Um Gesellschaften vergleichen zu können, ist es immer ratsam, so etwas wie sein soziales, wirtschaftliches und kulturelles Profil zu erstellen. Diese Daten sind wiederum nicht zu verstehen, wenn kein historischer Bezug zu dem hergestellt wird, wie sich das Land gegenwärtig präsentiert. Alles, Kultur wie auch Wirtschaft, Politik und Vorstellungswelt resultiert aus dem geschichtlichen Lauf, den ein Land genommen hat.
Statik und Mobilität
Solange man eine solche Übung bei Ländern unternimmt, zu denen man aufgrund der eigenen unmittelbaren Erfahrung keinen Bezug hat, geht das leicht von der Hand und fühlt sich an wie eine seminaristische Übung. Nimmt man sich einem selbst bekannte Länder vor, bemerkt man, wie die eigene subjektive Erfahrung sich immer wieder meldet und beansprucht, sich da einmischen zu können und die eigenen, winzigen Partikel der eigenen Erfahrung zu Hauptkapiteln aufzubauschen. Und, geht es erst um das eigene Land, dann gibt es in dieser Hinsicht kein Halten mehr.
Meines Erachtens existieren statische wie mobile Gesellschaften, die sich in ihrer Mentalität gravierend voneinander unterscheiden. Die Tatsache, dass dem so ist, kann bei genauerem Hinsehen nicht geleugnet werden. Die Erklärung, wie es dazu kam, ist nicht eindeutig. Das Agrarische als Ursache für die Statik zu nehmen trifft genauso wenig wie das Händlerische für die Mobilität zu. Häufig ja, aber nicht immer. Entscheidend ist die Tatsache dass.
Statische und mobile Gesellschaften
In der Vorstellungswelt statischer Gesellschaften findet Geschichte überall so statt wie in der eigenen, vice versa1 In der gleichen Weise zutreffend (in Bezug auf einen Sachverhalt, ein Verhältnis).. Folglich ist die Kommunikation so kompliziert wie zwischen Deutschland und den USA. Es handelt sich bei beiden Ländern um Prototypen.
Das Gen der deutschen Gesellschaft ist, historisch, die Sesshaftigkeit, das der nordamerikanischen die Mobilität. Dass letztere sich aus denen aus dem Reich der Sesshaften rekrutierte, gehört zu den Regiegeheimnissen des geschichtlichen Dramas.
Der eigentlich Clou besteht in der Mentalität, die ihrerseits für die Gestaltung verantwortlich ist. In der statischen Gesellschaft ist die Diskussion über etwas Neues immer beladen mit dem Ballast, ob das, was man vorhat, auch für die Ewigkeit Bestand hat. Und alles, was nicht zu dieser Kategorie der Diskussion gehört, wird eher vernachlässigt.
In der mobilen Gesellschaft dagegen werden Provisorien von großer Qualität angestrebt, während die finalen Fragen der eigenen Existenz eher ausgeblendet werden. In der statischen Gesellschaft herrscht das Paradigma der harten Grundsätzlichkeit, in der mobilen der entspannte Pragmatismus.
You can’t go home again
Gehen Sie in Deutschland, der statischen Gesellschaft, auf Reisen und Sie werden erleben, in welchen Zustand die Orte sind, wo sich Reisende aufhalten. Und machen Sie es dann ganz bewusst in den USA. Da treffen sich Erste und Dritte Welt, da ist die statische Gesellschaft die dritte, nicht aus materiellen, sondern aus ideellen Gründen.
In der mobilen Gesellschaft ist das Reisen ein Dauerzustand, der gut gestaltet sein will und Annehmlichkeit verbreitet. In der statischen Gesellschaft ist Reisen ein notwendiges Übel, dass man schnell hinter sich bringen will. Und in der statischen Gesellschaft, da besingt man, ganz romantisch, die alte Heimat. Während es in der mobilen ganz geschäftsmäßig heißt: You can’t go home again.
Reden wir miteinander
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Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.