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Das Motiv oder wenn das Mittel zum Zweck wird

Mit welchem Motiv gehen Menschen durch die Welt, wenn es ihnen vergönnt ist, über Macht zu verfügen? Was treibt sie an, das zu tun, was sie tun?

Mit welchem Motiv gehen Menschen durch die Welt, wenn es ihnen vergönnt ist, über Macht zu verfügen? Was treibt sie an, das zu tun, was sie tun? Die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig.

Visionäre und ihre Motive

Da gibt es, um mit einer positiven Konnotation zu beginnen, diejenigen, die eine Vision haben und dieser folgen. Sie wollen die Verhältnisse, in denen sie leben, verändern, hin zu einer von ihnen vermuteten besseren Welt. Sie nutzen die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, um positiv auf die Lebensumstände, die Arbeitsbedingungen, die sozialen Beziehungen einzuwirken.

Dabei haben sie darauf zu achten, dass die Mittel, die sie dabei anwenden, mit den Zielen korrespondieren. Denn die Zeiten, in denen der Zweck die Mittel heiligte, liegen hinter den meisten Zivilisationen.

Wer vorgibt, etwas Gutes erreichen zu wollen, darf sich nicht der Illusion hingeben, dass brachiale Gewalt, die uneingeschränkte Ausübung von Macht vom betroffenen Publikum mehrheitlich toleriert wird. Vielleicht ist es ein letztes Residuum der europäischen Aufklärung, dass die Glaubwürdigkeit derer, die diesen Umstand ignorieren, passé ist. Auch wenn, auch das gehört zur Wahrheit, von interessierter Seite kräftig an der Demontage dieses Zusammenhangs gearbeitet wird.

There is no alternative

Das Gift, das dazu aus dem Schrank geholt wird, trägt die Aufschrift “moralische Legitimation”. Was sich zunächst ganz und gar nicht danach anhört, trägt dazu bei, den Grundsatz von einer Entsprechung von Zweck und Mittel zu pervertieren. Es wird der Schein erzeugt, dass ein guter Zweck gar nicht anders erreicht werden kann, als zu Mitteln zu greifen, die weit außerhalb des Tolerablen liegen und die alle anderen Möglichkeiten eines anderen Handelns ausblenden.

Der Slogan, unter dem das stattfindet, lässt sich unter dem Motto “There is no alternative” (1) am besten zusammenfassen. Mit dieser Maxime werden drastische Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung wie auch Kriege legitimiert.

Ideen, die andere Möglichkeiten auftäten, werden durch Kampagnen diskreditiert. Wir leben in einem Zeitalter, in der eine ganze Industrie von Meinungsschmieden existiert, die nicht anderes machen, als die Optionen eines moralisch, ethisch oder auch politisch anderen Szenarios als abseitige Anwandlungen Irregeleiteter darzustellen. Sie arbeiten im Auftrag von Interessengruppen, ob aus Wirtschaft oder Politik und erzeugen eine Atmosphäre, die den Gesellschaftsvertrag, so wie er in den Sternstunden der bürgerlichen Demokratie formuliert wurde, zerstören.

“Weiter so!” im ideologisierten Echoraum

Die Erkenntnis, die sich aufdrängt und durch keine auch noch so wohlwollende Form der Toleranz mehr akzeptiert werden kann, ist, dass das Abdriften in die martialische Konfrontation ein Faktum geschaffen hat, das den gesellschaftlichen Konsens ausschließt.

Dogmatismus, ideologisches Gebell, Angst, Zorn und Hass sind die Folgen. Die Zustände, die in den Gesellschaften der bürgerlichen Demokratien momentan zu beobachten sind, sprechen diese Sprache. Die Vision ist verloren, der Konsens dahin, ein Diskurs über die Zukunft wird nicht mehr geführt. Denn, und da sollten keine Illusionen entstehen, mit einem “Weiter so!” ist nichts mehr zu gewinnen.

Die bestehenden Strukturen, die Institutionen und die Bürokratien sind sich selbst genug und folgen ihrer eigenen Rationalität. Sie sind nicht mehr Mittel, um politisch zu gestalten, sondern sie sind Zweck geworden. Das merken weder die Handelnden noch ihr ideologisierter Echoraum. Und darin liegt ihr Dilemma. Die unmittelbare gesellschaftliche Erfahrung aller, die nicht dieser Nomenklatura angehören, und der Begriff ist bewusst gewählt, sieht anders aus. Für sie existieren Alternativen, eine einfache Erkenntnis, auch wenn das eine ungewohnte Formulierung ist.


Quellen und Anmerkungen

(1) Der Slogan “There is no alternative” (deut.: Es gibt keine Alternative), auch bekannt als TINA, wurde von der konservativen britischen Premierministerin Margaret Thatcher verwendet. Sie wollte damit ihre Behauptung betonen, dass die Marktwirtschaft das einzige System wäre, das funktionieren würde, und dass die Debatte darüber beendet sei. Thatchers Ideologie und somit das Verständnis von Alternativlosigkeit, letztlich eine Verpackung der neoliberalen Strategie, drückte sich aus in konservativen Gesellschaftsvorstellungen, dem Abbau des Sozialstaats, wirtschaftsliberaler Reformen und der Niederhaltung sozialer und ökologischer Forderungen. Diese Einstellung, die der Privatisierung und dem Marktfundamentalismus die Türen öffnet, gleichzeitig radikale, weil notwendige ökologische und soziale Maßnahmen unterbindet, also destruktiv wirkt, ist mittlerweile in den meisten führenden Industrienationen bestimmend.


Foto: K. Mitch Hodge (Unsplash.com)

Leseempfehlung

Intro zur radikalen Grunderneuerung der Gesellschaft

Lassen Sie mich bitte vorwegschicken, dass dieser Text, der in drei Teile zerlegt ist, keine Ideologie aus dem Geschichtskarton bespricht, keine Reform zur Linderung einer stechenden Befindlichkeit fordert und keine abgeschwächte Variante des “Weiter so” anbietet. Er ist viel radikaler angelegt.

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Das Motiv oder wenn das Mittel zum Zweck wird“

Heinrich Heine:

„Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht. Das Leben will dieses Recht geltend machen gegen den erstarrenden Tod, gegen die Vergangenheit, und dieses Geltend machen ist die Revolution. Der elegische Indifferentismus der Historiker und Poeten soll unsere Energie nicht lähmen bei diesem Geschäfte; und Schwärmerei der Zukunftsbeglücker soll uns nicht verleiten, die Interessen der Gegenwart und das zunächst zu verfechtende Menschenrecht, das Recht zu leben, aufs Spiel zu setzen.“

Ein Beispiel, wie entsprechende Mitteln zu konkreten Zwecken genutzt werden:

In der kapitalistischen Wirtschaftsweise werden Gebrauchswerte hauptsächlich als Mittel zum Zweck hergestellt, um durch deren Verkauf möglichst hohe Profitraten generieren zu können. Der so erwirtschaftete Profit wird aber nur zu einem geringen nicht ausreichenden Teil in die Reproduktion des Produktionsprozesses investiert, weil der andere Teil zu privaten Zwecken abgeschöpft wird. Darum müssen die Betriebswirtschaften zur ständigen Fortsetzung der Produktion Kredite für Investitionen aufnehmen die mit Zinsen zurück- beziehungsweise als Dividenden ausgezahlt werden müssen. Wenn also von Betriebswirtschaften nicht genügend Gewinn generiert wird und sie insolvent werden, werden die Geldgeber die Besitzer des jeweiligen Kapitals. Oder anders gesagt, wenn sie nicht genügend Profit erwirtschaften sind sie irgendwann zahlungsunfähig, müssen ihr Eigentum verkaufen und sind enteignet. So gibt es weltweit immer mehr von der Finanzwirtschaft abhängige Eigentümer von Produktionsmitteln. Sie befinden sich in machtpolitisch gestütztem, juristisch garantiertem Besitz der Finanzoligarchie.

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