John Bolton ist kein unbeschriebenes Blatt. Der Mann war in Sachen Sicherheit bereits für die Präsidenten Bush senior wie Bush junior unterwegs, er war Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen und zuletzt Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump.
Neben seiner politischen Karriere hatte er eine florierende Anwaltskanzlei in Washington und er war als Publizist und Kommentator tätig, auch und vor allem bei dem stramm konservativen Nachrichtensender Fox News.
Boltons Engagement bei Donald Trump dauerte gerade einmal eineinhalb Jahre. Seinem Ruf als Falke machte er auch dort alle Ehre. Kaum ein amerikanischer Politiker weist eine derartige Stringenz auf. Aus dem knappen Zeitraum, dem er nach eigenen Angaben selbst ein Ende setzte, erwuchs nun ein Buch von 592 Seiten.
Es ist eine akribische Berichterstattung über die eigenen Aktivitäten unter und mit Präsident Trump: The Room Where It Happened. A White House Memoir.
Macht, Ressourcen, Geostrategie
Sollte man sich die Mühe machen, über fünfhundert Seiten zu lesen, aus der Feder eines Falken? Die Antwort ist eindeutig: Ja! Es lohnt sich, wie sich kaum ein Buch der letzten Jahre gelohnt hat. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe.
Zum einen wird die Leserschaft Zeuge der Organisation und der Personalpolitik im Hause Trump. Zum anderen wird sehr deutlich, nach welchen Interessen und Maßstäben die Politik der USA betrieben wird. Da geht es immer, wiederholt immer, um Macht, um Ressourcen, um Geostrategie.
John Bolten schreibt darüber in der Kühle und Klarheit eines Menschen, wie er nach dem Fürsten Machiavellis modelliert sein könnte. Und zu diesen Informationen kommt noch eine besondere Note – die Beschreibung des Individuums Trump, mit seinen Neigungen, Orientierungen und erratisch erscheinenden Entscheidungen.
Instabilität und Intrigen
Die Organisation des Weißen Hauses geht anders vonstatten als bei allen vorherigen Präsidenten. Das, was man als einen tradierten Wechsel innerhalb gesetzter Organisationen beschreiben kann, wurde außer Kraft gesetzt durch ein Beziehungsgeflecht, das den volatilen Launen des Präsidenten entsprechend immer wieder neu geformt wird. Ergebnis: Chronische Instabilität und die wachsende Neigung zu Hofintrigen.
Die ausführliche Schilderung der US-Politik gegenüber China, Russland, Syrien, Iran und Nordkorea belegt die These von der Exklusivität des machtpolitischen geostrategischen Primats. In diesem Lichte erscheinen die misslungenen Deutungsversuche einer bis zur Unkenntlichkeit geschredderten Presse als das, was sie sind: das Ende eines kritischen, investigativen Journalismus. Da sind die Zeilen des Falken nahezu eine Erholung.
Im Falle Venezuelas, eher einem Randgebiet seiner Schilderungen, wird das alles jedoch wie bei einer schönen Klavieretüde deutlich. Da wurden Kandidaten für den Regime Change gekürt, da wird darüber spekuliert, ob der amtierende, gewählte Präsident ermordet oder außer Landes geschafft werden soll und da wird das Regiebuch für den Putsch geschrieben. Und natürlich, da geht es um Öl und die unerwünschte Präsenz von Russen und Chinesen vor der Haustür.
John Bolton: Falke und Betrachter
Donald Trump, der in der hiesigen Berichterstattung zu einer grotesken Satirefigur verkommen ist, wird differenziert betrachtet. Seine Fähigkeit, die geostrategische, machtpolitische Relevanz schnell zu erfassen korrespondiert mit dem Willen, Beschlüsse zu fassen und schnell umzusetzen.
Die besondere Note des Stils von Trump zeichnet sich dadurch aus, dass er alles im Lichte von Deals sieht, die geschlossen werden sollen und die sich messen lassen, vor allem monetär. Und Trump hat eine klare Agenda: er will alles, was er vor der Wahl versprochen hat, auch umsetzen, wie es zum Beispiel der Abzug der Truppen aus Syrien und Afghanistan zeigen.
Daraus abgeleitet sind die auch für den Betrachter John Bolton merkwürdigen persönlichen Beziehungen, die Trump zu denen entwickelt, mit denen er Deals machen will. Da will er ein aus seiner Sicht bestehendes Vertrauen nicht zerstören, auch wenn es sich um Diktatoren handelt.
Boltons Buch ist das Lied eines Falken. Hören Sie zu!
Informationen zum Buch
The Room Where It Happened: A White House Memoir
Autor: John Bolton
Genre: Sachbuch/Politik
Sprache: Englisch
Seiten: 592 Seiten
Veröffentlichung: Juni 2020
Verlag: Simon & Schuster
ISBN-13: 978-1-98214-803-4

Quellen und Anmerkungen
Die deutsche Ausgabe des Buches von John Bolton erschien im August 2020 unter dem Titel “Der Raum, in dem alles geschah. Aufzeichnungen des ehemaligen Sicherheitsberaters im Weißen Haus” im Verlag Das Neue Berlin.

Foto: Luis Villasmil (Unsplash.com) und Simon & Schuster (Cover, gemeinfrei)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.