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Wirtschaftsliberalismus: Die im Dunkeln sieht man nicht?

Es wird Zeit, dass Menschen aus dem Handwerk, der Industrie, kleine Unternehmer und eben auch die Underdogs, die als die tatsächlichen Verlierer der Globalisierung zu sehen sind, in die Parlamente kommen.

Momentan ist das alle Themen dominierende das nach der Repräsentanz. Werden die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ausreichend gewürdigt? Finden sie Zugang zu den entsprechenden Stellen und Ämtern? Ist es immer ein Fall von Diskriminierung, wenn in vielen Funktionen immer noch die so stigmatisierten alten weißen Männer zu finden sind? Die Fragen sind legitim und überfällig, wenn sie nicht davon abgekoppelt werden, ob die dazu erforderliche Fähigkeit auch vorhanden ist.

Das, so muss beobachtet werden, spielt in vielen Fällen keine Rolle mehr, was zu einer Verzerrung führen kann und dazu beiträgt, alte Ressentiments wieder aufleben zu lassen.

Aber die Verhältnisse sind so, wie sie sind, und es ist müßig, die darüber herrschende Aufregung weiter zu befeuern, ohne Fragen zu stellen, die das Problem so beschreiben, dass Wege gefunden werden können, um das herrschende Narrativ als das zu überführen, was es ist: die Geschichte einer versuchten Privilegierung einer bestimmten, kleinen, aber einflussreichen Schicht der Gesellschaft.

Die Opfer des Wirtschaftsliberalismus

Greifen wir die Frage doch einfach auf und weiten das Spektrum von Ethnie, Religion und sexueller Orientierung aus auf eine Gruppe, die selbst im Schatten steht, ihrerseits allerdings zahlenmäßig alles in den Schatten stellt, was sich bislang im Fokus der Diskussion befindet.

Es handelt sich um die Niedriglohn-Jobber, die Arbeitslosen, die Empfänger sozialer Transferleistungen. Ihre Zahl ist groß, sie sind in vielerlei Hinsicht das Opfer dessen, was gerne so euphemistisch als die offene Gesellschaft gepriesen wird. Selbst bei schwerer Arbeit und erbrachter Leistung reicht das, was sie verdienen, nicht zum Überleben und schon gar nicht für das, was als kulturelle Teilhabe bezeichnet wird.

Über diese tatsächlich große Gruppe der Gesellschaft wird immer wieder geredet. Die Art, wie das geschieht, resultiert nicht selten aus einem Gestus der Verachtung, und man braucht auch in Deutschland nicht immer Hillary Clintons Ausdruck der Deplorables, der Bedauernswerten zu zitieren, um die ganze Verachtung herauszuhören, die von einer bestimmten Warte geäußert wird (1).

Sie sind die Rückständigen, die die Komplexität der globalisierten Welt nicht verstehen, und sie neigen dazu, sich für rechte Optionen zu entscheiden. Dass sie Opfer genau jener Politik sind, die die Handschrift des Wirtschaftsliberalismus trägt und die den Sozialstaat immer weiter demontiert, wird gerne vergessen.

Und plötzlich stellt sich heraus, dass genau diejenigen, die in einem sozial etablierten Kosmopolitismus schwelgen, durchaus für das Debakel Verantwortung tragen und nicht jene, die von der Verbitterung profitieren. Eigentlich ist es nicht so schwer, das zu verstehen, doch gegen diese Erkenntnis ist der innere Kreis des alternativen Hypes bestens imprägniert.

Der politische Raum und die Underdogs

Sozial ist die gesellschaftliche Segregation bereits vollzogen, aber im Gegensatz zu Ethnie, Religion und sexueller Orientierung interessiert das die Repräsentanten in Politik und Medien nur rudimentär.

Folglich ist es mehr als überfällig, dass auch sie, die Underdogs, Zugang zu Mandat und Funktion zu erhalten. Das wird nicht freiwillig geschehen, denn die Privilegien und Vorteile, die das momentan herrschende, ideologisch festgelegte Milieu genießt, würden durch den Zugang anderer sozialer Schichten aus der Bevölkerung nicht mehr so sicher sein, wie es die herrschenden Verhältnisse versprechen.

Es wird Zeit, dass Menschen aus dem Handwerk, der Industrie, kleine Unternehmer und eben auch die Underdogs, die als die tatsächlichen Verlierer der Globalisierung zu sehen sind, in die Parlamente kommen, dass sie in Organisationen des öffentlichen Lebens an maßgeblicher Stelle präsent sind und dass sie in der Lage sind, dort ihre Anliegen zu formulieren.

Fazit

Es wird hoch interessant sein, wie die selbst exponierten Anti-Diskriminierer auf derartige Anliegen reagieren werden. Da stünde eine Enthüllung bevor, die das Narrativ von der schönen neuen Welt in die Belanglosigkeit befördert.


Quellen und Anmerkungen

(1) “Basket of deplorables” (deutsch: Sammelbecken der Bedauernswerten) ist eine Phrase aus einer 2016 gehaltenen Rede der demokratischen Kandidaten Hillary Clinton im Präsidentschaftswahlkampf. Damit beschrieb sie einen Teil der Anhänger ihres Gegners Donald Trump. Clinton bemerkte in ihrem 2017 erschienenen Buch “What Happened”, dass die Äußerung einer der Faktoren für ihre Niederlage gewesen sei.


Foto: BP Miller (Unsplash.com)

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

2 Antworten auf „Wirtschaftsliberalismus: Die im Dunkeln sieht man nicht?“

Globalisierung der Wirtschaft, Verelendung der (noch) arbeitenden Bevölkerung, Anstieg der Arbeitslosen müsste eigentlich zu einer Überwindung des Nationalismus führen, wenn dieser nicht zur territorialen Abgrenzung (Hetze bis hin zur Kriegsführung) bei Bedarf abgerufen werden können muss?

Lieber Herr Mersmann, das wäre für die Eliten dann der wirklich blanke Horror. Damit würde man die Deutungshoheit + den medialen Platz Eins verlieren.

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