Manchmal sind die Werke bestimmter Autoren so bahnbrechend, dass sie automatisch für den gesamten Schaffensprozess genommen werden. Bei Jürgen Lodemann, der auf sehr vielseitiges Schreiben zurückblicken kann, hat sicherlich “Der Mord” dazu beigetragen, ihn mit der literarischen Aufarbeitung der urdeutschen Siegfried-Saga zu identifizieren [1].
Salamander
Kennerinnen und Kenner wussten vielleicht noch, dass er auch mit dem Lynch-Roman als versierter Autor von irischer Geschichte gelten konnte. Aber, ein Roman im Hier und Jetzt? Ja, da gab es ganz früh schon “Essen Viehofer Platz”, aber war das nicht einfach nur Vergangenheitsbewältigung? Es fällt auf, ganz so einfach ist es doch nicht mit Jürgen Lodemann.
Und das wird er wohl gewusst haben, als er den Roman “Salamander” schrieb, der 2011 zum ersten Mal erschien. Es ist ein Roman, der im zeitgenössischen Deutschland spielt. Genauer gesagt, geographisch, in Freiburg. Und noch genauer, im Viertel Vauban, ehemals Kasernen- und Militärfläche der Franzosen, dann, nach deren Abzug, umgewandelt zu wohl der Blaupause für alternatives und ökologisches Wohnen in der Republik.
Das Konstrukt des Romans ist so einfach wie gekonnt. Es beginnt mit einem Mord, der in dieser Wohnung begangen wurde. Der Erzähler war nicht dabei, sondern kam, als die ermittelnde Polizei bereits dort war. Dem Erzähler sind die Personen, die dort anwesend waren, jedoch bekannt und er wird aufgefordert, sich zu erinnern. Jedes Detail sei wichtig. Und er bekommt dafür Zeit.
Da es sich, welch Zufall, um einen Autor handelt, der sehr starke biografische Züge zum eigentlichen Autor aufweist, erhält Lodemann Gelegenheit, seine Sicht auf die Welt und ihre Widersprüche, Dilemmata und Ergötzlichkeiten in aller Breite zu entwickeln.
Panorama
Die erzählerische Chronologie springt zwischen Rückbesinnung, die darin besteht, welche Gespräche der Autor mit den am Mord beteiligten Akteuren geführt hat, und aktuellen Mahnungen der ermittelnden Behörden, wie es um seinen Bericht steht. Anhand der Aktionsfelder der Figuren entsteht so ein Panorama der zeitgenössisch virulenten Themen.
Es geht um Digitalisierung und ihre Anwendung im Bereich der Spionage- und Militärtechnik, es geht um Strategien dagegen, es geht um alternativen Städtebau und Wohlstandsghettoisierung. Es geht um Lortzing und seine Oper Regina [2], es geht um sexuelle Libertinage und um Diversität, es geht um das Schreiben als Profession, es geht um die Melange von Geschäft und Politik. Es geht um unterschiedliche Lebensfelder wie Hamburg, Berlin, das Ruhrgebiet und eben jenes Freiburg. Es geht um Emigration und Immigration und es geht um den gefühlt ewig währenden Konflikt zwischen Orient und Okzident.
Das alles kommt im Laufe der Erzählung, alles andere als überfrachtend, auf die Leserschaft zu. Sie wird belohnt mit einer starken Dosis der eigenen jüngsten Kulturgeschichte.
Lodemann
Der Erzähler ist ein parteiischer, aber kein doktrinärer, denn er sieht immer die beiden Seiten der Medaille. Lodemann ist ein kluger, überaus kluger Erzähler, der weiß, wann es Zeit ist, um eine Sache beschaulich zu durchleuchten, und wann die Handlung wie ein Blitz präsentiert werden muss. Wer das Leben, wie wir es hier und heute vorfinden, mit seinen Widersprüchen und Absonderheiten akzeptiert, bekommt mit “Salamander” ein großartiges episches Zeugnis.
Informationen zum Buch
Salamander: Ein Roman
Autor: Jürgen Lodemann
Genre: Roman
Sprache: Deutsch
Seiten: 380 Seiten
Veröffentlichung: 2011
Verlag: Klöpfer & Meyer
ISBN-13: 978-3-86351-013-8
ISBN-10: 3-86351-013-5
Quellen und Anmerkungen
[1] Jürgen Lodemann (Jahrgang 1936) ist Fernsehjournalist und Schriftsteller. 1975 rief er Als Literaturredakteur des Südwestfunks rief er Mitte der 1970er Jahre eine von Literaturkritikern ermittelte Bestenliste ins Leben. Sie bildet eine qualitative Alternative zu den kommerziellen Bestsellerlisten. Lodemann veröffentlicht vor allem Romane, deren Schauplatz das Ruhrgebiet oder Irland sind. Außerdem verfasst er Reise-Reportagen und Opernliteratur, deren Gegenstand insbesondere der Komponist Albert Lortzing ist und der Nibelungenstoff. Sein Irland-Roman “Lynch und das Glück im Mittelalter” erschien 1976, das Werk “Der Mord. Das wahre Volksbuch von den Deutschen” erschien 1995. Der Roman “Essen Viehofer Platz” wurde 1985 im Verlag Klartext veröffentlicht. Homepage www.jürgen-lodemann.de (abgerufen am 19.7.2020). ↩
[2] Regina ist eine Oper in drei Akten von Gustav Albert Lortzing (1801-1851), einem Komponisten, Librettisten, Schauspieler, Sänger und Dirigenten. Lortzing gilt als ein wichtiger Repräsentant der deutschen Spieloper, einer Variante der Opéra comique. Die Oper Regina gilt als romantisch-politische “Freiheitsoper”. Eine Fabrik ist der Schauplatz, streikende Arbeiter, die über die Freiheit singen, sind die Hauptakteure. Die Oper entstand bereits 1848, war aber aus politischen Gründen unerwünscht und wurde stark bearbeitet erst 1899 uraufgeführt. ↩
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Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.