Der Frühling kommt, der Himmel verdüstert sich. Ein Bild, das meteorologisch nicht so ganz passen will! Politisch trifft es im wahren Sinne des Wortes ins Schwarze. Es sieht so aus, als seien alle Optionen gezogen. Und die sind schlecht.
Ob es das Management der Pandemie anbetrifft, ob es das Erscheinungsbild des politischen Systems ist, ob es um die Verortung in einem sich ändernden internationalen Kontext geht oder, was die innere Befindlichkeit umschreibt, ob es sich um die Kluft zwischen Arm und Reich handelt, der gesellschaftliche Konsens scheint zerbröselt.
Die politische Administration hat alles getan, um sich das Ruder aus der Hand nehmen zu lassen und die gesellschaftliche Depression, die aus diesem Faktum entstanden ist, kann als ein Gemisch aus Apathie, vollen Zorndepots und Endzeitfantasien beschrieben werden. Und das entspricht, sieht man sich die mediale Vermittlung an, durchaus dem Phänomen der Erscheinung. Mit der Realität, so wie sie sich weiter herauskristallisieren wird, hat das nicht viel zu tun.
Das alte Konzept
Nach den Angriffen des neuen US-amerikanischen Präsidenten und seiner hinter ihm stehenden Entourage gegen eine chinesische Delegation brachte es deren Sprecher auf den Punkt. Er gab zu Protokoll, dass weder die USA noch der hinter ihr stehende Block, der sich der Westen nennt, nicht die Welt repräsentieren.
Das war in Bezug auf den hegemonialen Anspruch der USA ein herber Schlag. Rechnerisch, das sei bemerkt, hatte der gute Mann Recht. Denn das, was sich hinter dem alten Westen heute noch verbirgt, ist, freundlich gerechnet, ein Sechstel der Weltbevölkerung.
Das Denken, das zu anderen Schlüssen führt, ist, spinnt man den historisch Roten Faden, das Festhalten an dem alten Konzept des Kolonialismus. Nach dessen Ende im 20. Jahrhundert wurde alles getan, um die Fakten der alten Weltbeherrschung wieder zu installieren. Staatsstreiche, Putsche, fingierte Revolten, alles, was dazu tauglich erschien, wurde benutzt, um die alten Abhängigkeiten wieder herzustellen. Das ist in vielen Fällen gelungen, bei mächtigen Blöcken wie China, Russland und Indien allerdings nicht.
Der Modus Vivendi
Da hilft auch nicht die stetige Kampagne, dass dort die westliche Moral missachtet wird. Letzteres mag dazu geeignet sein, mental im Westen zu mobilisieren, den inneren Halt der angesprochenen Staaten wird es nicht gefährden. Die Koordinaten dieser Gesellschaftssysteme sind andere, ob einem das gefällt oder nicht.
Daraus erwachsen zwei Optionen. Die eine ist die alte, klassische des Kolonialismus, nämlich Krieg und Eroberung. Die andere bezöge sich auf die Akzeptanz der Verhältnisse, so wie sie sind.
Dann wäre Fantasie vonnöten, die neue Formen der Kooperation ermöglichte, um einen Modus Vivendi zu erreichen, in dem die entstehende neue Ordnung nicht durch kriegerische Handlungen in Zweifel gezogen wird.
Die Satten, die sich an Milieudebatten delektieren, werden in der neuen Ordnung so wenig Bestand haben wie das Korps der antiquierten Bellizisten. Denn die Erosion der Legitimation im eigenen Lager hat längst begonnen.
Der Dilettantismus von Karrierefiguren, die ihrerseits nichts anderes mehr repräsentieren als den Versuch, bei eigenem Wohlbefinden an einer Welt festzuhalten, die durch das Weltgeschehen längst falsifiziert ist, hat zu dem mentalen Zustand geführt, der eingangs beschrieben wurde.
Gegen die Wand oder …
Gesellschaften, in denen aufgrund der erlebten Faktizität kein Anlass mehr auf Hoffnung besteht, haben ihrerseits nur zwei Optionen: Sie können, sollten sie sich für ein „Weiter so!“ entscheiden, in hohem Tempo gegen die sprichwörtliche Wand fahren. Oder sie trauen es sich zu, sich fundamental zu verändern. Ohne Willen und ohne Vorstellung geht das nicht.
Foto: Juliano Colombaroli (Unsplash.com)
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.