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Meinung

Belarus, die Seidenstraße und der FC Bayern

Der geostrategische Stellenwert von Belarus hat sich durch die neue Seidenstraße dramatisch erhöht. Dadurch steht aber auch die politische Stabilität infrage.

Belarus ist zu einem wichtigen Baustein der von China initiierten und betriebenen neuen Seidenstraße geworden. Direkt vor der Haustür von Minsk befindet sich ein Gewerbegebiet, Industriepark und Umschlagplatz, das unter dem Namen Great Stone figuriert.

Great Stone in Belarus

Finanziert worden sind die Facilities zumeist von chinesischen Banken. Die Schienenanbindung wurde von dem deutschen Unternehmen Duisport projektiert. Die Investitionen, die durch die chinesische Seite in Belarus getätigt wurden, liegen immer noch unter denen Russlands, doch die Relationen beginnen sich zu verschieben.

Der geostrategische Stellenwert von Belarus hat sich durch das Projekt der Neuen Seidenstraße dramatisch zugunsten des Landes erhöht. Der Kampf um Dominanz und Weltherrschaft, der dahinter steckt, hat jedoch auch die politische Stabilität infrage gestellt. Es empfiehlt sich, die momentanen Auseinandersetzungen unter dem Aspekt der Interessen zu betrachten.

Da das Gelingen der Neuen Seidenstraße ebenso eine Rolle spielt wie der geplante NATO-Militärgürtel gegen Russland von Litauen bis zum Schwarzen Meer, wird deutlich, welche Brisanz dort entstanden ist.

Der Köder, der bei solchen Gelegenheiten immer auf dem Tisch liegt, heißt Freiheit. Was die Menschen in den Betrieben und auf den Straßen von Minsk fordern, sind gesicherte Rechtszustände, demokratische Freiheiten und Gewaltenteilung.

Damit nicht korrelieren die Ziele, die sich hinter der medial aufgepumpten neuen Freiheitsikone Swetlana Tichanowskaja verbergen. Sie steht für die radikale Auflösung des Staates und seinen Verkauf an Oligarchen. Was das bedeutet, ist an der Ukraine gut abzulesen. Verloren hat der Großteil der Bevölkerung und die Freiheit.

Nawalny und Cinema For Peace

Im Sommertheater lässt sich gut inszenieren. Der russische Regimekritiker Alexei Nawalny wurde, laut Aussagen aus seinem Umfeld, vergiftet. Da diese Interpretation sehr gut in die weltpolitische Lage derer passt, die einen Zugriff auf die “Neue Seidenstraße” in Belarus haben wollen, wird diese Version flächendeckend kommuniziert, bevor sie als gesichert gelten kann.

Der Transport Nawalnys wurde finanziert durch eine Organisation namens Cinema For Peace. Sie wiederum wird unter anderem wohl von dem in Russland verurteilten und in der Schweiz lebenden Oligarchen Mikhail Khodorkovsky finanziert. Zudem taucht dort auch der Name des US-Lobbyisten Joschka Fischer auf. Wer denkt, dass irgend jemand auf die Idee käme, auf diesem Feld zu recherchieren, sollte das als Illusion aus seinem gutgläubigen Kopf verbannen.

Dass Freiheit und Menschenrechte zu den zentralen Begriffen des in allen Belangen überlegenen deutschen Systems zählen, wird an dem Spektakel deutlich, mit dem sich die Öffentlichkeit am gestrigen Sonntag beschäftigte. Da kam nämlich abends das dreckigste Champions-League-Finale der Geschichte in die Wohnzimmer.

Die Bayern …

Das ohne Zuschauer in Lissabon ausgetragene Turnier, von dem Karl-Heinz Rummenigge sagte, eine solch tolle Atmosphäre habe er noch nie erlebt, spielt sich tatsächlich vor einer kuriosen Kulisse ab. Da stehen sich Paris Saint-Germain, seinerseits im direkten Besitz der Menschenrechtsoase Katar, und der immer wieder gerne dorthin reisende FC Bayern gegenüber.

Dass in Katar eine Sklavenhaltergesellschaft residiert, konnte schon Franz Beckenbauer im Edelhotel nicht feststellen. Und dass jenes Paris Saint-Germain es war, das die Schallmauer durchbrach und einen Spieler für das Geldäquivalent eines Airbusses an die Seine holte, sollte nicht vergessen werden.

Der FC Bayern, der in der Diktion der deutschen Kriegssportberichterstatter noch gegen den Futbol Club Barcelona diesem seine Macht demonstrierte und ihn gedemütigt hatte, soll nun dem anderen deutschen Trainer zeigen, wo der Hammer hängt.

… und dann der Bundespräsident

Gestern tickerte durch die Nachrichtenagenturen, dass Bundespräsident Steinmeier in Bezug auf die Umstände der dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Herrn Nawalny eine genaue Untersuchung der Umstände fordere.

Die Forderung ist gut. Sie sollte sich vor allem mit der Tatsache beschäftigen, warum diese unsere Bundesregierung emotional immer kollabiert, wenn es um Geschehnisse in Russland und China geht, und warum sie mit Gleichmut über die Ruinierung menschlicher Existenzen hinwegschwebt, wenn es in Ländern der NATO geschieht oder dort, wo Rohstoffe liegen, die als strategisch gelten.


Foto: Hanson Lu (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

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