Nun hat er wieder getwittert. Nein, nicht Donald Trump, sondern der Bundesaußenminister. Donald Trump war der Pionier. Als er vor vier Jahren ins Präsidentenamt kam und seiner Leidenschaft, vor allem nächtens zu twittern, nicht entsagen konnte, war man im medialen Westhimmel der Häme voll. Was für ein Banause! Der wisse wohl nicht um die Verantwortung des Amtes! Und nun? Vier Jahre danach?
Die Fahnen stehen auf Sturm …
Die Politelite, die um die Verantwortung des Amtes zu wissen glaubt, twittert, was das Zeug hält. Allesamt suchen sie sich zu übertreffen. Und sie übertreffen sich tatsächlich, denn sie scheinen nicht mehr differenzieren zu können zwischen Amt und Person. Da kommt dann oft etwas in den Orkus, was mit dem Amt nichts zu tun hat. Wie beim Bundesaußenminister. Der äußert sich zu Gott und der Welt, ohne sich zu überlegen, ob das etwas mit seinem Amt zu tun hat. Übrigens: Die einzige Ausnahme, das heißt, diejenige, die sich dem Gezwitscher im persönlichen PR-Gewerbe nicht angeschlossen hat, ist die Kanzlerin. Ehrlichkeit muss sein!
Ja, der Bundesaußenminister, der sich bereits als Konstrukteur einer neuen Allianz zwischen Deutschland, äh, Europa, und den USA sieht, hat sich in dem Vögelchen-Medium unter anderem strikt dagegen ausgesprochen, dass die USA ihre Truppen aus Afghanistan abziehen. Die Deutschen, so seine ununterbrochen gesendete Botschaft, seien sich ihrer neuen Verantwortung bewusst und blieben gerne dort.
Mit Blick auf die Bilanz einer 14-jährigen Präsenz am Hindukusch ist das ein Statement im Vollrausch, aber darauf kommt es gegenwärtig auch gar nicht an. Wichtig ist die Botschaft, dass wir gerne dabei sind. Und damit nicht alles an dem armen Außenminister hängen bleibt, nehmen wir die Bundesverteidigungsministerin konsequenterweise gleich mit ins Boot. Denn die hat schon verlauten lassen, dass sie sich deutsche Kriegsschiffe sehr gut im südchinesischen Meer vorstellen könne (1). Die Fahnen stehen also auf Sturm. Und, so haben wir bereits blitzschnell gelernt, wer sich in Taktik nicht auskennt, der bekommt umgehend den Profi am Tisch zu spüren.
Der Showdown in der Weltpolitik
Denn die Demutsbezeugungen aus dem hiesigen Lager der Atlantiker werden jenseits des großen Teiches konsequent als solche verstanden. Was gibt es besseres, als Untertanen, die sich beugen, bevor sie die Peitsche auch nur gesehen haben? Also geht Onkel Sam doch gleich einen Zug weiter und sagt mit trockener Stimme: Well, ihr versteht, aber damit keine Missverständisse aufkommen, das mit Nord Stream 2 könnt ihr euch auch abschminken. Da macht ihr euch zu sehr von den bösen Russen abhängig. Kauft mal lieber schönes Fracking-Gas aus den Staaten. Da sind selbst die Grünen dabei, weil in Russland bekanntlich der Dämon wohnt, da scheißt doch mal auf Black Lives Matter!
Der so heiß ersehnte Wechsel von Trump zu Joe Biden zeigt bereits heute, wie sehr man sich doch getäuscht hat. Die weltpolitische Ausrichtung der USA wird sich nicht ändern. Der Showdown mit China, dem derzeit einzig ernst zu nehmenden Konkurrenten um die Weltherrschaft, wird vorbereitet. Selbst wird man im Pazifik-Raum aufrüsten, was das Zeug hält, und dazu braucht man Verbündete, und zwar um die wichtigste Flanke, nämlich Europa/Russland, zu sichern.
Diejenigen, die sich jetzt so sehr mit der Formulierung hervortun, man sei bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen, sollten sich bewusst sein, dass das in heißen Auseinandersetzungen mit Russland enden muss. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn diesen Schwärmern die einfache Frage gestellt werden würde, wer letztendlich davon etwas hat? Angesichts der hiesigen Streitkräfte und der post-heroischen Befindlichkeit ist es bei dieser Option ein guter Rat, das Nachtlicht bereits proaktiv zu löschen!
Quellen und Anmerkungen
(1) Tagesschau (15.11.2020): Mehr Verantwortung – nur wie? Auf https://www.tagesschau.de/inland/sicherheitspolitik-bab-101.html (abgerufen am 22.11.2020).
Foto: Rita Vicari (Unsplash.com)
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Weltpolitik: Das Nachtlicht löschen!“
Mir scheint, die deutsche Politik ist insgesamt auf einem recht niedrigen Niveau? Die beiden Saarländer in der Regierung unternehmen rektale Höhlenwanderungen bei Trump/Beiden oder wem auch immer und legen sich dazu problemlos mit ihrem nächsten (und wichtigsten Nachbarn!) Frankreich an? Welche/r Politiker/in könnte sie stoppen, wenn er/sie denn was täte?