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Meinung

Zur Relativierung von Menschlichkeit

Wahrheit wie Menschlichkeit haben einen Wesenszug gemein: Sie lassen sich nicht relativieren. Wer das glaubt, tanzt Arsch an Arsch mit dem Beelzebub.

Es wird kolportiert, dass Liz Mohn [1], ihrerseits die Herrscherin über das Bertelsmann-Imperium, vor gut zwei Wochen durch die Stabsetagen im Hauptquartier lief und ganz bestürzt rief, das sei alles ganz schrecklich, furchtbar schrecklich, und die Margit, die sei den ganzen Tag am Weinen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, versiert in der Gütersloher Gesellschaft, wussten, wer gemeint war.

Das Elend

Es ging um Margit Tönnies, die Frau des Fleischkönigs, und die konnte das Malheur, das in den Schlachthallen des eigenen Betriebs seinen Ausgang hatte, nicht verwinden [2]. Margit weinte, und Liz hatte Mitgefühl.

Bitte nicht lachen! Die Episode ist todernst. Weil sie zeigt, dass die Ausdifferenzierung von Menschlichkeit eine Dimension angenommen hat, die vernünftiges gesellschaftliches Handeln nahezu unmöglich macht.

Im Hause von Liz Mohn war noch 2019 ein Gutachten veröffentlicht worden, das vorschlug, die Hälfte aller Krankenhäuser in der Republik zu schließen, um die Versorgung zu verbessern [3].

Man stelle sich vor, das wäre vor Corona umgesetzt worden. Wie stünde die Politik nun da? Spräche sie immer noch von den wunderbaren Bedingungen in diesem Land?

Die Berichte über die Arbeitsbedingungen in besagtem Fleischkonzern, die nun produziert wurden und die es lange vor dem Infektionsskandal gab, zeigen, dass da vorbei an Tarifen und Vorschriften mit dem Elend osteuropäischer Menschen ein Sklavensystem aufgebaut wurde, das unbeschreiblich, aber wahr ist. Analog geht es auf dem Bau in vielen Bereichen zu.

Das System

Bei aller Empörung über die Einzelfälle sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich dabei um ein klar gegliedertes System handelt. Da sind tatsächlich nicht einige Akteure zu dämonisieren, sondern da muss einer Politik die Rote Karte gezeigt werden, die das alles bewusst inszeniert.

Die Ost- und Südexpansion der EU diente dazu, neue Märkte vor allem für die deutsche Exportindustrie zu schaffen. Um die Nachfrage zu stimulieren, wurden großzügig Kredite ausgegeben – für die letztendlich das Gemeinwesen haftete -, die zum Kauf von LKWs, Waffen, Bussen und Luxusgütern verwendet wurden.

Die mit der EU-Aufnahme verbundene Freizügigkeit verursachte eine Arbeitsmigration, die noch dazu genutzt wurde, die Lohnkosten vor allem in Deutschland brutal zu drücken. Die sozialen Kosten für diese Immigration überließ man hingegen wieder den Kommunen. Ein einfaches, durchschaubares System, dessen Ende in Sicht ist.

Die Relativierung

Es ist also nicht so, dass der ostwestfälischen Fleischbaron ein Einzelfall ist. Sollten sich Ressentiments gebildet haben, so wäre es ein Akt der Gerechtigkeit, diese nicht nur auf die Familie der bemitleidenswerten Margit zu richten, sondern konsequenterweise auf das politische Programm, das dahinter steckt.

Die Profiteure dieser Politik sind keine schlimmeren Bösewichter, und jetzt kommt die geplante Unverschämtheit, als der Rest. Sie sind einerseits kühl positionierte Rechenmaschinen, die in der Lage sind, das Menschliche für eine Weile auszublenden.

Geht es jedoch um die eigenen Belange, dann erhält das Menschliche durchaus wieder Einzug.

Die genannte Ausdifferenzierung, die findet übrigens auch bei denen statt, die sich nun, punktuell, über die Ereignisse auf dem Schlachthof echauffieren. Black Lives Matter! Allerdings nur in den USA. Oder weint ihr ebenso herzzerreißend über die Toten im Mittelmeer oder in den von Banden verwalteten KZs in Libyen? Und Ihr besitzt die Chuzpe, über Liz Mohn und Margit Tönnies zu lachen?

Wahrheit wie Menschlichkeit haben einen Wesenszug gemein: Sie lassen sich nicht relativieren. Wer das glaubt, tanzt Arsch an Arsch mit dem Beelzebub.


Quellen und Anmerkungen

[1] Elisabeth Mohn (Jahrgang 1941)ist Vorsitzende der Gesellschafterversammlung und des Lenkungsausschusses der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, Mitglied der Aufsichtsratsgremien von Bertelsmann sowie stellvertretende Vorsitzende des Vorstands und des Kuratoriums der Bertelsmann Stiftung. Sie ist Ehrenbürgerin der Stadt Gütersloh. Auf https://de.wikipedia.org/wiki/Liz_Mohn (abgerufen am 2020).

[2] BBC (23.6.2020): Who is Germany’s ‘meat baron’ Clemens Tönnies? Auf https://www.bbc.com/news/world-europe-53152724 (abgerufen am 17.7.2020).

[3] Bertelsmann-Stiftung (15.7.2019): Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich. Auf https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/eine-bessere-versorgung-ist-nur-mit-halb-so-vielen-kliniken-moeglich/ (abgerufen am 17.7.2020).


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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Zur Relativierung von Menschlichkeit“

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