Auf dem Weg. Direkt nach Washington. Oder auch schon dort. Ganze Heerscharen aus dem Medienspektakel haben sich aufgemacht, um von einem Spektakel zu berichten, das keines sein wird. Außer, das versteht sich zunehmend von selbst, exklusiv für die Medien.
Schmutzige Weisen
Es wird berichtet werden, wie es bereits tausendmal geschehen ist, von den unsäglichen Sottisen eines Donald Trump, der, wenn man es einmal vorurteilsfrei betrachtet, alles andere als dumm agiert. Er ist ein Rattenfänger, der fest in der Tradition desjenigen von Hameln steht. Er pfeift sein demagogisches Lied – und viele werden ihm folgen. Dass er dabei zumeist schmutzige Weisen singt, ist nicht von der Hand zu weisen. Dass er jedoch auch Referenzen hat, ebenso wenig. Die Wirtschaft, wie es so oft und immer wieder euphemistisch heißt, brummte wie noch nie, bis diese leidige, aus seiner Sicht chinesische Pest an Bord kam und alles verhunzt hat.
Das wahre Trauerspiel, von dem die wenigsten berichten, hat sich im Lager der Demokraten abgespielt. Da nützt das Maske-Tragen des Kandidaten Biden wenig. Denn er, der von vielen hierzulande präferierte Gegenkandidat, steht ebenso für ein “Weiter so!” wie sein Counterpart. Joe Biden ist der kleinste gemeinsame Nenner gegen einen Neuanfang. Als wäre die Massenverarmung, die Diskriminierung, die Ausgrenzung innerhalb und das Kriegstreiben außerhalb des Landes eine Frage des Stils.
Diejenigen im Lager der Demokraten, die glaubten, mit dem prima vista feinen Herrn genug getan zu haben, um sich wieder in Position zu bringen, haben sich bereits jetzt kräftig verkalkuliert. Denn egal, wer von diesen beiden Schlachtrössern gewinnt, sie repräsentieren weder das Gebilde, das sich hinter dem Namen USA verbirgt, noch eine qualitative Veränderung.
Das inszenierte Spektakel
Über die soziale wie demografische Lage des Landes ist einiges gesagt. Ethnisch ist das Ende der weißen, protestantischen und evangelikalen Minderheit in Sicht. Und sozial ist die Massenverelendung weit fortgeschritten und die Mittelklasse, ihrerseits die ideologische Trägerin des Traums von einem freien, demokratischen Amerika, mächtig ins Wanken geraten. Die tatsächlich spannende Frage, die sich hinter dem inszenierten Spektakel verbirgt, wird auch dieses Mal wieder nicht gestellt werden. Aber genau das wäre etwas, das interessiert.
Wie ist die bereits vorhandene Struktur derer, die demnächst die Mehrheit ausmachen? Wo sind die Schwarzen, die Latinos und Latinas und die Menschen asiatischer Herkunft bereits verortet? Ein erster Blick zeigt, dass die großen Städte – mit Ausnahmen – bereits in ihren Händen sind. Welche Visionen haben sie von diesem Land, in dem sie zunehmend Einfluss gewinnen? Sollen die USA weiter den Anspruch auf die Welthegemonie reklamieren? Wie soll eine Wirtschaft, die Millionen das Messer an den Hals setzt, in Zukunft gestaltet werden? Wie soll ein Land, in dem Naturkatastrophen, die mit den Besitz- und Produktionsverhältnissen zusammenhängen, darauf reagieren? Und wie wird der Kampf um die Ordnungsmacht entschieden werden?
Die Besetzung der Judikative in der Ära Trump hat ein Zeichen gesetzt. Mehr aber auch nicht. Und in den Reihen der Demokraten sind junge, brillante Menschen vertreten, die auf ihre Chance warten wie in den vielen, besonders in den letzten Monaten entstandenen Initiativen und Formen der kommunalen und regionalen Selbstorganisation. Das wäre spannend, und es wäre auch etwas, das direkt betrifft. Denn, machen wir uns nichts vor, jede politische Bewegung in den USA schlägt auch hier ihre Wellen.
In den USA steht vieles auf dem Spiel
Doch nichts geht darüber, um Goethe zu variieren, als nach einem Sonntagsbraten über Dinge zu räsonieren, die das Gemüt ein bisschen kitzeln, aber nicht wirklich betreffen. In den USA steht vieles auf dem Spiel, nur nicht das inszenierte Spektakel, das die Frage stellt, wer denn nun den jetzigen Zustand auf jeweils seine Art konservieren will. Da sage noch einer, die Zeiten des Zirkus seien vorbei!
Foto: Kan Tri (Unsplash.com)
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Aufruf: Das Land, in dem ich leben möchte
Wie schon Max Herrmann-Neiße Anfang der 1930er-Jahre stellen sich die Initiatoren der Plattform Futur II in diesen Zeiten der Unklarheiten und Ungewissheiten die Frage, wie die Zukunft gestaltet werden kann – und Sie alle sind eingeladen, sich einzubringen, um Antworten zu finden.
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.