Kategorien
Meinung

Das große Rom, die Integration und die Globalisierung

Einer Versuchung, die aus heutiger Sicht vielleicht naheliegend wäre, unterlag Rom nie: Wenn weder Talent noch Leistung stimmte, gelangte niemand zu Amt und Würden.

Wie einst im sprichwörtlich “Alten Rom” ähneln sich die Zustände. Auch dort, nachdem das Imperium militärisch gesichert war, versicherte man sich der Stabilität durch Normierung. Egal wohin der Reisende kam, überall galten die gleichen Gesetze.

Überall war vorgeschrieben, unter welchen Bedingungen man Handel treiben durfte, es gab Normen, wie die Schulen auszusehen hatten, wie Besitz erworben und veräußert werden konnte etc. etc.. Was die römischen Herrscher nicht taten, das war eine Normierung des Glaubens. Jeder Mensch unter der römischen Sonne konnte sich bekennen, zu was er wollte, sofern es nicht mit der weltlichen Gesetzgebung kollidierte.

Talente und Irrungen

Hatte die römische Vorherrschaft mit den alteingesessenen Patrizier-Familien begonnen, so erforderte die Expansion, die heutige Historiker auch die erste ernst zunehmende Phase der Globalisierung nennen, mehr Personal, als aus dieser Quelle zu versorgen war. Ergo begannen die Pragmatiker, die ihrerseits immer die entscheidenden Weichen in diesem Weltreich gestellt hatten, mit der Rekrutierung von Menschen, die aus allen Regionen des Reiches kamen, unabhängig von ihrer Ethnie oder Religion.

Wurden Talente entdeckt, so erfuhren sie Förderung. Und glaubte man, dass sie dem Reich gegenüber loyal waren, dann standen ihnen die Tore offen für Karrieren in Politik, Verwaltung und Militär.

Aber auch da gab es Irrungen, wie im Falle des Cheruskers Arminius, der in Rom alles gelernt hatte, bevor er sich mit seinen Kenntnissen und den barbarischen Stämmen seiner Heimat gegen die Legionen des Varus stellte und sie vernichtend schlug (1). Der Vergleich seiner Biografie mit der des Osama bin Laden (2) ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich.

Identifikation und Unterwerfung

Die neuen, erfolgreichen Karrieren der Adaptierten aus den Provinzen galten dennoch nicht, wie manche aus dem Patrizier-Lager anfangs befürchtet hatten, als eine Erscheinung, die das System der Macht destabilisiert hätte. Ganz im Gegenteil: Die Möglichkeit, unter dem Titel Rom zu Reichtum, Macht und Ansehen zu gelangen, führte bis auf wenige Ausnahmen dazu, auch in den befriedeten Provinzen, wie es damals so aufschlussreich formuliert wurde, die Identifikation mit dem Imperium zu fördern.

Wenn, so dachten viele von den Jungen und Talentierten, man aus der provinziellen Enge herauskommen konnte und dabei noch ein auskömmliches Leben führe, so konnte die Idee des Imperiums so schlecht nicht sein.

Und nicht nur die Identifikation der Talente mit dem Reich wurde gesteigert, sondern auch die Autonomie der Provinzen, oder das, was von ihnen noch übrig blieb, wurde in Bezug auf die Zukunft noch mehr geschwächt. Die Kreativen zog es nach Rom, die Soliden blieben zurück und hatten sich zu unterwerfen.

Globalisierung und Leistung

Einer Versuchung, die aus heutiger Sicht vielleicht naheliegend wäre, unterlag Rom allerdings nicht: Wenn weder Talent noch Leistung stimmte, gelangte niemand zu Amt und Würden.

Zwar gab es Vetternwirtschaft bei den Alteingesessenen, da wusch eine Hand die andere, wer aber von außen aus den Provinzen sein Glück in Rom finden wollte, der musste Leistung vorweisen und erbringen. Der bloße Verweis auf Ethnie, Kultur oder Religion hätte die Meister der weltlichen Macht allenfalls amüsiert, jedoch nie dazu bewogen, jemanden zu rekrutieren.

Und, und das ist ein weiteres Argument für den gelegentlichen Exkurs in die Geschichte, obwohl das große Rom so klug war bei der Erhaltung seiner Macht, und obwohl es bei der Integration nie den Gedanken der Leistung über Bord geworfen hatte, ging es irgendwann unter. Das große Reich. Im Zeitalter der Globalisierung.


Quellen und Anmerkungen

(1) Arminius (etwa 17 v. Chr. – etwa 21 n. Chr.) war ein Fürst der Cherusker, der den Römern im Jahre 9 n. Chr. in der Varusschlacht mit der Vernichtung von drei Legionen sowie Tross und Hilfstruppen (zusammen bis zu 20.000 Mann) eine ihrer verheerendsten Niederlagen beibrachte.

(2) Osama bin Laden (vermutlich 1957 oder 1958 bis 2011) war ein Terrorist und Gründer sowie Anführer der Gruppe al-Qaida. Bin Laden, der aus einer wohlhabenden saudischen Unternehmerfamilie stammt, die in den 1980er-Jahren den Kampf der Mudschaheddin im Sowjetisch-Afghanischen Krieg mit Geld, Waffen, Ausbildungslagern und Bauprojekten unterstützte, soll unter anderem die Terroranschläge vom 11. September 2001 geplant haben.


Foto: Marco Biondi (Unsplash.com)

Leseempfehlung

Der vergessene Krieg in Afghanistan

Seit 20 Jahren ist Deutschland am Krieg in Afghanistan beteiligt – dieser Sündenfall der Nachkriegsgeschichte interessiert heute kaum jemanden mehr. Anfang März wurde im Bundestag erneut über das Mandat zum Afghanistankrieg debattiert und entschieden.

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Wie ist Deine Meinung zum Thema?

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.