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Immigriertes Unternehmertum

Es ist kein Zufall, dass bestimmte Branchen von Menschen aus einem bestimmten Ethno-Sozio-Milieu beherrscht werden. Daran wurde sich nicht nur gewöhnt, sondern es wird kaum noch bewusst wahrgenommen.

Es ist kein Zufall, dass bestimmte Branchen von Menschen aus einem bestimmten Ethno-Sozio-Milieu beherrscht werden. Daran haben wir uns nicht nur gewöhnt, sondern wir nehmen es kaum noch bewusst wahr.

Der italienische Friseur ist normal, zu dem geht auch Tante Milly aus der Nachbarschaft. Genauso wie der Rentner wie selbstverständlich den polnischen Klempner ruft, wenn die Rohre spucken. Die türkischen Müllmänner nehmen die meisten kaum zur Kenntnis, genauso wie die vielen Bulgaren auf dem Bau.

Und die Rumänen in der Fleischindustrie wären immer noch die unbekannten Soldaten auf dem tödlichen Arbeitsmarkt, wäre da jetzt nicht die Koinzidenz mit Corona, die den dort lebenden Deutschen den Urlaub versaut, während sie hinter Zäunen gehalten werden, die inklusive der Behausungen an eine antiquierte Diktatur erinnern.

Nicht erwähnt sind die verschiedenen Zweige der Gastronomie. Dort treffen wir auf die ganze Buntheit unseres Planeten und die Konsumenten schätzen es. Dass diese Betriebe zumeist nach dem Familien- oder Clan-Modell geführt werden, macht sie ökonomisch robust und verschafft ihnen einen gewissen Vorteil gegenüber allen, die sich auf reinen Vertragsverhältnissen bewegen oder bewegen müssen.

Kolportierte Ressentiments

Was oft in Vergessenheit gerät, ist die Geschichte dieser längst etablierten Branchen in der mehr oder weniger dominanten Hand bestimmter Ethnien. Denn so lustig war das für die Pioniere nicht. Die ersten italienischen Friseure hatten zunächst nur italienisches Publikum und viele Deutsche in den 1960iger Jahren kolportierten mit schauriger Wonne, dort bekäme man bei der Rasur eiskalt die Kehle durchgeschnitten.

“Ganz unten, wo im wahren Sinne des Wortes die Schweinearbeiten erledigt werden, da waren und sind schlecht bezahlte Gäste immer willkommen.”
Bei den Tätigkeiten, die mit schwerer körperlicher Arbeit zu tun hatten, da war man hierzulande nicht so picky. Wer den Müll abholte oder in die Bergwerke einfuhr, der sollte nur still sein, dann war alles gut. Die kolportierten Ressentiments hingegen zogen sich durch jede Generation neuer Angebote. Die Chinesen verarbeiteten Ratten, die Türken benutzten Gammelfleisch, die Griechen verwursteten alte Esel und Ziegen und bei den Anbietern aus dem Nahen Osten wie überall sonst auch war die Hygiene immer ein Thema.

Die Geschichte von einer gesicherten Monokultur direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ist in Bezug auf die Heterogenisierung der Gesellschaft interessant wie spannend. Für diejenigen, die als Erste den Schritt wagten, aus einem erwarteten Arbeitssklavendasein ins freie Unternehmertum zu treten, waren es harte Zeiten, in denen ihnen Hass und Skepsis entgegenschlugen.

Unternehmertum trifft Nerv

Das Erstaunliche bei gerade dieser Entwicklung ist jedoch, dass ausgerechnet beim rassischen oder kulturellen Ressentiment durch den Markt, in dem Angebot und Nachfrage das Paradigma ausmachen, vieles geregelt wurde. Niemand – halt, manche doch! – sehnt sich nach Zeiten der Monokultur zurück. Vieles ist etabliert und hat die Gesellschaft bereichert, auch wenn eine Betrachtung leider immer unterblieb: ganz unten, wo im wahren Sinne des Wortes die Schweinearbeiten erledigt werden, da waren und sind schlecht bezahlte Gäste immer willkommen.

Und es scheint zu den Gesetzen dessen zu gehören, was so gerne Integration genannt wird, dass, wenn entweder ein neues immigriertes Segment in neue Branchen vordringt oder in alten eine neue Stufe der Exklusivität erreicht, dass das Geschrei wie beim ersten Mal sehr groß ist und der ganze Tross von Ressentiments polternd durchs Dorf fährt. Dann wird nach den deutschen Tugenden gerufen und den deutschen Bedürfnissen, die, sollten die Fremden das Genre übernehmen, unter den Tisch fielen und nicht mehr befriedigt werden.

Aber das regelt der Markt. Die Angebote werden genutzt und geschätzt. Warum? Weil sie den Nerv treffen. Das ärgert die dilettantischen Kaufleute, die schon immer hier waren.


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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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