ging um ein Überleben in Selbstbestimmung.
Imperialismus, Rassismus und Antikommunismus
Diejenigen, die das längst untergegangene Empire repräsentierten, sie zählten zu seinen größten Gegnern. Sie hätten, so bezeugen es die historischen Dokumente, lieber mit den Deutschen verhandelt, weil sie nicht mehr an die Widerstandsfähigkeit des eigenen Landes glaubten. Churchill, der große Rhetoriker, hat es vermocht, noch einmal zu mobilisieren. Das Bild, das in den Geschichtsbüchern steht, zeugt von dieser Leistung, aber es zeigt auch rigorose Seiten, wie das Zitat, in dem er nach dem großen Krieg bedeutete, man habe mit den Deutschen das falsche Schwein geschlachtet. Gemeint waren die Russen, sie waren die neue Bedrohung.
Imperialismus, Rassismus und Antikommunismus waren in Großbritannien nichts Neues. Das war immer die Grundlage des Empires. Dass das jetzt auffällt, innerhalb der alten Mauern von GB, ist bemerkenswert.
Dass sich die Nachfahren derer, mit denen man weltweit Handel als Arbeitssklaven trieb, deren Länder man entbeinte wie gares Geflügel, dass sich diese Nachfahren jetzt erheben und Hatz auf alles machen, was historisch den Rassismus und Kolonialismus verkörpert, kommt spät. Denn die Zeiten, wo das in dem Ausmaß betrieben wurde, wie es die Figuren, die jetzt vom Sockel fallen symbolisieren, sind aus britischer Sicht lange vorbei. Die ideellen Nachfahren derer, die mit der Peitsche in Indien und mit Opium in China ihre Geschäfte betrieben, sitzen heute in Glas-Stahl-Komplexen und blicken über eine klinisch reine City of London auf den Horizont der Finanzmärkte. Auch sie verwüsten den Planeten, nur eben unsichtbarer und smarter.
Das kollektive Gedächtnis
So ungerecht ist die Welt. Und so geht es weiter. Dass jedoch ein Land, dass den Falkland-Krieg gegen Argentinien noch im euphorischen Blutrausch begleitete, eine Sekunde innehält und die Symbole der alten imperialen Glorie zertrümmert, weil sich andere Nachkommen von Arbeitssklaven jenseits des Atlantiks gegen alltäglichen Terror zur Wehr setzen, verweist auf etwas, das die herrschende Geschichtsschreibung eigentlich nicht vorsieht: das kollektive Gedächtnis.
Dass die Angst tief sitzt, zeigten dieser Tage, als der überschwere Churchill vom Sockel stürzte, Bilder aus dem überseeischen New York. Dort, in Manhattan, hatten die Eigentümer der großen, etablierten, glänzenden Geschäfte ihre Auslagen in Sicherheit gebracht und alles vernagelt. Die Angst ist berechtigt und sie zeigt, dass nicht nur die, die jetzt aufbegehren, sondern auch die, die sich davor fürchten, in ihrem kollektiven Gedächtnis auch die Seiten aufbewahrt haben, die in den offiziellen Geschichtsbüchern nicht stehen und die zu der dunkeln Seite ihrer Zivilisation gehören. So wie es aussieht, stehen in den Bilanzen, um die es gerade geht, nicht Soll und Haben, sondern Zorn und Schuld.
Quellen und Anmerkungen
[1] RotFuchs (219/April 2016): Churchills Fulton-Rede war nach 1945 die erste offene Kampfansage an die UdSSR – “Wir haben das falsche Schwein geschlachtet”. Auf http://www.rotfuchs.net/rotfuchs-lesen/wir-haben-das-falsche-schwein-geschlachtet-2183.html (abgerufen am 16.6.2020). ↩
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Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.