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Zur alten Ordnung: Onkel Joe will die ganze Welt zurück

Die Neuordnung der Welt im Sinne eines Joe Biden ist die Wiederherstellung der alten Ordnung, die von 1991 bis zur Weltwirtschaftskrise 2008, die die Erosion der US-amerikanischen Vormachtstellung einleitete, existierte.

Während in Deutschland der erste Lockdown stattfand und in den USA die Wahlen noch bevorstanden, hatte sich Joe Biden persönlich in einem selbst verfassten Artikel öffentlich zu seinen politischen Absichten erklärt. In dem renommierten Organ Foreign Affairs veröffentlichte er unter seinem Namen einen Artikel mit dem Titel “Why America Must Lead Again. Rescuing U.S. Foreign Policy After Trump” (1). Darin umriss er die von ihm im Falle eines Wahlsieges projektierte Politik. Der Artikel beinhaltete innen- wie außenpolitische Perspektiven und war alles andere als undeutlich.

Die Phalanx einer neuen Aggression

Neben einigen Äußerungen zum Umgang mit der Pandemie beschrieb Biden dort Reformvorhaben, die vor allem dazu geeignet sind, die innere Stabilität innerhalb des eigenen Landes wieder herzustellen. Die wichtigsten Linien beschrieben das öffentliche Gesundheitswesen, Maßnahmen zum Umweltschutz sowie den Bildungsbereich. Das mag als ein Versuch gelten, um innenpolitisch zu befrieden.

Außenpolitisch ist das Programm nicht nur eindeutig, sondern auch brisant. Biden spricht davon, dass die USA wieder die unangefochtene Supermacht auf dem Planeten werden müsse. Das Bild, das er in diesem Zusammenhang benutzt, spricht Bände. Er beschreibt die Rolle der USA so, dass sie wieder am Kopf des Tisches sitzen müssten, um den Diskurs über die Geschehnisse auf der Welt zu leiten.

In diesem Zusammenhang seien die Bündnisse wieder in die direkte Regie der USA zu bringen. Vor allem die NATO steht an zentraler Stelle. Und wie sollte es anders sein, es wird nicht von gemeinsamen Interessen der dort assoziierten Mitglieder geredet, sondern von den Werten, die die westlichen Demokratien verbinde. Der Plan, der dahinter steckt, ist der einer Demokratisierung der Welt nach amerikanischem Vorbild. Dass nach diesem politisch-systemischen Vorbild momentan bei gutem Willen maximal ein Sechstel der Weltbevölkerung so organisiert ist, macht deutlich, was auf der Agenda steht.

Ausgesprochen wie unausgesprochen geht es dabei um so etwas, das man als natürliche Gegner bezeichnen kann. Neben den vielen Staaten, die mittlerweile ihre eigenen Wege gehen, sind vor allem Russland und China gemeint, deren Werte denen des Westens entgegenstehen und die in die Defensive gezwungen werden sollen. Da die NATO und ihre Verbündeten dabei eine zentrale Rolle spielen, ist klar, um was es geht. Sie sollen in die Phalanx einer neuen Aggression gebracht werden. Und dass Deutschland dabei eine zentrale Rolle spielen soll, wird ebenso deutlich.

Die Neuordnung der Welt ist die Wiederherstellung der alten Ordnung, die von 1991, dem Zusammenbruch der Sowjetunion, bis zum Jahr 2008, der Weltwirtschaftskrise, die die Erosion der US-amerikanischen Vormachtstellung einleitete, existierte. Letztere brach nicht durch russische Raketen oder chinesische Annexionen, sondern durch die ökonomischen Wirkungsmechanismen des Finanzkapitalismus ein, an deren Wesen bis heute aus dem Innern keine Änderungen vorgenommen wurden. Weder die dynamische Entwicklung Chinas noch die Behauptung Russlands gegen die NATO-Osterweiterung sind verantwortlich für das Schwächeln der USA, sondern die innere Dynamik der USA selbst.

… und dann die ganze Welt

Die Willenserklärung, die Welthegemonie zurück zu holen und sich dabei exklusiv auf die eigenen Werte zu berufen, offenbart zweierlei:

  • Erstens soll an dem ökonomischen Prinzip der Verwertung nicht gerüttelt werden.
  • Und zweitens geht es darum, Expansionismus, egal wo auf der Welt, ideologisch begründen zu wollen.

Bei allem Wohlwollen, das nach der Episode eines Donald Trump bei dem einen oder anderen aufkommen mag, handelt es sich dabei um ein aggressives, bellizistisches Programm, das am Wesen des destruktiv wirkenden Wirtschaftssystems nichts ändern will und mittels des Krieges die Welt, die sich derweilen multipolar gestaltet, in die alte Ordnung zurückholen soll.


Quellen und Anmerkungen

Foreign Affairs (März/April 2020): Why America Must Lead Again. Rescuing U.S. Foreign Policy After Trump. Auf https://www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2020-01-23/why-america-must-lead-again (abgerufen am 27.12.2020).


Foto: Robert Vergeson (Unsplash.com)

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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