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Meinung

Der Crash, die Oligarchen und der Aufstand

Der Kapitalismus ist kein Rätsel. Aber wenn ein Satz stimmt, dann der, dass die Aussicht auf Gewinn alles in Bewegung setzt.

Nun haben sie wieder Konjunktur. Die Auguren des Crashs. Sie sagen voraus, so etwas hätte die Weltwirtschaft noch nicht gesehen. Massenarbeitslosigkeit! Inflation! Insolvenzen! Eine gigantische Umverteilung des Reichtums!

In allem, so die Erfahrung aller, die bereits Weltwirtschaftskrisen erlebt haben, haben sie Recht. Also, warum sind sie so darauf aus, jetzt ihre Botschaften zu verkaufen? Richtig, sie wollen etwas verkaufen. Sehen Sie genau hin! Real Estate oder Edelmetalle. Willkommen in der Geheimwissenschaft!

Der Kapitalismus ist kein Rätsel. Seine Funktionsweise, seine Produktivität, seine Radikalität, seine Destruktivität. Wenn ein Satz stimmt, dann der, dass die Aussicht auf Gewinn alles in Bewegung setzt. Und diese Aussicht ist aus Sicht derer, die vielleicht am besten als Weltoligarchen bezeichnet werden müssen, das westliche, wesentlich potentere Derivat des Oligarchen – schwindelerregend. Die Kehrseite ist massenhafte Verelendung. Daran ändert sich nichts. Und da nützen auch wenige Unzen Gold nichts, die im Schuhschrank versteckt sind.

Kadaver in den Flüssen

Was schmerzhaft bewusst wird in diesen Tagen, ist die millionenfache Liquidierung von Quertreibern in der ganzen Welt. Seit dem mutigen wie verwegenen Versuch einiger Visionäre, die sich im indonesischen Bandung trafen, um die damals so genannte Dritte Welt zu einer Bewegung der Blockfreien [1] zu einen, schlug das Imperium zurück. Es entwickelte ein Narrativ, dass da lautete, ein Putsch seitens der Linken sei in Vorbereitung, oder ein fingierter war kläglich gescheitert, um das vorher unterstützte und gehätschelte Militär in Handlung zu bringen. Und die hieß: Ermordung aller, die das Stigma des Kommunismus an sich hatten.

In Indonesien waren es gleich Millionen, die als Kadaver in den Flüssen trieben. Es folgten viele Länder: Guatemala, Brasilien, Chile, Argentinien. Überall verschwand alles, was nach Opposition roch, wurde von Todeschwadronen abgeholt, gefoltert und umgebracht. Die Annalen sind eine Katastrophe.

International wurde das Narrativ von den Putschisten hoffähig und kursiert bis heute. Die erfolgreiche Diffamierung aller, die nach einem Weg jenseits des Kapitalismus suchten, hat diese in die Defensive gebracht. Warum auch immer, sie suchten und suchen immer wieder zu beweisen, dass sie keine Terroristen sind. Der millionenfach dirigierte und instruierte Massenmord des siegreichen Systems steht dagegen. Und dennoch: die politische Formation einer Opposition ist verschwunden. Triumphalismus ist jedoch, so der sanfte Hinweis, deplatziert.

Widerstand und Aufstand aus dem Bauch

Obwohl wir uns erst am Beginn der Krise befinden, wird eines deutlich. Dass nämlich eine politisch koordinierte Opposition, die denen, denen es jetzt wieder an den Kragen geht, einen Weg weisen könnte, nicht vorhanden ist. Stattdessen kommt der Widerstand aus dem Bauch. Er ist unartikuliert. Dennoch ist er mächtig. Die wahren, heftigen und erschütternden Auseinandersetzungen zwischen dem alten Staat und dem sozial unkoordinierten Aufstand finden seit über einem Jahr in Frankreich statt und sie explodieren derzeit in den USA.

Was sich dort abspielt, sprengt alles, was bisher in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt wurde. Deshalb wird es nicht gezeigt. Stattdessen wird suggeriert, dass die hier feuilletonistisch geführten Mittelstandsdebatten das widerspiegelten, was sich im nahen und fernen Westen abspielt. Tut es aber nicht. Manhattan ist komplett vernagelt und in Paris sind es nicht mehr nur die Mittellosen, die da demonstrieren, sondern so manche Berufsgruppen, die als systemrelevant eingestuft werden – und, zu allem Elend, pfeift die Boheme aus den Straßencafés die Schlägertrupps der Polizei aus.

Welche politischen Konsequenzen das haben wird, weiß niemand. Die Akteure nicht, die Parteien nicht. Man sollte genau hinsehen, mit wem die Weltoligarchen, das heißt die, die auf der Liste der Reichsten dieses Planeten stehen, anbandeln.

Sozialer Aufstand und Revolte in Chile 2019. (Foto: Materiales x La Emancipaciòn)
Sozialer Aufstand und Revolte in Chile 2019. (Symbolfoto: Materiales x La Emancipaciòn)

Quellen und Anmerkungen

[1] Die Bewegung der Blockfreien Staaten, die sich 1961 auf ihrer ersten Sitzung in Belgrad konstituierte, ist eine internationale Organisation von Staaten, die sich im Ost-West-Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg neutral verhielten und keinem der beiden Militärblöcke angehörten. Die Gründung der Organisation ging auf eine Initiative des jugoslawischen Präsidenten Tito (Josip Broz), des ägyptischen Staatschefs Gamal Abdel Nasser, des indischen Premiers Jawaharlal Nehru und des indonesischen Präsidenten Sukarno zurück. Mehr Informationen auf https://de.wikipedia.org/wiki/Bewegung_der_Blockfreien_Staaten (abgerufen am 2020).


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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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