Eine wieder und wieder aktualisierte Theorie mit praktischen Anwendungshinweisen ist die STAB-Analyse. Um es kurzzufassen: Sie unterstellt, dass in jeder Organisation vier Archetypen von Menschen anzutreffen sind. Es handelt sich um Jäger, Bauern, Entertainer und Wissenschaftler. Selbstverständlich existieren, so der Ansatz, in der Regel Mischformen. Aber es bleibt dabei: Mit den vier Typen, so die Analyse, erfasst man das Wesen einer Organisation sehr gut.
Die Archetypen in der STAB-Analyse
Wofür stehen diese Archetypen? Die Jäger sind diejenigen, die das Heft des Handelns in die Hand nehmen, die Ziele formulieren, Richtungsentscheidungen treffen und Beute ins Haus bringen. Die Bauern leben nach dem Kalender. Sie pflegen die Routine, machen ihren Job und wollen von modischen Zwischentönen nicht behelligt werden. Die Entertainer sorgen für die Stimmung, sind die informellen Multiplikatoren, halten aber auch zuweilen die anderen von der Arbeit ab. Und die Wissenschaftler sind diejenigen, die zum Kern einer Sache vordringen wollen und bei der Fokussierung auf ihre Arbeit nicht selten alles vergessen, was um sie herum geschieht.
Je nach Zweckorientierung der Organisation dominieren einzelne Typen. In einer Verwaltung die Bauern, im Showgeschäft die Entertainer, in der Forschung die Wissenschaftler. Und die Jäger? Sie sind überall vonnöten, wo man sie nicht antrifft, da wird bereits das Lied vom Tod gespielt. Denn wenn keine Entscheidungen mehr getroffen werden, wo und wie nach Beute gesucht wird, dann versiegen irgendwann die Quellen.
Natürlich ist es eine hypothetische Theorie. In der Praxis wird sie dennoch seit Jahrzehnten immer wieder benutzt und sie hat schon vielen geholfen, die sich darüber wunderten, warum ihr Laden nicht mehr lief. Wer sich dessen bewusst ist, welche Archetypen sich im eigenen Bereich tummeln, der oder die weiß genau, woran es liegen mag. Umstrukturierungen und Revolutionen macht man mit Jägern, konsolidiert wird mit Bauern, unterhalten wird mit Entertainern und Grundlegendes erforscht mit Wissenschaftlern. Und – es ist wie bei der demografischen Struktur – Resilienz entsteht durch das Vorhandensein aller Typen innerhalb einer Organisation. Allerdings kommt es auf den Proporz an.
Zeit der Jäger und das Lied vom Tod
Dass wir in Zeiten leben, in denen sich vieles ändert, dürfte von den wenigsten angezweifelt werden. Nein, anders ausgedrückt: Mit hoher Wahrscheinlichkeit leben wir in einer echten Zeitenwende. Bezogen auf die gerade erwähnte Typologie dürfte es folgerichtig sein, sich anzusehen, mit welchen Archetypen die einzelnen Organisationen unterwegs sind. Sehen Sie sich ihre eigene an und ordnen Sie zu. Und beurteilen Sie, wie die real anzutreffende Typologie auf die jetzige Phase des raschen Wandels matcht! Wenn Sie sie genau betrachten, werden Sie verstehen, warum es funktioniert oder warum nicht.
Wir leben in Zeiten der Jäger. Wer heute Risiken eingeht, um zu gewinnen, der wird gewinnen. Wer nur der Routine folgt, weil er oder sie es immer so gemacht hat, wer auf dem Flur stehen bleibt, um ein Schwätzchen zu halten und für gute Laune zu sorgen, wird bald merken, dass die Zeit über ihn hinweggerauscht ist. Wissenschaftler sollten in ihrem Element sein, immer, nur sollten sie nicht die Führung übernehmen, denn die Resultate der Organisation wollen sie sowieso nicht verantworten.
Sehen Sie sich unser politisches Personal an! Eine Wissenschaftlerin, die an der Spitze steht, besticht durch ihre Logik, doch sie dokumentiert auch, dass die Fokussierung auf das Problem alles andere ausblendet. Und der Rest? Bauern und Entertainer!
Aber, es ist zum Verzweifeln, wir leben in der Zeit des Jägers!
Foto: Uriel Soberanes (Unsplash.com)
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.