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Die Pervertierung des bedingungslosen Grundeinkommens

Wenn das BGE als Verführungsprämie genutzt wird, Menschen die “einzig legitime Meinung” nahezulegen, klimarettendes CO2-Sparverhalten aufzudrücken oder sonstige sozial wünschenswerte Verhaltensweisen als Voraussetzung zu nehmen, um keine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein, dann hat sich das BGE zum Erfüllungsgehilfen eines diktatorischen Regimes gemacht und sich vollständig pervertiert!

Als langjährige Befürworterin und Streiterin für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) tut es mir in der Seele weh zu sehen, was inzwischen aus der bahnbrechenden Idee geworden ist.

Dass Gegner und Nicht-Kenner des bedingungslosen Grundeinkommens es schaffen, den Begriff als Verführung zu nutzen, ist ja noch verständlich:

Wenn der Regierende Bürgermeister von Berlin angeblich ein “Grundeinkommen” einführen will, was in Wahrheit nichts anderes als eine staatliche Entschädigungsprämie für erzwungene “gemeinnützige Arbeit” ist (1). Oder die FDP mit ihrem “liberalen Bürgergeld” versucht, etwas von der Zustimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen abzugreifen (2).

Viel schlimmer ist aber, dass Initiativen für ein BGE es nun selbst geschafft haben, durch Etikettenschwindel das Grundeinkommen zu verwässern (Ein-Jahres-Gewinne gelten plötzlich als BGE) oder durch Testversuche den radikalen Charakter eines Grundeinkommens als Grundrecht auf Leben zu minimalisieren! Schauen wir mal, wie die Menschen sich mit einem BGE auf Zeit verhalten. Vielleicht ist es der Obrigkeit dann genehm und systemkonform genug, um es einzuführen? – lautet offenbar die Devise.

Natürlich kann man sagen, dass man eben kleine Schritte machen muss, um die Menschen für den völlig neuen Gedanken, dass Arbeit und Einkommen voneinander unabhängig sein müssen, zu öffnen oder sogar zu begeistern. Auch könnte man Gegnern hier und da den Wind aus den Segeln nehmen, indem man zeigen kann, dass Menschen mit einem BGE eben nicht faul werden.

Kleine Schritte bürgen aber offensichtlich auch die Gefahr, dass man die Richtung ins große Ganze verliert und sich gepaart mit aktuellen Entwicklungen – deren Mainstreamtauglichkeit man sich zudem noch anbiedert, um das BGE weiter hipp und salonfähig zu halten – das BGE ins Gegenteil verkehrt!

Wer sich heute freut, dass Bündnis90/Die Grünen ein Grundeinkommen ins Parteiprogramm aufnimmt, eine Partei, die es vor wenigen Tagen geschafft hat, die Demokratie abzuwählen, sich an der Spitze nicht mehr als pazifistisch versteht und eine radikale Umweltpolitik verfolgt (3), der hat schlichtweg im ganzen Marketingtroubel den Grundgedanken des BGE vergessen und verraten!

Und ich möchte nicht nur für Neulinge, sondern erst recht für langjährige Freunde des BGE noch mal wiederholen, dass das Wichtigste am bedingungslosen Grundeinkommen die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen war und ist.

Das Recht auf würdiges Leben in einer Gesellschaft, die es sich leisten kann und muss, das grundgesetzlich verbürgte Recht auf Leben und die freie Entfaltung der Persönlichkeit materiell einzulösen und historisch erstmals zu realisieren.

Dazu ist die absolute Grundlage, die Freiheit von jeglichen Anforderungen auf Wohlverhalten! Sei es nun Arbeitsbereitschaft oder eben ökologische, soziale oder politische “Systemkonformiertheit”!

Wenn das BGE als Verführungsprämie genutzt wird, Menschen die “einzig legitime Meinung” (4) nahezulegen, klimarettendes CO2-Sparverhalten aufzudrücken oder gar noch eine Impfbereitschaft oder sonstige sozial wünschenswerte Verhaltensweisen als Voraussetzung zu nehmen, um keine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein, dann hat sich das BGE zum Erfüllungsgehilfen eines diktatorischen Regimes gemacht und sich vollständig pervertiert!


Quellen und Anmerkungen

(1) Tagesspiegel (8.10.2018): Michael Müllers Grundeinkommen ist unsolidarisch. Auf www.tagesspiegel.de/politik/grundeinkommen-in-berlin-michael-muellers-grundeinkommen-ist-unsolidarisch/23156344.html (abgerufen am 23.11.2020).

(2) Finanznachrichten (21.2.2019): FDP will “liberales Bürgergeld” bei dem sich Mehrarbeit lohnt. Auf www.finanznachrichten.de/nachrichten-2019-02/46022998-fdp-will-liberales-buergergeld-bei-dem-sich-mehrarbeit-lohnt-015.htm (abgerufen am 23.11.2020).

(3) Vorstandsbeschluss Bündnis90/Die Grünen (6.9.2018): “Das gesamte Register an notwendigen Maßnahmen muss gezogen werden – jetzt sofort und gleichzeitig in allen Bereichen. (…) Die notwendigen Maßnahmen müssen wir jetzt vollständig, gleichzeitig und entschlossen angehen. Das ist radikal, aber die Realität der Klimakrise und des Artenverlustes wird noch viel radikaler, wenn wir nicht handeln.” Auf https://www.gruene-bundestag.de/themen/umwelt/radikale-umweltpolitik (abgerufen am 25.11.2020).

(4) Bezug zum bekannt gewordenen Youtube-Video “Die Zerstörung der CDU” des Webvideoproduzenten und Influencers Rezo. Das politische Webvideo wurde am 18. Mai 2019 im Vorfeld der Europawahl 2019 auf der Plattform YouTube veröffentlicht. Es ist eine scharfe Krtik vor allem an den Regierungsparteien und soll sogar den Ausgang der Europawahl beeinflusst haben. Mehr Informationen in den Beiträgen “Dekonstruktion und Umformation: Rezo und die Diskursführung durch YouTuber” von Dennis Hartmann und “Die Meinungsmacht der Intermediäre” von Dieter Dörr.


Redaktioneller Hinweis (25.11.2020): Der Textabschnitt “Wer sich heute freut, dass Bündnis90/Die Grünen ein Grundeinkommen ins Parteiprogramm aufnimmt, […] den Grundgedanken des BGE vergessen und verraten!” wurde von der Autorin aktualisiert und die Fußnote (3) ersetzt. In der Ursprungsversion wurde auf das YouTube-Video Richard David Precht mit Robert Habeck – Frisst der Kapitalismus die Demokratie (verfügbar auf https://youtu.be/rUEnbw_mVcQ; abgerufen am 23.11.2020) hingewiesen und auf Parallelen zum technokratisch-chinesischen Modell.


Foto: Vinicius “amnx” Amano (Unsplash.com)

Beiträge zum Hintergrund …

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Diana Aman (Jahrgang 1978) ist Vorstand der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen e. V. Berlin, die sich sowohl für die Wiedereinsetzung der Grundrechte und ein bedingungsloses Grundeinkommen als auch für die Abschaffung der Sanktionen innerhalb des Sozialsystems einsetzt. Nach ihrem Magisterstudium der Fächer Philosophie, Soziologie und Psychologie und einer Weiterbildung zur Moderatorin und Trainerin ist sie seit mehreren Jahren freiberuflich und künstlerisch tätig. Sie promoviert zum Thema Arbeitsethos und einem neuen Arbeitsbegriff an der Universität Hildesheim.

Von Diana Aman

Diana Aman (Jahrgang 1978) ist Vorstand der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen e. V. Berlin, die sich sowohl für die Wiedereinsetzung der Grundrechte und ein bedingungsloses Grundeinkommen als auch für die Abschaffung der Sanktionen innerhalb des Sozialsystems einsetzt. Nach ihrem Magisterstudium der Fächer Philosophie, Soziologie und Psychologie und einer Weiterbildung zur Moderatorin und Trainerin ist sie seit mehreren Jahren freiberuflich und künstlerisch tätig. Sie promoviert zum Thema Arbeitsethos und einem neuen Arbeitsbegriff an der Universität Hildesheim.

Eine Antwort auf „Die Pervertierung des bedingungslosen Grundeinkommens“

Ich bin mit allen Argumenten einverstanden. Genau das und noch viel mehr sind die Gefahren auf dem Weg zu BGE. Wir, und damit die Mitstreiter für BGE, viel zu euphorisch im Bezug auf die aktuelle mediale Entwicklung. Wir vergessen immer wieder, dass in der letzten Konsequenz ohne ein BGE wir nicht konform mit GG leben können.

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