Der bevölkerungsreichste Staat der Welt wird zunehmend von westlichen Politikern und Medien als Bedrohung gesehen. Sie stufen in der weltweiten Auseinandersetzung der Systeme das Land zusätzlich zu Russland, Kuba, Nicaragua und Venezuela als Störenfried ein.
Was stört am Reich der Mitte?
In einer historisch kurzen Zeitspanne von etwa 70 Jahren ist es einer Partei mit sozialistischen Prinzipien gelungen, aus einem kaum industrialisierten Land, das bei ungünstigen Ernten Millionen Hungertote zählte, einen Staat ohne Arbeitslose und mit einem gut lebenden und gebildeten Mittelstand zu entwickeln. China hat Raketen zum Mond geschickt und das Völker verbindende Projekt der Seidenstraße begonnen.
China ist der Sprung aus einem halbkolonialen Entwicklungsland in einen modernen Staat gelungen. Seine Inlandsverschuldung ist zwar hoch, die Auslandsverschuldung aber gering. Chinesische Technologieunternehmen wie Huawei, ByteDance (TikTok) oder Alibaba haben die Weltspitze erreicht. Stichworte sind 5G und künstliche Intelligenz. Partei und Regierung haben die Wissenschaft in allen Bereichen zu einem Kernpunkt für das Land erklärt und finanziell angemessen ausgestattet.
Das Bildungswesen und wissenschaftliche Institute wurden großzügig ausgebaut. 2017 kamen in China 1,3 Millionen Patente zur Anmeldung, doppelt so viel wie in den USA und 18-mal mehr als in Deutschland. Das Land genießt die Achtung der Dritte-Welt-Staaten und der UNO.
Unbeeindruckt von Sanktionen der USA und seiner Verbündeten hält die Führung des Landes am selbstbestimmten Ziel eines Sozialismus mit eigener Prägung fest. Der beispiellose Fortschritt bescheinigt der Partei, gute Ideen und Konzepte entwickeln zu können. Das ist nur eine Komponente des Erfolges. Die wichtigere ist der Wille der Bevölkerung, die sozialistischen Alternativen zu wollen und das Projekt zu unterstützen. Chinas Führung setzt offensichtlich auf unternehmerische Freiheit, verbunden mit den Einsichten in die Notwendigkeiten der Gemeinschaft, festgehalten vom Entwicklungsplan des Landes.
Das Land soll mit dem 14. Fünf-Jahres-Plan ab 2021/2025 nach innen sozial verträglicher im Einklang mit der Natur entwickelt werden. Nach außen verfolgt die Regierung die in der Verfassung verankerten fünf Prinzipien des gegenseitigen Respekts der Souveränität und territorialen Integrität, des gegenseitigen Nichtangriffs, der gegenseitigen Nichteinmischung in innere Angelegenheit, der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Nutzens und der friedlichen Koexistenz gemäß Artikel 35. (siehe auch: Jenseits von Imperien, die Universelle Menschliche Nation – Javier Tolcachier).
Aufgaben im Kampf gegen den Klimawandel und zur Erreichung der Klimaneutralität vor 2060 wurden im Plan festgelegt. Das weltgrößte E-Auto-Unternehmen BYD produziert in der südchinesischen Stadt Shenzhen. China unterstützt das Pariser Klimaabkommen, bekräftigte Präsident Xi Jinping bei der Vorstellung des Plans.
Die Wirtschaftsentwicklung wird flankiert von zwei großen Freihandelsabkommen: mit den zehn ASEAN-Staaten sowie Japan, Australien und Neuseeland und eines zweiten Vertragswerkes vom Dezember 2020 mit der Europäischen Union.
Die Ergebnisse der politischen und wirtschaftlichen Ziele werden nicht als “Deus ex Machina” auf das Land herabschweben. Multiple Entwicklungsstufen waren und sind zu vollziehen. Reale historische Entwicklungsbedingungen werden Partei und Regierung Chinas weiter beachten.
Die westlichen Meinungsbildner verneinen, dass das sozialistische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem fähig sei, den Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht zu werden. Als Beweise werden die Resultate der Wirtschaft aus den schwierigen Anfangsjahren Russlands und anderer sozialistischer Länder vorgebracht. Die Entwicklungsbedingungen bleiben in ihrer Argumentation unbeachtet. Sie ignorieren offensichtlich, dass China wie auch andere sozialistische Länder erfolgreiche Instrumente der Wirtschaftsführung des Kapitalismus anwenden.
Es gehört zu den festen Entwicklungsgesetzen, dass bewährte Elemente aus den vorangegangenen Gesellschaftsordnungen übernommen und der neuen Logik angepasst werden können.
Ein ethnologischer Fortschritt verschwindet nicht. So übernahm der Kapitalismus zum Beispiel vom Feudalismus die Planung des Budgets/Kameralistik, die Strukturplanung, das Besteuerungssystem, ein Rechtssystem und Demokratieformen. Die sozialistischen Länder vom Kapitalismus zum Beispiel die Staatshaushalts-, Bebauungs-, Verkehrsplanung. Die Betriebsorganisation, ein Kreditsystem, Preiskalkulation, Vertragswesen, Rechtssysteme, Demokratieformen und vieles mehr.
Wie jeder andere Staat verfügt China über ein Makro-ökonomisches-Modell, mit der die Lebensgrundlage für die Bevölkerung gesichert wird. Es funktioniert in Kreisläufen der erweiterten Reproduktion (Produktion, Binnen- und Außenhandel, Konsumtion sowie mit Geldkreisläufen von Kredit und Tilgung). Es besitzt Bausteine, die gemäß der Systemlogiken jeweils anders geartete Ziele und Aufgaben verfolgen.
Beispiele sind die gleichberechtigte Bedarfsdeckung für die ganze Bevölkerung oder in abgestufter Weise. Die Verteilung der Ergebnisse der Wertschöpfungsketten in gleichen Proportionen für alle oder differenziert. Die bedarfsgerechte Verteilung der Steuereinnahmen für die Aufgaben des Gemeinwesens (Bildung, Gesundheit, Verkehr, Kultur, Wohnen et cetera) oder Militärbereiche. Die Bestimmung der Steuersätze oder Ziele der Staatsverschuldung. Unterschiede bestehen ebenfalls in der Art der Messung der wirtschaftlichen Leistung am finanziellen Zuwachs (BIP) oder Zuwachs an materiellen (GPI) und ideellen Faktoren.
Wichtig sind die praktischen Ergebnisse des Wirtschaftsmodells für die Bedarfsbefriedigung der Bevölkerung und der Stabilität des Landes.
In der öffentlichen Debatte um China werden von westlicher Seite die fehlende Einhaltung der Menschenrechte beklagt, ohne in eine wissenschaftliche Debatte über Menschenrechte einzutreten. Die Protagonisten beider Lager müssten punktuelle Defizite erklären. Auch die Gebote der großen Weltreligionen wie “Du sollst nicht töten” oder nicht den Besitz anderer begehren et cetera, könnten auf Konferenzen debattiert werden.
Die seit Thomas Morus debattierte Frage des Besitzes des produktiven Eigentums löst China mit der Anerkennung des staatlichen Eigentums (einschließlich an Grund und Boden) mit der genossenschaftlichen Form (zum Beispiel ist das Großunternehmen Huawei genossenschaftlich organisiert) und des privaten Eigentums, das umfangreich in Dienstleistungsbereichen wirksam ist. Privates ausländisches Eigentum kann in China über zeitbefristete Lizenzen tätig werden. Dass alle Eigentumsformen einen gleichen gesetzlichen Bewegungsrahmen haben, ist gegeben.
Allein die Organisationsformen in der Wirtschaft erlauben es nicht daraus das System, ob kapitalistisch oder sozialistisch, abzuleiten. In demokratischen Ländern ist die gesetzgebende Macht ein entscheidendes Kriterium. In China liegt sie in der partizipativen Demokratie und in einem gesamtstaatlichen Plan, der vom Parlament beschlossen wird. Die Verbindlichkeit des Planes hat nicht in allen Teilen Gesetzeskraft.
Dennoch gibt das Wirken der Protagonisten des Finanzkapitalismus wie Goldman Sachs, BlackRock und andere in China zu denken.
Der Virus des Geldegoismus ist auch in China anzutreffen. Präsident Xi Jinping will die Verhaltensweise als artfremd bekämpfen mit einer Anti-Korruptions-Kampagne gegen Tausende Funktionäre. Anfang Januar dieses Jahres wurde in einem Fall von den Richtern die Todesstrafe verhängt.
Regierung und Partei werden als erste Option die Weiterführung und Entwicklung des sozialistischen Modells wählen. Die Integration der 55 ethnischen Minderheiten gehört zu den wichtigen Aufgaben. Kompliziert sind die religiösen Differenzen der Tibetaner und Uiguren. Die traditionelle chinesische Kultur der Harmonie und Verantwortung sollte helfen.
Die Einhaltung internationaler Vereinbarungen gehört zu den Prinzipien chinesischer Politik. Das eigene Konzept der “Ein-China-Politik” (ein Land, zwei Systeme) zu Taiwan und Hongkong wird fortgeführt werden. Es hat bis 2020 die Zustimmung aller Mitglieder der UNO gefunden.
In Hongkong sind Aktionen der Destabilisierung der Sonderverwaltung mit ihrer begrenzten Autonomie in der Frage der Sicherheit und Außenpolitik nicht zu übersehen. Und Donald Trump hat mit seinem Außenminister Pompeo noch im Januar 2021 die Tolerierung der “Ein-China-Politik” für Taiwan aufgekündigt. Bedenklich war die Beratung der NATO im Dezember 2020 in einer Videokonferenz zu Afghanistan mit einer öffentlich bekundeten Feststellung, das China die westlichen Werte nicht teile und in neue Waffen investiere. “Das Land ist eine Herausforderung für unsere Sicherheit”, äußerte der Generalsekretär der NATO (Berliner Zeitung, 2.12.2020).
Die Versuche zur Destabilisierung Chinas mit Sanktionen und anderen Formen durch das kapitalistische Lager lassen nicht nach.
30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges wird die Totalverweigerung einer sozialistischen Alternative unvermindert fortgesetzt. Die anfänglichen Argumente sind von der gelebten Praxis in China und Russland und anderen längst widerlegt. Die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages und Grünen-Politikerin Antje Vollmer spricht von einer Überheblichkeit, von einer Hybris des Westens (Berliner Zeitung, 31.1.2021).
Zitat: “(…) Demokratien können sich nicht durch Gewalt und Unterdrückung behaupten wie Diktaturen. Sie werden auf Dauer auch nicht durch moralische Ansprachen und Propaganda begründet und verteidigt. Der Kern ihrer Daseinsberechtigung liegt darin, dass sie glaubhaft und dauerhaft den Menschen einen Rahmen von gerechtem Chancenausgleich, eine stabile Rechtsordnung, persönliche Freiheit, Friedenssicherung nach innen und außen, eine verlässliche soziale Daseinsvorsorge und gute Zukunftsaussichten für die nächste Generation garantieren.Ob die westlichen Demokratien dies alles noch für die Mehrheit ihrer Bevölkerungen leisten, ob sie wirklich als Modell für alle Gesellschaften der Erde taugen, das ist der Kern ihrer heutigen Infragestellung und Krise.”
Unentschuldbar sind die seit Jahren betriebenen Tendenzen, unentwegt Fremdenfeindlichkeiten aufzubauen, wenn über China berichtet wird. Die Lagerauseinandersetzungen der Systeme seit 1917 ist nicht beendet. Moral, Toleranz, humane Vernunft sind weiterhin gefragt. Wahlen geben jedem das Recht und die Möglichkeit, sich für ein System zu entscheiden.
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag von Günter Buhlke erschien erstmals bei unserem Kooperationspartner Pressenza und wurde von Neue Debatte übernommen und aktualisiert. Einzelne Absätze wurden zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben und Links zu weiterführenden Informationen ergänzt.
Foto: Marek Piwnicki (Unsplash.com)
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Günter Buhlke ist Jahrgang 1934 und Dipl. Volkswirtschaftler. Er studierte an der Humboldt Universität und der Hochschule für Ökonomie Berlin. In den 1960er und 70er-Jahren war Buhlke international als Handelsrat in Mexiko und Venezuela tätig und Koordinator für die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zu Lateinamerika. Später Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft, Referent im Haushaltsausschuss der Volkskammer und des Bundestages und von 1990 bis 1999 Leiter der Berliner Niederlassung des Schweizerischen Instituts für Betriebsökonomie. Günter Buhlke ist verheiratet, lebt in Berlin und engagiert sich ehrenamtlich.