Kategorien
Meinung

Donald Trump und die Maladie opportune

In diesen Zeiten ist es wahrscheinlich, dass die Hemmungslosen, die Betrüger und die Schwatzhaften für einen Moment der Geschichte das Ruder in die Hand nehmen und das Ganze auf ein Riff steuern.

In diesen Tagen ist alles möglich. In Zeiten, in denen der Trugschluss neben der Tatsache existiert, das Mögliche mit dem Irrsinn korrespondiert und die Gewissheit mit der Spekulation im Bett liegt. Jede Form der Klärung endet im Unklaren, jede Bemühung wird von irgendwoher diskreditiert, die Mutigen werden als gekauftes Pack bezeichnet und die Schweigsamen für ihre Passivität kritisiert.

Donald Trump und die Verpestung der mentalen Atmosphäre

In solchen Zeiten ist es wahrscheinlich, dass die Hemmungslosen, die Betrüger und die Schwatzhaften für einen Moment der Geschichte das Ruder in die Hand nehmen und das Ganze auf ein Riff steuern. Sie gehen im Moment der Havarie mit unter und hinterlassen der Nachwelt einen Trümmerhaufen, an dem sich die Menschheit, so sie noch in zivilisierter Form existiert, Generationen abzuarbeiten hat.

Bei der Bewertung der Frage, ob die offiziell bestätigte Covid-19-Erkrankung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump den Tatsachen entspricht, geht es sicherlich vielen Menschen so wie mir. Ich war und bin mir nicht sicher, ob es sich dabei um eine Tatsache oder ein Manöver handelt. Denn, und das ist die bittere Wahrheit, wir leben in Zeiten, in denen nichts an Absurdität mehr auszuschließen ist.

Alles ist Spekulation, und die reinen Verfechter einer wie auch immer gearteten Wahrheit existieren nicht mehr. Weder in Ost noch West, nicht im Norden und nicht im Süden. Dieses Virus, das der Verpestung der mentalen Atmosphäre, hat sich genauso ausgebreitet wie Corona.

In Zeiten wie diesen …

Für die Infektion Trumps spricht, dass wohl sein gesamtes, die Gefahr des Virus leugnendes Umfeld, ebenso infiziert ist. Das Weiße Haus scheint ein Hot Spot zu sein. Dagegen scheint zu sprechen, dass Donald Trump putzmunter vor der Kamera sitzt und euphorisch von seinem Lernprozess mit der Krankheit spricht oder sich in einer gepanzerten Limousine in Washington vor seinen Unterstützern zeigt (1). Da kann man sich schon fragen, ob das vermeintliche Leid nicht inszeniert ist, um im Wahlkampf Mitgefühl wie Bewunderung zu mobilisieren.

Die in dem vermeintlichen Krankheitsverlauf von ihm an den Tag gelegte Verharmlosung ist dabei allerdings der kriminellste Aspekt. Es provoziert die Ignoranz und verursacht weitere, vermeidbare Infektionen. Aber das beiseite, denn, wer glaubt noch daran, dass die Wahrnehmung eines Mandates mit dem Wohl derer zu tun hat, die den Auftrag gaben?

In Zeiten wie diesen ist die Frage berechtigter denn je, auch wenn die Antwort in wenigen seltenen Fällen noch positiv zu beantworten wäre.

Im Französischen existiert die wunderbare Wendung der “Maladie opportune“. Mit ihr wird eine Situation bezeichnet, in der eine Krankheit zum richtigen Zeitpunkt kommt. Das impliziert die Möglichkeit der Vortäuschung wie die des tatsächlichen Eintritts. Besser kann die Situation in jeglicher Hinsicht nicht erfasst werden, weil die Grenzen zwischen Tatsache und Spekulation (2) nicht mehr existieren.

Donald Trump, ein begnadeter Demagoge, mag nun getroffen worden sein oder das Ganze nur inszeniert haben. Es handelt sich um eine Maladie opportune, weil er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln um eine Fortsetzung seiner Amtszeit kämpft (3). Dass demoskopisch das Kalkül nicht aufzugehen scheint, konnte er nicht wissen. Letztendlich ist es nicht mehr relevant, wer sich mit welcher Taktik durchsetzt. Denn ändern, ändern muss sich vieles und vor allem grundsätzlich.

Die Pest an den Hals

Wie der Begriff der Maladie opportune zeigt, haben ganz nebenbei, unsere französischen Nachbarn einfach Sinn für das Feine, mit Geist Behaftete. Wir Deutschen sind da einfach derber. Wenn man uns fragt, dann wünschen wir so manchem Widersacher die Pest an den Hals.


Quellen und Anmerkungen

(1) ORF News (6.10.2020): Trump inszeniert Rückkehr ins Weiße Haus. Auf orf.at/stories/3184051/ (abgerufen am 6.10.2020).

(2) KONTEXT Wochenzeitung (15.5.2013): Die Wahrheit ist obdachlos. Auf https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/111/die-wahrheit-ist-obdachlos-439.html (abgerufen am 6.10.2020).

(3) KURIER (30.9.2020): Trumps dubioser Aufruf an Rechtsextreme: “Haltet euch bereit”. Auf https://kurier.at/politik/ausland/trumps-dubioser-aufruf-an-rechtsextreme-gruppe-haltet-euch-bereit/401049652 (abgerufen am 6.10.2020).


Foto: Ilse Orsel (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Neue Debatte ist das Magazin für Menschen, Kultur und Gesellschaft. Es steht für 100% Journalismus und Wissenschaft von unten - unabhängig und nicht werbefinanziert. Journalisten, Blogger, Arbeiter, Akademiker, Soziologen, Handwerker, Philosophen, Micro-Blogger, Erwerbslose, Wortkünstler, Experten und kritische Menschen aus allen Milieus und Ländern skizzieren das Zeitgeschehen aus ihrem Blickwinkel: offen, ehrlich und ohne doppelten Boden. Unterstütze uns!

3 Antworten auf „Donald Trump und die Maladie opportune“

Wenn auf der Basis von TV-Debatten á la Trump vs. Biden 1 und der systematischen Herabwürdigung von Wahlen (“Briefwahl ist fake”) (“geht mehrfach wählen”), ohne ein klares politisches Programm der beiden Kandidaten (und ihrer Parteien?) tatsächlich Wahlen stattfinden sollten, dann ist “die älteste Demokratie der Welt” gerade dabei, sich selbst abzuschaffen. Hier geht es nicht um Fakten sondern um Glaubensexzesse verschiedenster Art und vor allem um negative Gefühle wie Hass und Neid. Deshalb die direkte Frage, was ändert sich für den US-Wähler konkret, wenn a) Trump oder b) Biden gewählt wird. Falls es diese konkreten Unterschiede geben sollte, warum erkennt der US-Wähler die nicht und handelt entsprechend?

Amerika war vielleicht 1776 eine Demokratie und ein erstrebenswertes Ziel für die europäische Bevölkerung, aber das ist bald 300 Jahre her und eine Demokratie, die mit Rassismus, Unterdrückung der Farbigen, der Ureinwohner und deren Rechte, ständigen Kriegen aus sehr, sehr fragwürdigen und beweisbar verlogenen Gründen, Unterdrückung und Epressung anderer Völker, Mord, Massenmord und mordenden Polizisten, Drohnenmorden und endlosen beweisbaren Kriegsverbrechen einhergeht ist doch keine Demokratie, das ist eine Mafiagesellschaft!!!

Wie ist Deine Meinung zum Thema?

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.