Da traut sich mal einer was! Inmitten einer medial-ideologischen Überhitzung und dem bedauernswerten Zustand einer nicht mehr greifenden Diskussionskultur setzt sich ein sonst als Sachbuchautor wirkender Zeitgenosse an die Tastatur und haut einen Roman raus, der es in sich hat. Dieses mindestens aus zweierlei Gründen:
Erstens schert er sich dabei nicht darum, wer in den elenden Diskursen, die unser Dasein vergiften, bereits verbrannt ist und wer nicht. Und zweitens macht er das, was die meisten in Zeiten der Utopielosigkeit gar nicht mehr können: er blickt in seinem Roman auf die nahe vor uns liegenden Jahre 2022/23 bereits zurück.
Und vieles, was Egon W. Kreutzer in seinem Roman “Andere Abhilfe” geschehen lässt, gälte, befragte man den Mainstream, so er als fiktive Person bestünde, als absurd und abwegig. Aber ist es das?
Political Science Fiction
Der Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes, den Kreutzer der Geschichte voranstellt, gibt es jedenfalls. Dort heißt es:
“Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.”
In einem Szenario, das geprägt ist von wilden Entwicklungen, die durchaus sein könnten, wenn bestehende Tendenzen ernst genommen werden, schält sich im Laufe der Erzählung eine Konstellation heraus, die alles andere als realitätsfremd bezeichnet werden kann.
Da sind die bekannten politischen Parteien, die sich trotz dramatischer gesellschaftlicher Veränderungen in ihrem Verhalten kaum verändert haben. Da sind außerparlamentarische Gruppierungen, die allzu gerne als Zivilgesellschaft bezeichnet werden, diese aber nicht repräsentieren. Da sind internationale Akteure, die kaum sichtbar, aber umso mächtiger sind und die als Finanzkapital zu identifizieren sind.
Zusammengefasst stehen die politischen Akteure auf einer Bühne und führen ihr Stück auf, während sich die Regie ganz woanders trifft und die Geschicke lenkt.
Reizwörter: Staat und Nation
Sprengstoff kommt mit dem in Deutschland wirtschaftlich und technisch potenten unternehmerischen Mittelstand und einer Gruppe von Militärs ins Spiel. Sie sind es, die beginnen, den Kampf gegen Verhältnisse, die sie als existenzielle Gefahr für das Land, seine staatlichen Institutionen – die als mehr oder weniger aufgelöst bereits beschrieben werden – und letztendlich gegen sich selbst aufnehmen.
Sie finden heraus, woran es liegt, dass die Öffentlichkeit so gelähmt ist, woher die politische Lethargie stammt, die keinen Widerstand gegen ein allgemeines Staatsversagen mehr zustandekommen lässt und in wessen Interesse das ist. Die Frage nach dem Cui bono, die neuerdings sogar als verpönt gilt, bekommt in diesem Licht einen explosiven Stellenwert.
Es handelt sich um reinen reißenden Thriller, in dem die Motive der Akteure politisch sind und es um nichts weniger geht, als um die Rettung eines Staatsgebildes und einer Nation. Bereits das sind Reizwörter, die manche Diskussionen nicht mehr stattfinden lassen und insofern ist noch eine Prise Pfeffer mehr in dem Roman. Es fällt schwer, die Handlung nicht zu präzisieren, aber Sinn der Rezension ist es, dazu anzuregen, das Buch selbst in die Hand zu nehmen.
Andere Abhilfe
Lebten wir in anderen Zeiten, dann wäre “Andere Abhilfe” ein wunderbarer Anlass, um die Diskussion über die vor uns liegenden Notwendigkeiten von Veränderungen zu führen. Zu befürchten ist, dass zumindest diejenigen, die von ihren allzu schweren ideologischen Bleiwesten heruntergedrückt werden, aufschreien und mit ihren abgegriffenen Klischees diese Diskussion zu verhindern suchen.
Noch einmal der Hinweis, dass es sich um einen Roman handelt. Zur Freiheit der Kunst steht auch etwas im Grundgesetz. Allein die Notwendigkeit, dieses erwähnen zu müssen, deutet darauf hin, dass die Frage nach der “Anderen Abhilfe” so aus der Luft gegriffen nicht sein kann. Lesen Sie das Buch und vergegenwärtigen sich, was alles möglich sein könnte. Im Negativen wie im Positiven!
Informationen zum Buch
Andere Abhilfe
Autor: Egon W. Kreutzer
Genre: Politische Science Fiction
Sprache: Deutsch
Seiten: 324 Seiten
Veröffentlichung: 31.7.2020
Verlag: BoD – Books on Demand
ISBN-13: 978-3-75191-393-5
Foto: Shawnn Tan (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.