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Rezension

Augustus – Die Unterscheidung von Funktion und Person

Manchmal, aber eher seltener, erstaunen wir, weil wir eine Klugheit im längst Vergangenen entdecken, die wir uns sehnlich herbeiwünschten, weil das Gegenwärtige in seiner Borniertheit allzu erdrückend erscheint.

Unabhängig von der Großwetterlage der Gegenwart, erweitert es immer den Blick, sich mit der Geschichte zu befassen. Es relativiert die eigene Befindlichkeit und führt zu Erkenntnissen unterschiedlicher Art. Manchmal sieht man Parallelen, was zu Erstaunen führt, weil wir doch, wie wir so oft irrtümlich meinen, auf der hohen Zinne der aufgeklärten, modernen und weltoffenen Erkenntnis stehen und tief im Unbewussten den Fehlschluss in uns tragen, alles, was bereits war, habe in seiner fatalen Entwicklung etwas mit der Minderbemittlung der damals Agierenden zu tun.

Und manchmal, eher seltener, erstaunen wir, weil wir eine Klugheit im längst Vergangenen entdecken, die wir uns sehnlich herbeiwünschten, weil das Gegenwärtige in seiner Borniertheit allzu erdrückend erscheint.

John Williams, Augustus (Quelle: Gerhard Mersmann/YouTube)

John E. Williams, ein in unseren Breitengraden eher weniger bekannter US-amerikanischer Autor, dessen “Stoner” und “Butchers Crossing” großartige Erzählungen sind, hatte sich auch der Herausforderung gestellt, einen historischen Stoff noch einmal neu zu gestalten, ohne gleich einen massenwirksamen Thriller daraus zu machen. Mit “Augustus”, zum ersten Mal 1972 veröffentlicht, ist ihm Großes gelungen (1, 2).

Augustus, Staat, Person und Funktion

Gleich einer kriminologischen Rekonstruktion in Form von Zeugenaussagen in Briefen erzählt Williams noch einmal die Geschichte des großen römischen Kaisers Augustus, jenes Gaius Octavius Thurinus, Adoptivsohn des Julius Cäsar, der nach dessen Ermordung Ordnung in die römischen Verhältnisse brachte und von 31 vor Christus bis 14 nach Christus, also geschlagene 45 Jahre, als römischer Kaiser dem Weltreich vorstand.

Es ist der lange Weg vom jungen Mann zum Kaiser, der in einer Gesellschaft aufwächst, in der Korruption, Dekadenz, Intrige und Eigennutz die vorherrschenden Wesensmerkmale waren, dem es gelingt, nach den ersten erforderlichen militärischen Auseinandersetzungen mit anderen Fraktionen, dem Recht wieder Geltung zu verschaffen, den sozialen Ausgleich zu fördern und den Privilegierten eine Lebensweise nahezulegen, die der offiziellen Staatsdoktrin von einem römischen Bürgertum entspricht.

Das alles gelang diesem Augustus durch die richtigen Freunde, durch eiserne Disziplin gegen sich selbst, durch Toleranz und das, was so oft treffend als Augenmaß bezeichnet wird.

Jenseits der konkreten Biografie, die durch Zeitzeugen mit deren Dokumenten nachgezeichnet wird, schimmern die Themen durch, um die es eigentlich geht. Es geht um ein Staatswesen, das durch den Eigensinn und die Zügellosigkeit der Handelnden vor dem Ruin steht, es geht um Staatsräson und Konsequenz, es geht um Maßnahmen der guten Regierungsführung, es geht um Disziplin und Toleranz und es geht um Herrschaft.

Augustus, so kann man aus Williams brillanter Erzählung schließen, brachte vor allem eines mit, was Herrschaft verlangt, nämlich die Fähigkeit, zwischen Person und Funktion zu unterscheiden.

Nützliche Hinweise für die Gegenwart

Augustus hat viele Entscheidungen getroffen, die ihm als Person mächtig widerstrebten und die ihm weh taten, aber er traf sie, weil es das Amt, die Funktion, erforderten. Das war ihm bewusst und das war der Schlüssel zum Erfolg.

Es ist redundant, allein auf diese notwendige Differenzierung in Bezug auf das aktuelle Zeitgeschehen hinzuweisen. Wie es überhaupt an Aktualität nicht mangelt, wie der Verweis des Augustus auf die zersetzende Kraft des Moralismus oder auf den Irrglauben, Gesetz und Sanktion seien in der Lage, die Tugend der Regierten zu wecken, sondern es bedürfe der inneren Überzeugung, dass die Gesetze den eigenen Interessen entsprächen.

John Williams “Augustus” erhellt ein wichtiges Kapitel der Vergangenheit und enthält nützliche Hinweise für die Gegenwart.

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Informationen zum Buch

Augustus

Autor: John E. Williams
Genre: Historischer Roman
Sprache: Deutsch
Seiten: 480
Veröffentlichung: 2017 (Erstveröffentlichung 1972 bei Viking Press)
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-13: 978-3-423-14612-8


Quellen und Anmerkungen

(1) John Edward Williams (1922 bis 1994) stammt aus dem Nordosten von Texas (USA). Nach dem College arbeitete er als Journalist. 1942 ging er zur Armee. Er wurde in Burma eingesetzt und schrieb in dieser Zeit seinen ersten Roman. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs studierte er in Denver Englische Literatur, lehrte anschließend an der Universität Missouri und ab 1954 bis zu seiner Emeritierung an der Universität Denver Englische Literatur und Creative Writing. Seine bekanntesten Werke sind Butcher’s Crossing (1960), Stoner (1965) und der Roman Augustus (1972), der mit dem U.S. National Book Award ausgezeichnet wurde.

(2) Augustus ist ein historischer Roman des Us-amerikanischen Autors John E. Williams. Das Werk wurde 1972 bei Viking Press erstmals veröffentlicht. Erzählt wird die Geschichte von Augustus, dem Kaiser von Rom, von seiner Jugend bis ins hohe Alter. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil beschreibt den Aufstieg von Augustus zur Macht, der zweite seine anschließende Herrschaft und die Schwierigkeiten bei der Auswahl eines Nachfolgers. Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.), auch bekannt als Gaius Octavius, war Großneffe und Haupterbe von Gaius Julius Cäsar. Nach dessen Ermordung 44 v. Chr. entbrannten Machtkämpfe. Diese konnte Augustus für sich entscheiden. Von 31 v. Chr. bis 14 n. Chr. regiert er als erster Kaiser und Alleinherrscher das Römische Reich.


Foto und Video: Mike Swigunski (Unsplash.com) und Gerhard Mersmann (YouTube)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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