Menschen, die sich gemeinsam in einer Gesellschaft arrangieren, haben Vereinbarungen zu treffen. Die beziehen sich auf Rechte, Freiheiten und Pflichten, die alle betreffen und ein Regelwerk, das eine Ordnung etabliert, die das Zusammenleben ermöglicht und das Existenzielle garantiert.
Die Geschichte liefert in dieser Hinsicht unterschiedliche Entwicklungsphasen, von der Alleinherrschaft von Tyrannen und Autokraten, der Herrschaft von Klassen bis hin zu dem, was als die moderne Demokratie bezeichnet wird.
Die Staatsform allein, das sei bemerkt, sagt jedoch nicht unbedingt alles aus über tatsächliche Rechte und Freiheiten. Aufgeklärte Monarchien haben ihren Bürgern in dieser Hinsicht so manches Mal mehr gegeben als formale Demokratien, die nichts als ein potemkinsches Dorf für eine Klassengesellschaft waren. Wie überall im Leben ist das Wesen einer Sache längst nicht durchschaut, wenn man lediglich auf das Etikett blickt.
Grundfragen
Aber wie ist es denn wirklich? Wie können wir erkennen, ob es in einer Gesellschaft und deren Ordnung so zu geht, dass sich die einzelnen Glieder als voll akzeptierte Subjekte fühlen, unabhängig von der Klassen- oder Individualfrage? Gibt es etwas, wodurch aufgeschlüsselt werden kann, inwiefern sich die Gesellschaft als Herrschaft einer Gruppe über die anderen oder als Arrangement von Gleichen mit unterschiedlichen Rollen begreift?
Unabhängig von der Staatsform scheint es so etwas zu geben. Es zu finden ist gar nicht so schwer und es lässt sich in wenigen Sätzen beschreiben. Demnach unterbreiten in den Gesellschaften, in denen sich die Regierenden als funktionale Auftragnehmer des Ganzen verstehen, diese der Gesellschaft Vorschläge, deren Vor- und Nachteile sie darlegen und werben um die Zustimmung.
Ihr Verhältnis zu ihren Auftraggebern ist weder devot noch diktatorisch, und der Gestus, mit dem sie regieren, kann am besten mit dem Funktionsmodell von Appell und Belohnung beschrieben werden. Sie appellieren, um für bestimmte Verhaltens- und Handlungsweisen zu werben und sie belohnen diejenigen Gruppen oder Individuen, die sich daran halten.
Regel und Sanktion
Im anderen negativen Fall betrachten sich die Regierenden als über der Bevölkerung stehende, sie fühlen sich dieser überlegen und sie handeln ihr gegenüber, als hätte sie es mit Unmündigen zu tun, die nicht wüssten, was gut für sie ist.
Das gedankliche Modell, das sich im Regierungsverständnis wie im Regierungsstil niederschlägt, ist das von Regel und Sanktion. Alle Aktivitäten werden darauf ausgerichtet, ein dichtes, alle Eventualitäten berücksichtigendes Regelwerk zu erstellen, in dem festgelegt ist, wer was in welchen Situationen zu tun oder zu lassen hat.
Und es wird, quasi als logische Konsequenz zu jeder Abweichung von dem im Reglement festgelegten Verhalten, eine Sanktion bestimmt, die dafür sorgt, dass der normativen Forderung von Verhalten bei Nichtbefolgung eine Sanktion folgt, die bestraft.
Der Zuchtmeister
Nicht, dass, egal in welcher Gesellschaft, auch Fälle wie Letztere ihre Existenzberechtigung hätten, quasi bei schweren Fällen der Schädigung des Gemeinwohls.
Wenn sich allerdings im Lager der Regierenden die Betrachtung von Regel und Sanktion als die Ultima Ratio für alle Fälle etabliert, dann ist die Pforte zur Herrschaft in schlechtestem Sinne weit offen, der Obrigkeitsstaat, bleiben wir in unserer Zeit, der geführt wird von einer bürokratischen Nomenklatura, hat sich etabliert. Appelle mag es noch geben, Belohnungen sind nicht in Sicht, die Sprache ist die eines Zuchtmeisters, wohin man schaut, Regeln und Sanktionen.
Es erscheint ein guter Rat zu sein, sich genau anzuschauen, wer mit dieser Denkweise, der von Regel und Sanktion unterwegs ist. Auch und vor allem bei der Entscheidung, wohin in Zukunft die Reise gehen soll.
Foto und Video: Tech Nick (Unsplash.com) und Gerhard Mersmann
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.