Kann das, was in dieser schönen neuen Welt der Kommunikation vonstatten geht, in einer Weise beschrieben werden, die sich dem Klischee und der Polemik enthält? Nur sehr schwer. Denn der Konsensus über das, was gesagt werden darf und was nicht, ist groß und wirkt mächtig.
Die Abweichung vom vorgeblichen Common Sense
Ja, es ist bekannt, die erste Replik des domestizierten Mainstream auf die Klage, dass es gefährlich sei, sich zu äußern, ist immer das Statement, man dürfe alles sagen. Das stimmt. Nur, wenn die Abweichung von dem vorgeblichen Common Sense (1) zu groß ist, dann sind die sozialen Sanktionen erheblich.
Die Etiketten liegen bereit: Verschwörungstheorie, Freund des einen oder anderen Feindes, Verwirrung. Das skurrile an diesem Mechanismus ist die Reversiblität. Alles, was den vermeintlich Abtrünnigen vorgeworfen wird, trifft auf den Prozess der Konsensbildung selbst zu: Verschwörungstheorie, Freundschaft mit Feinden, Verwirrung.
Allein die letzten Wochen haben es wieder sehr deutlich gemacht: Wer fragen stellt, die die Vorverurteilung anzweifeln, wird per se zum Komplizen des Feindes. Das, was als der Wert der Rechtsstaatlichkeit im Kampf gegen Schurkenstaaten reklamiert wird, wird, wenn es um die Interessen der eigenen Machteliten geht, mit Füßen getreten: regelmäßig und systematisch.
Dass diese Eliten sich einen Dreck um die Wirkung ihres Handelns scheren, sei es bei Produktionsmethoden, bei Kriegen um Ressourcen oder bei der Vernichtung der Umwelt, wird nicht thematisiert. Dafür gibt es immer wieder Skandale in der Ferne, die von der Dimension des höchstens mittelbaren Schadens in keinem Verhältnis zur eigenen Liste der Vergehen stehen. Das ist der Clou.
Doch die von einem Corps bezahlter Medienagenten chronisch irritierte Masse folgt den Ablenkungsmanövern. Mit einer Sicherheit, die apokalyptische Ausmaße besitzt. Und mit einer Wirkung auf die Irritierten, dass Zweifel am Verstand in den Regionen des eigenen Lebensraums berechtigt sind.
“Schaffe einen diskriminierenden Begriff und sozialisiere ihn …”
Die bei der Bändigung der freien Willens eingesetzte Sprache hat sich längst über das hinaus entwickelt, was George Orwell in seiner vermeintlichen Dystopie “1984” als IngSoc bezeichnet hatte.
Es wimmelt von Konstruktionen, die vormals in den Arsenalen der Linguistik allenfalls in den Aufzeichnungen aus der Inquisition zu finden sind. Da geistern Attribute durch die Welt, die von Werbeagenturen geschaffen wurden, die nach einer bestimmten Systematik arbeiten:
Schaffe einen diskriminierenden Begriff und sozialisiere ihn. Wende ihn immer wieder an, egal in welchem Kontext, bis er sitzt. Dann hast Du die Lufthoheit.
Und so wurden bereits Kriege vorbereitet. Wenn sich, wie im zu beobachtenden Fall, die Medien bereits in den Händen derer befinden, die das Spiel betreiben, existiert keine Chance, diesem ein Ende zu bereiten. Kaum hast Du einen klaren Gedanken gefasst, bricht über Dich bereits der Shitstorm herein.
Und die Logik ist gefährlich. Wer sich dagegen stellt, wird genau mit dem Gegenteil dessen identifiziert, was er beabsichtigt. Es folgt der Rechtfertigungszwang, der zumeist bei jedem Versuch, ihn aufzulösen, im Debakel endet. Während die Agenten der Macht jeden Tag unwidersprochen, stündlich, einen semiotischen, syntaktischen und grammatischen Müll absondern, der es in der Zukunft wird aufnehmen können mit dem von Dolf Sternberger (2) erstellten Wörterbuch des Unmenschen.
Wörterbuch des Unmenschen
Diese Lektüre ist zu empfehlen. Denn es tauchen dort Begriffe auf, die es bis in die Gegenwart geschafft haben, ohne dass es noch jemand merkt. Wer diesen Prozess aufspürt, bekommt eine Idee davon, auf welchem grausamen Weg wir uns befinden.
Quellen und Anmerkungen
(1) Die Common-Sense-Philosophie, eine philosophische Richtung, die nach der Rolle des common sense (englischer Ausdruck mit teilweiser semantischer Entsprechung zu Gemeinsinn und Gesunder Menschenverstand in der deutschsprachigen Philosophie) für das philosophische Erkennen fragt und diesen relativ positiv bewertet. Mehr Informationen auf https://de.wikipedia.org/wiki/Common-Sense-Philosophie (abgerufen am 09.09.2020).
(2) Um bestimmte Ausdrücke als inhuman zu kennzeichnen, dient der Hinweis, etwas stammt “aus dem Wörterbuch des Unmenschen” oder es könnte “im Wörterbuch des Unmenschen” stehen. Beim “Wörterbuch des Unmenschen” handelt es sich um Beiträge von Adolf “Dolf” Sternberger (1907 – 1989), aber auch Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind, die nach dem Zweiten Krieg in der Monatszeitschrift “Die Wandlung” veröffentlicht wurden. 1957 erschienen sie als Buch mit dem Titel “Aus dem Wörterbuch des Unmenschen”. Inhaltlich wird sich vor allem kritisch mit der Sprache des Nationalsozialismus auseinandergesetzt.

Foto: Heather M. Edwards (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Das Wörterbuch des Unmenschen“
„Das Wörterbuch des Unmenschen“ ist der Titel dieses Beitrags in der „Neuen Debatte“ von Gerhard Mersmann:
„Diese Lektüre ist zu empfehlen. Denn es tauchen dort Begriffe auf, die es bis in die Gegenwart geschafft haben, ohne dass es noch jemand merkt. Wer diesen Prozess aufspürt, bekommt eine Idee davon, auf welchem grausamen Weg wir uns befinden.“
„Kann das, was in dieser schönen neuen Welt der Kommunikation vonstatten geht, in einer Weise beschrieben werden, die sich dem Klischee und der Polemik enthält? Nur sehr schwer. Denn der Konsensus über das, was gesagt werden darf und was nicht, ist groß und wirkt mächtig.“
Hier sind meine Gedanken dazu:
Die Frage warum dieser oder jener Krieg geführt wird, braucht heutzutage nicht mehr gesellt werden. Als Beispiel sitzen die Machthaber manchmal in Davos oder in München, die negativen Helden unserer Zeit, die Finanzoligarchen mit ihren Marionetten. Immer mehr durchdrungen von der Melancholie des Untergangs, spielt sich auch immer hemmungsloser dieser Untergang nach dem Muster ab: Verlieren – ja, aber erst zum Schluss. Ein Motto, das in der modernen Welt bekanntlich einen Riesen Erfolg hat.
Unsere Welt wird immer deutlicher von der allgemeinen Krise des Kapitalismus geprägt. Akut äußert sich diese, dass sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Ukrainekrise, die Flüchtlingskrise, die Terrorkrise, die Syrienkrise und so weiter.
Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen. Die Bestien im Haifisch-Becken werden immer bösartiger. Aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, um Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte endet immer mit Zerstörung und Krieg.
Aber nichts muss so bleiben wie es ist, wenn man das jeweils Notwendige benennt und das Mögliche tut. Aufklärung über das Warum, das Was und das Wie ist die Grundlage für zielorientiertes Verändern.