Jahrzehnte sind die Emissäre der Republik um den Erdball gereist und haben in anderen Ländern den hiesigen Föderalismus gepriesen: Als ein Modell, das vor allem dazu geeignet ist, einen Zentralismus zu verhindern, der die regionalen Besonderheiten plattwalzt, eine Diktatur verhindernd und die Einheit in Vielfalt sichernd.
Jetzt, wo die Regierung – wie die auf ganzer Linie versagenden Medien – mit Corona alles begründen, was Machtzentralisation rechtfertigt und die die Verhältnisse zurückkatapultiert haben in einen Zustand der Dämmerung, beschließt das von jeder demokratischen Regel innerlich entbundene Kabinett mal eben ein Gesetz, das das föderale Prinzip aufhebt.
Und der im Schloss Bellevue in schlecht sitzenden Anzügen verweilende Präsident säuselt Zustimmung als Hintergrundchor! Nein, das ist alles keine Satire mehr, das ist der Bankrott der Regierenden in Bezug auf die Einhaltung ihres eigenen Bezugsrahmens, das ist das Totalversagen einer Presse, die den Auftrag hat, solche Machtergreifungs- und Ermächtigungsfantasien zu verhindern, das ist die Implosion des Präsidentenamtes.
Das Syndrom der Allmachtsfantasie
Und komme niemand mehr mit einer Krise der Parteien! Die Wenigen, die im kaltgestellten Parlament sitzen und sich noch trauen, den Mund aufzumachen, kommen aus dem Minoritätenfeld und der ganze Rest sitzt dort wie die geschorenen und kurz vor der Schächtung befindlichen Schafe. Mit Ausnahme der Grünen, die noch monieren, der Coup d’état käme viel zu spät. Auf die Form von Humor muss man erst einmal kommen!
Dass die Verhältnisse unterschiedlich sind, wenn man München-Mitte mit Ostfriesland/Küste oder Stuttgart mit Rügen vergleicht, verstehen zumindest nicht diejenigen, die ihre Karriere einer zunehmend zentralisierenden Macht zu verdanken haben. Jedem anderen Menschen ist diese Grundlogik sonnenklar und sie bedarf keiner besonderen Erläuterung.
Und eine Regierung, die angesichts der Erkenntnisse über die Ansteckungsgefahr von Viren tatsächlich glaubt, republikanisch regeln zu müssen, wer wann alleine in seinem Garten – sofern er oder sie einen hat – sitzen darf, die hat schlichtweg das Syndrom der Allmachtsfantasie aufzuweisen.
Die Selbstherrlichkeit
Wer jetzt noch applaudiert, dem muss leider der Vorwurf gemacht werden, das Wesen des Föderalismus nie verstanden zu haben, und dem muss vorgeworfen werden, dem Appell zur Etablierung diktatorischer Strukturen zu folgen. Das tun leider – noch? – viel zu viele, weil sie Angst vor dem Virus haben und glauben, die Regierung handele in gutem Glauben. Letzteres scheint zu stimmen, jedoch nur in Bezug auf die Überhöhung der eigenen Selbstherrlichkeit.
Enden, ja, enden wird das jetzt relativ schnell und erst mal relativ schlecht. Egal wie. Entweder das Land und seine Bevölkerung nimmt dieses Ermächtigungsgesetz widerstandslos hin und verwirkt das eigene Recht auf demokratischen Bestand oder der Unsinn wird gestoppt und der Föderalismus als das begriffen, was in Form anderer, viel weiter gehender Gebilde einer politischen Regionalisierung in die Zukunft weist. Aber auch dann sprechen wir über eine fundamentale Staatskrise.
Und für alle, die es nicht so haben mit dem Gesetz, sei noch ein Hinweis gegeben, der den Zaun der eigenen Folgsamkeit umzureißen in der Lage ist:
“Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.”
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20, Absatz 4.
Foto: Karina Carvalho (Unsplash.com)
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Andere Abhilfe contra Allmachtsfantasie“
Wozu noch aufregen? Schließlich ist das bereits die 4. Auflage vom Ermächtigungsgesetz, das schon in seiner 1. Auflage hätte gestoppt werden müssen, spätestens aber am 18. November 2020, als Steinmeier den Hindenburg spielte.
Aber wenn selbst Anne Will in ihrer Sendung eine Steilvorlage für die Bundeskanzlerin bot, in dem sie im Interview genau diese Allmachtphantasien frenetisch befeuerte und die ganze Hofpresse verstummte und/oder mit applaudierte, muss sich nicht wundern, wenn wir nun wieder knöcheltief im Totalitarismus feststecken.
Man braucht nur zurück zu schauen aus welchen Stall die Kanzlerin kommt und was sie in einem Jahr „P(l)andemie“ an selbstherrlicher Überschätzung und Inkompetenz hinterlassen wird mit Zustimmung ihrer Landesfürsten, die sich teilweise in Bürger-Entrechtung-Enteignung überboten und sich dabei auch noch die Taschen vollstopften.
Mal sehen, wie viele Jahre noch vergehen werden, bis diese ganze dilettantische Maskerade enttarnt und Konsequenzen haben wird, aber dann, hat wieder keiner was gewusst…