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Varianten einer Problemlösung

Die Suche nach einer Lösung zur Bewältigung von Problemen kann auch in der Erkenntnis münden, dass sich eine Organisation überlebt hat. Das ist sicher schwerwiegend, aber Konsequenz ist die Mutter des Fortschritts.

Es gehört zu den grundlegenden Kenntnissen von Organisationsentwicklung, dass die Organisation als Ganzes in ihrem Gelingen davon abhängt, wie die einzelnen Glieder zusammenwirken. Die Verfassung in doppeltem Sinne entscheidet darüber, inwieweit der Wille der einzelnen Mitglieder mit dem artikulierten Gesamtwillen korrespondiert.

Alltagsgeschäft: Ziele, Wege, Kämpfe

Zum einen existieren Schriftstücke, in denen Sinn und Zweck sowie die Verfahrensweisen der Organisation beschrieben sind. Die einzelnen Mitglieder haben dieses Schriftwerk akzeptiert, sonst wären sie nicht aufgenommen worden.


Varianten einer Problemlösung. (Quelle: YouTube/Gerhard Mersmann)

Unter anderem hängt die Realisierung der formulierten Pläne davon ab, wie das Geschriebene praktisch ausgeführt wird. Das wiederum wird bestimmt durch die verschiedenen Funktionsträger, die die entsprechende Macht haben, um Beschlüsse umzusetzen und auszuführen. Kommt es zu Dissonanzen, so liegt es zumeist an der Interpretation dessen, was als Allgemeingut vorausgesetzt wird.

Es ist ebenso Realität, dass innerhalb von Organisationen ein Kampf über die Deutung der Ziele und die Wege ihrer Erreichung geführt wird. Die unterschiedlichen Partikularinteressen, die, je größer und komplexer die Organisation ist, sich nahezu selbstverständlich herausbilden, sind zumeist Ursache von Meinungsverschiedenheiten, die ausgeräumt werden müssen, will die Organisation nicht abkommen vom Weg des beschriebenen Zwecks. Es handelt sich dabei um das Alltagsgeschäft.

Machtbetonter Dirigismus und Vertagung des Problems

Die Wege, sich mit den einzelnen Friktionen zu beschäftigen, sind sehr unterschiedlich. Eine Variante ist das “Durchregieren” von oben, das heißt, funktionsbezogene Macht duldet die Artikulation von abweichenden Interessen nicht und sucht sie zu unterbinden. Notwendige Folge ist zumeist nicht die Lösung des Problems, sondern der Austausch von Personen und, sollte das nicht helfen, eine Neuorganisation einzelner Teile. Die Folgen sind in der Regel nicht produktiv.

Der machtbetonte Dirigismus schafft nur temporär Abhilfe, langfristig löst er existenzielle Ängste aus und befeuert Ressentiments innerhalb der Organisation.

Eine andere Möglichkeit ist die öffentliche Wahrnehmung des Problems und seine Beschreibung. Was als Anfang gut klingt, wird dann, wissentlich, als eine Sache von Sondergremien deklariert. Diese werden dann beauftragt, an einer Lösung zu arbeiten. Das beruhigt zunächst viele Gemüter, führt jedoch, wenn es sich um klassische Verhandlungen handelt, nicht zu einer Lösung, sondern zu einer Vertagung des Problems. Folge sind keine Ängste und weniger Ressentiments, dafür aber eine auf Dauer depressive Haltung, die gespeist wird von der Einsicht, es ändere sich ja doch nichts.

… oder Zukunftskonferenz und Problemlösung

Eine dritte Variante besteht aus einem inszenierten Ausnahmezustand. Alle Mitglieder werden einberufen zu einem Konvent, der den Charakter eines Workshops oder einer Zukunftskonferenz hat. Dort kommen alle Probleme auf den Tisch, sie werden aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben und von unterschiedlichen Arbeitsgruppen bearbeitet. Deren Aufgabe besteht in der nochmaligen Beschreibung des Problems, in der Skizzierung von Lösungsansätzen und in der Nennung möglicher Widerstände hinsichtlich der angestrebten Vorgehensweise.

Das Plenum wiederum setzt sich mit den verschiedenen Lösungsansätzen auseinander und formuliert eine Maßnahmenliste, die das Projekt benennen, Verantwortliche festlegen und Termine setzen. Und es wird vereinbart, wann man sich wieder trifft, eine Zwischenbilanz zieht und beschließt, wie es weiter gehen soll.

Der Vorteil dieser Variante besteht in der Unterstreichung der Verantwortung und Bedeutung aller einzelnen Organisationsteile und er vermittelt die Erkenntnis, dass alle das zu verantworten haben, was geschieht oder auch nicht geschieht. Denn es kann auch sein, dass man zu der Erkenntnis kommt, die Organisation habe sich überlebt. Schwerwiegend, aber die Konsequenz ist die Mutter des Fortschritts.

Zweck und Ziel an die Stelle von Machterhalt

Die Praxis der Organisationsentwicklung zeigt, dass diese Variante die erfolgreichste wie auch nachhaltigste ist. Oft wird der Aufwand einer derartigen Herangehensweise von den verantwortlichen Funktionären als zu hoch beschrieben, was angesichts der in der Regel entstandenen Schäden durch die Eigendynamik der einzelnen Teile nicht zu belegen ist.

Bei Betrachtung dieser kleinen Revue fällt auf, welche Vorgehensweise in großen, politischen und internationalen Organisationen präferiert wird. Letztendlich geht es dort um die Macht der Akteure, und nicht um den originären Zweck und die Ziele der Organisation.

Die EU wäre ein wunderbares Beispiel, um die dritte Variante auszuprobieren. Da stellt sich die berechtigte Frage, von wem Wohl die vehementeste Gegenrede käme?


Foto: Daria Nepriakhina (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Varianten einer Problemlösung“

Die dritte Variante, der inszenierte Ausnahmezustand läuft schon seit einigen Monaten und heißt Event201.
Am 18. Oktober 2019 fiel der Startschuss. https://www.centerforhealthsecurity.org/event201/
Wer mehr an den Hintergründen interessiert ist, sollte mal hier reinschauen.
https://commonsensetv.nl/de/wat-is-event-201-deel-1/

Vom Mensch gemachte Probleme lassen sich nicht lösen, sie sollten gemieden werden und wenn nötig, die Verursacher auch.

Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem.
(Johann Wolfgang von Goethe)

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