Die reale Politik versagt, was bleibt, sind immer wieder reaktivierte Hoffnungsschnipsel auf bessere Zeiten, die keinen Menschen, der für seine Existenz arbeiten muss, mehr motivieren.
Krisen sind der Gradmesser für vorhandene oder nicht vorhandene Kompetenz. Was bleibt zu sagen nach nunmehr einem Jahr einer Lockdown-Geschichte?
Es begann mit der Aussage, Masken würden nichts taugen, dann wurden sie Pflicht. Ihre Beschaffung offenbarte einen Korruptionssumpf. Dann ging das EU-Präsidium auf Einkaufstour, um Impfstoffe zu besorgen und kam mit leeren Taschen zurück. Stattdessen wurde ein Impfgipfel nach dem anderen veranstaltet, mal um das System der Terminvergabe zu optimieren, mal um die Prioritäten festzulegen. Für den Fall versteht sich, dass Impfstoffe vorhanden sind, was nicht der Fall ist.
Symbolpolitik und Verantwortungslosigkeit
Was dagegen klappte, sind die psychologischen Mobilmachungen innerhalb und außerhalb des Landes. Mal ging es gegen die Jugend, die so unvernünftig ist und sich trifft, mal gegen Menschen aus allen politischen Lagern, die wagten, das Chaos zu hinterfragen. Und natürlich geht es gegen Russland und China, die den moralischen Maßstäben einer Wertegemeinschaft mit einer desolaten Administration nicht genügen, ohne das Desaster im eigenen Lager auch nur zu erwähnen, sei es die Türkei, sei es Saudi Arabien, von Frankreich nicht zu reden.
Einer der omnipräsenten Experten, die auf allen Kanälen das gequälte Publikum mit ihren Einschätzungen quälen, offenbarte, ohne es zu wollen, woran es krankt. Er verteidigte den Bundesgesundheitsminister, obwohl Mitglied einer konkurrierenden Partei, der einen bestimmten Impfstoff zeitweise nicht freigab mit der Begründung dafür habe er Verständnis, denn sonst würde der arme Mann womöglich zur Verantwortung gezogen.
Was bleibt, wenn niemand die Verantwortung übernehmen will? Die Symbolpolitik. Damit ist ein Phänomen benannt, das überall anzutreffen ist und im Grunde das Wesen der Art von Politik charakterisiert, unter dem die gesamte Gesellschaft leidet. Entscheidungen, die nichts bewirken, aber sehr gut dazu geeignet sind, das Gewissen eines lediglich im Orkus innerer Überzeugungen badenden Milieus zu beruhigen. So ganz nach dem Motto: Denen haben wir es jetzt aber wieder einmal richtig gezeigt. Nur verändert, verändert hat das nichts.
Gesellschaftsmodell Friedhof?
Es stellt sich die Frage, wie lange ein politisches Gebilde halten mag, das die Dinge einfach laufen lässt, aber nichts bewerkstelligt, was die Verhältnisse verbessern könnte. Dass die gut organisierten Lobbys ihre Geschäfte weiter betreiben können, aber alles, was einen gesellschaftlichen Nutzen hat, sei es Bildung, Kultur oder soziale Interaktion, wird gegen die Wand gefahren.
Das Mantra, das immer wieder zu hören ist, ist der Satz, das, was man tue, sei alternativlos oder man habe keine andere Wahl. Gute Führung, wahre Führung hat immer eine Wahl! Nur muss man dazu stehen. Aber das will wohl niemand. Und wenn das niemand will, dann ist das keine Führung, sondern ein Konsortium schlechter Verwalter, die sich gegenseitig beweihräuchern, die die Gesellschaft spalten, was das Zeug hält und an Feindbildern herumbasteln, die von der eigenen Unfähigkeit ablenken sollen.
In der jüngsten Verlautbarung, indem wieder einmal die Verlängerung des Lockdowns beschlossen wurde und wie im Strafvollzug erneut von Verschärfungen die Rede war, hieß es, das Land solle über Ostern ruhen. Wie lange die Ruhe währt, ist nur noch eine Frage der Zeit. Ein Friedhof ist kein Gesellschaftsmodell!
Foto: Paul Trienekens (Unsplash.com)
Leseempfehlung
Peter Kropotkin – Der Verfall der Staaten
“Der Sturz der Staaten ist bloß die Frage einer relativ kurzen Zeit unserer Geschichte, und der ruhigste Philosoph sieht den Schein einer großen Revolution, die sich ankündigt.”
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
3 Antworten auf „Gesellschaftsmodell: Das Land soll ruhen?“
Dass ein wohlhabender, entwickelter, demokratischer, europäischer Industriestaat vollkommen unvorbereitet in so eine Pandemie hineinrauscht und sich dann mit kurzfristigen Appellen und Minimalstrategien “durchzuwursteln” versucht, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Das hat meine durchaus vorhandene Phantasie überfordert…
Hallo almabu, ich nehme mal an, Sie meinen Deutschland ?
Nach Sars CoV 1, 2002 / 03 hat man sich von Seiten des Zivilschutzes mit so etwas befasst, aber die Ergebnisse landeten in der berühmten Schublade weil es halt einen Haufen Geld gekostet hätte und für das Kapitel keine Rendite abgeworfen hätte.
Jetzt ist der Ruf nach dem starken Staat da, aber der ist in unserer herrschenden Ideologie nicht vorgesehen; im Gegenteil sogar … es gilt…Staat ist schlecht… privat ist gut. Und privat bedeutet nicht Sie und andere, sondern die Renditeerwirtschaftung für das Finanzkapital.
Der tiefe Staat, der „ le peuble „“ besser überwachen kann ist das nächste Ziel.
Nun, Schluss für heute, im Bewusstsein der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit, weil das ist des Glückes Unterpfand :)
Hallo Herr Mersmann, verehrte Leser,
Ein guter Hinweis auf das Essay von Petr Kropothin, von 1885 !! Was zeigt uns das aber auch? Die Ideen sind alle schon gedacht und auch aufgeschrieben worden… und es wird sich nichts ändern.
Das „ Großleihkapital „“ – auch ein schönes altes Wort:) – hat sich damals die Herrschaft nicht nehmen lassen und wird sich auch heute diese nicht nehmen lassen. Und einen starken Staat, der im Interesse seiner Bevölkerung handelt kann es auch nicht brauchen.
Nun, mal Schluss für heute, ich muss für die nächste Vorstandssitzung etwas wichtiges vorbereiten, wegen dem Schiffsinvest, Gastanker … für den Transport des sustainable Natural Gas aus den US and A zu den Terminals an der Nordseeküste, sonst wird das nichts mit einer guten Rendite für unsere Kapitalgeber, hilft ja dann auch der deutsch-amerikanischen Freundschaft:)