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Der Weltmeister: Auf der Empore der Selbstgefälligkeit

Mehr Realismus, mehr Selbstkritik und die Fähigkeit, das zu identifizieren, was tatsächlich auf der Agenda stehen muss, wäre ein erforderlicher Schritt. Von denen auf der Empore der Selbstgefälligkeit ist er nicht zu erwarten. Wer von der eigenen Bedeutung derartig besoffen ist, darf sich daher nicht wundern, wenn das Stück irgendwann zu Ende gespielt ist.

Nichts ist wichtiger als eine mit dem sozialen Umfeld korrespondierende Selbstwahrnehmung. Wer sich abkoppelt von dem Gedanken, dass das eigne Wirken etwas mit der Außenwelt zu tun hat, befindet sich bereits in einem introspektiven Labyrinth. Das mag für eine bestimmte Periode interessant sein, in Bezug auf die Existenz als soziales Wesen ist es auf Dauer fatal.

Was auffällt, ist, dass das Phänomen einer nicht mit den Erfahrungen der Außenwelt in Einklang stehende Selbstwahrnehmung zu einer Massenerscheinung mutiert ist. Immer öfter, überall und in jeder Ritze des gesellschaftlichen Daseins drängt sich eine Art isolationistische Wahrnehmung der eignen Person, der eigenen sozialen Gruppe und selbst des eignen Landes in den Vordergrund.

Innerhalb der Gesellschaft wird das in Bezug auf das Individualverhalten verstärkt bemerkt und beklagt, international sind identische Rückmeldungen nicht mehr zu überhören. Die Deutschen, so heißt es aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen, haben zunehmend ein Problem mit der real existierenden Welt.

Die Probe aufs Exempel

Allein die Sprache in Politik und Medien sollte stutzig machen. Da ist immer die Rede davon, dass wir hier in Deutschland alles besser machen. Wir managen die Pandemie besser, wie sind ökologischer, wir sind demokratischer und wir sind, der Begriff ist zentral wie häufig, weltmeisterlich oder zumindest Weltkasse. Entsprechend ist das Auftreten.

Belehrend, mit erhobenem Zeigefinger, immer die eigne Vorbildfunktion im Kopf, wird der Welt erklärt, wie es zu funktionieren hat und, in gleichem Atemzug, werden die fatalen Fehler aller anderen bemerkt. Die einen sind generell rückständig, sie haben schlecht gewirtschaftet, sie sind nicht demokratisch und sie haben die Bedeutung der Freiheit nicht begriffen. Letztere war, das haben viele vergessen, das Geschenk derer, die sie mitgebracht haben, aber das nur am Rande.

Da bleibt nur die Probe aufs Exempel. Die Bilanz der seit der Jahrtausendwende reklamierten weltmeisterlichen Vorbildfunktion hält sich in Grenzen.

  • Sozial ist die eigene Gesellschaft auseinandergedriftet wie nie zuvor,
  • technologisch haben alle Schlüsselindustrien international das Rücklicht übernommen,
  • die Infrastruktur ist veraltet und marode,
  • die digitale Transformation wird analog gemanagt, weil die Strukturen nicht angetastet werden sollen,
  • Menschenrechte werden nur dort reklamiert, wo es in den Kram passt und
  • selbst die Toleranz und das Vokabular der politischen Korrektheit beschränkt sich nur auf bestimmte Kohorten, die en vogue sind.

Der Begriff der “sozial Schwachen”, eine Diskriminierung und Verfälschung par excellence, kursiert fröhlich in allen Metiers, ohne dass sich irgend jemand darüber echauffierte. Aber es bleibt dabei, wir sind die Guten.

Weltmeisterlich auf der Empore

Die gegenwärtige Krise zeigt, wie weltmeisterlich agiert wurde und wird. Erst taugten Masken nichts, weil man keine hatte, dann waren sie lebenswichtig, dann verschlief man den Sommer und drückte in den Tarifverhandlungen die Gehälter der Pflegekräfte, um bei Wintereinbruch zu bemerken, dass sie der neuralgische Punkt sind. In Kultusministerien ging man frohen Gemüts in die Sommerferien um danach feststellen, dass die Anschaffung von IT-Equipment allein noch keinen guten Online-Unterricht ausmacht. Gleichzeitig versprach man der Bevölkerung, alles werde besser, wenn es erst einen Impfstoff gebe, um dann dabei ertappt zu werden, zu spät und zu wenig davon geordert zu werden.

Die Liste lässt sich fortsetzen. Sie belegt, was eine kritische, intelligente und alles andere als zu unterschätzende junge polnische Journalistin wie folgt in Worte fasste:

“Niemand weiß, was mit den Deutschen los ist, immer und überall wollen sie die Welt retten und sie sind trotzdem ausschließlich mit sich selbst beschäftigt.”

Wer von der eigenen Bedeutung derartig besoffen ist, darf sich nicht wundern, wenn das Stück irgendwann zu Ende gespielt ist. Die Welt ist zwar ein Theater, um einer Selbstüberschätzung der Gattung Mensch vorzubeugen, aber ein Kasperltheater ist sie dennoch nicht.

Mehr Realismus, mehr Selbstkritik und die Fähigkeit, das zu identifizieren, was tatsächlich auf der Agenda steht, das wäre ein erforderlicher Schritt. Von denen, die auf der Empore der Selbstgefälligkeit sitzen, ist dieses nicht zu erwarten.


Foto: Julius Drost (Unsplash.com)

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

2 Antworten auf „Der Weltmeister: Auf der Empore der Selbstgefälligkeit“

Der Artikel spricht mir aus dem Herzen und, nebenbei sei’s bemerkt, den Weltklasse-Begriff “Weltkasse” sollten Sie sich patentieren lassen, denn das glauben auch viele ;-))

Grüß Gott Herr Mersmann,
zuerst mal wünsche ich Ihnen ein gesundes neues Jahr und natürlich auch den Lesern.
Genau so ist es leider auch und die ständige Berieselung mit dem „ Gwaff „“ ( das ist fränkisch und bedeutet dummes Geschwätz:) von der Weltspitze und Weltklasse führt auf Dauer ja auch dazu, dass wir, das „“ Volk „“ oder wie der Franzose sagt, Le peuble, im deutschen hat Pöbel eine etwas andere Bedeutung, es auch irgendwann übernimmt und selber nicht mehr hinterfragt. Der Obermeister der Volksverdummung und Demagogie,aber ein schlauer Mann, ein Doktor der Literaturwissenschaft ! Hat mal gesagt, die Lüge muss nur groß genug sein und ständig wiederholt werden, damit sie geglaubt wird. Da sind viele leider auch schon angekommen.
Doch nun Schluss mit meinem Kommentar, weil wenn ich jetzt alles aufliste, wo Wir, die „“ Weltmeister „“ schon lange in der dritten Liga spielen, dann langt der Platz hier nicht.

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