Vor fast 35 Jahren hielt der Science-Fiktion-Autor Dirk C. Fleck 258 Gedanken auf Papier fest. Erst 2018 veröffentlichte er sie in “La Triviata – Der Duft der Achtziger”. Auf dem “The Deframing Channel”, einem YouTube-Kanal für Popkultur, liest er aus dem Buch vor.
Die zeitliche Distanz zum Jahr 1985 ist aus verschiedenen Gründen bedeutsam: Das Buch transportiert Eindrücke über ein Jahrzehnt des Minimalismus, verpackt in melancholischen Töne eines kritischen Denkers, der Dinge erkannte, die heute realer erscheinen, als einem lieb sein kann. Es gilt, die emotionale Bewusstlosigkeit zu überwinden, um die Gesellschaft von Grund auf zu verändern, um wirklich zu leben. Dirk C. Fleck schrieb über “La Triviata”:
Die vorliegenden Aufzeichnungen aus dem Jahre 1985 sind das Resultat einer großen Anstrengung, eines Überlebenskampfes, wenn man so will. Nachdem ich zuvor zwanzig Jahre in diversen Redaktionen gearbeitet hatte und feststellen musste, wie mein Traumberuf langsam aber stetig vom demokratischen Korrektiv zum Handlanger von Kapitalinteressen mutierte, war ich erstmals kühn genug, den Ausstieg zu wagen. Mein journalistischer Niedergang bis hin zum Verfassen von Trivialromanen für die Regenbogenpresse ist aber nur die eine Seite der Medaille. Um meinen inneren Kompass nicht gänzlich zu verlieren, machte ich es mir zur Pflicht, mich mit täglichen Fingerübungen “frisch” zu halten.
La Triviata – Der Duft der Achtziger
Gedanke 158 – Als man mir die ersten Informationen über das Dritte Reich verabreichte, hatte ich bald den Wunsch, für einige Stunden in den deutschen Alltag von 1937 eintauchen zu dürfen. Ich wäre zu gerne einmal unter jenen Menschen gewesen, die die Katastrophe zu verantworten hatten, da sie sie nicht verhindert haben. Ich wollte ihnen in die Augen schauen, um die Schuld heraus zu lesen, die sie gerade auf sich luden.
Ironischerweise lebe ich heute in einer Gesellschaft, die eine sehr viel weitreichendere Schuld anhäuft, als es das Höllenspektakel unter Hitler war. Wir haben die Endlösung parat! Die Geschichte braucht nur noch zu wählen zwischen Atomkrieg, Klimakollaps, Nullnatur, Überbevölkerung, Seuchen und Faschismus. Sie wird sich bald entschieden haben, ich rechne eigentlich stündlich damit. Andere übrigens auch. Weder für die Wissenschaft noch für die Wirtschaft, die Politik oder die Medien ist es ein Geheimnis, dass wir am Ende sind. Der Tanz auf dem Vulkan wird immer heißer. Im Angesicht des Untergangs setzen wir alles auf Gewinn.
Der kleinste Appell an die Vernunft wird gierig im Keim erstickt. Könnte man uns überleben, wären wir für unsere Nachkommen die „Autofahrer“. Dieses Schimpfwort träfe auf uns alle zu und es würde alles über uns aussagen. Die „Autofahrer“ bewegten sich gelangweilt von A nach B und opferten dafür Luft und Boden … Wie ist der Ausdruck in UNSEREN Augen? Abwesend, in Fett gestrichen. Nur an den Tankstellen blitzt unser verhängnisvoller Fanatismus durch. Von Schuldgefühlen keine Spur, das kann ich bezeugen. Im Gegenteil, unsere Gesichter sind Aushängeschilder der einvernehmlichen Aktion FORTSCHRITT. Meine Tage sind nichts als eine zitternde Erwartung vor dem Knall.
La Triviata – Der Duft der Achtziger
Außer der Reihe 31
Autor: Dirk C. Fleck
Genre: Prosa
Sprache: Deutsch
Seiten: 208
Veröffentlichung: 2018
Verlag: p.machinery
ISBN: 978-3-95765-149-5
Über den Autor: Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).
Foto, Video und Buchcover: Li Lin (Unsplash.com), The Deframing Channel (YouTube) und p.machinery
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