Wenige Tage vor der Verhängung des zweiten Corona-Lockdown in Österreich war der Schweizer Historiker Daniele Ganser für eine Vortragsreihe in Wien. Sein Programm warf er um: Nicht illegale Kriege oder das Imperium USA waren das Thema, sondern die Angst vor dem Virus.
Zu Beginn seines Vortrags benannte Daniele Ganser drei zentrale Ängste unter denen die Menschen weltweit 2020 leiden:
- Angst vor dem Coronavirus,
- Angst vor Armut und
- Angst vor Diktatur.
Und alle drei triggern die Urangst der Menschen vor dem Tod. Jede Form der Angst, auch wenn diese nicht unmittelbar nachvollziehbar erscheint wie zum Beispiel die Angst vor einer Spinne oder einer Maus, sollte ernstgenommen werden, auch deshalb, weil es nicht darum geht, Ängste gegeneinander aufzuwiegen, zu bagatellisieren oder sie kleinzureden, sondern die Ursache der Angst zu verstehen.
Angst vor Tod, Armut und Diktatur
Ganser erinnerte an die Medienberichterstattung im März und April 2020. Wieder und wieder wurden Bilder und Videos aus Krankenstationen, von Leichenwagen und Särgen gezeigt – der Tod rückte an die Menschen heran.
Diese Bilder und Videos, die sich ins Gedächtnis brennen und die Menschen emotional berühren, hatten entscheidenden Einfluss darauf, dass die Bevölkerung in zahlreichen westlichen Ländern im März 2020 weitgehend ohne Widerspruch alle Maßnahmen gegen das Coronavirus und den ersten Lockdown mitgetragen hat.
Die Wirtschaft wurde zurückgefahren, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit stiegen an, Unternehmen sahen sich in ihrer Existenz bedroht. Global verloren Abermillionen Menschen ihre Einkommensmöglichkeit und die Grund- und Freiheitsrechte wurden praktisch über Nacht massiv eingeschränkt. Die Angst vor der Armut nahm zu und die Angst vor der Diktatur.
Medienkonsum, Angst und Digital Detox
In seinem Vortrag thematisiert Ganser die medial und politsch erzeugten Ängste der letzten Jahrzehnte. So wurde die weltweite Angst vor dem Terror vor allem durch die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA und die Bilder der brennenden und dann in sich zusammenbrechenden Twin Towers in New York ausgelöst. Es folgte ein mediales Dauerfeuer: Alles wurde unmittelbar mit Terror in Verbindung gebracht oder zumindest die theoretische Möglichkeit hinterfragt und mit teilweise schrecklichen Bildern versehen.
Da der Mensch bereits Angst empfinden kann, wenn er sich eine gefährliche Situation lediglich vorstellt oder ihm eine bedrohliche Situation gezeigt wird, was die rationale Auseinandersetzung mit Fakten und konkreten Ereignissen massiv erschwert, ist es laut Ganser wichtig, den eigenen Medienkonsum zu überdenken, um sich vor der Flut aus Informationen zu schützen.
Eine Option ist Digital Detox, die Reduktion und der phasenweise Verzicht auf die Nutzung von Smartphones, Tablets, Fernsehen und vor allem des Internets und der sozialen Medien. In ihnen ist man einem Sturm aus Informationssplittern, Eilmeldungen, Wortfetzen, Bildern, Videos, Audios und so weiter ausgesetzt. Wahrheit und Fiktion vermischen sich, was richtig und falsch ist, kann niemand mehr erkennen.
Zur Person

Daniele Ganser ist Historiker und Friedensforscher aus der Schweiz. Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen zu Energie, Medien, Krieg, Frieden und Terror. Seine Forschungsschwerpunkte sind die internationale Zeitgeschichte seit 1945, verdeckte Kriegsführung und Geheimdienste, der US-Imperialismus und Geostrategie sowie Energiewende, Ressourcenkriege, Globalisierung und Menschenrechte.
Als Autor veröffentlichte Daniele Ganser mehrere Bücher: NATO-Geheimarmeen in Europa – Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung” (2008); Europa im Erdölrausch – Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit (2012); Illegale Kriege – Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren: Eine Chronik von Kuba bis Syrien (2016). Im April 2020 erschien “Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht”. Weitere Informationen auf www.danieleganser.ch
Fotos und Video: Thomas Evans (Unsplash.com), René Rickli und Idealism Previals
Artikel zum Hintergrund …
Rainer Mausfeld über Angst und Macht in kapitalistischen Demokratien
Der Demokratie wird durch die künstliche Erzeugung von Angst die Grundlage entzogen. Warum? Rainer Mausfeld spricht im Interview mit Pascal Lugi über Angst, Macht und Herrschaft.
Lohn der Angst: Ein Gespräch über die Zeit nach der Krise
Nicht alles, was die Welt bewegt, ist Corona. Die Weltwirtschaft ist angeschlagen, die Auswirkungen sind noch unklar. Aber so oder so stehen die Gesellschaften vor einem Umbruch. Es ist dringend geboten, die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Die Aggression in uns
Auf die Frage, was sich in der Gesellschaft ändern sollte oder muss, damit das Leben für alle besser wird, wird oft über Aggression, Rücksichtslosigkeit und Egoismus geklagt. Aggression und Gewalt sind vor allem unsere eigenen Probleme. Die gilt es, weltweit zu ändern.
Journalismus heute: Vertrieb der Angst
Journalismus wird nicht mehr als kulturelle Leistung begriffen. Seine Ökonomisierung war der Anfang einer Fehlentwicklung. Der Journalismus wurde zum Konsumgut.
Hinweis: Diese und weitere Essays, Artikel und Reportagen findest Du in unserem großen Archiv. Die Inhalte gefallen Dir? Du findest sie wichtig? Dann verbreite die Neue Debatte!
Neue Debatte ist das Magazin für Menschen, Kultur und Gesellschaft. Es steht für 100% Journalismus und Wissenschaft von unten - unabhängig und nicht werbefinanziert. Journalisten, Blogger, Arbeiter, Akademiker, Soziologen, Handwerker, Philosophen, Micro-Blogger, Erwerbslose, Wortkünstler, Experten und kritische Menschen aus allen Milieus und Ländern skizzieren das Zeitgeschehen aus ihrem Blickwinkel: offen, ehrlich und ohne doppelten Boden. Unterstütze uns!