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Meinung

Grüne Schattenspiele

Schummeln bei den formalen Voraussetzungen führen in den Personalbüros privater wie öffentlicher Unternehmen in der Regel dazu, dass eine Zulassung zum weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen wird. In der Politik sieht das anders aus.

Allein das Räsonnement ist heikel. Aber fangen wir mit einem Bericht an, den kürzlich ein Vertreter eines modernen, international operierenden IT-Unternehmens erstattete. Er selbst ist ein international sozialisierter, moderner Mensch, dem man nicht nachsagen kann, er stünde für antiquierte Lebenskonzepte oder ein traditionelles, eingestaubtes Rollenverständnis.

Er erzählte, dass es in seinem Konzern, dort vor allem in Skandinavien, mittlerweile Usus sei, gemäß einer selbst gewählten Quote Frauen auf Vorstandsposten zu setzen.

Manchmal sei das richtig und erfolgreich, manchmal aber auch ein Dilemma, weil es zuungunsten von Männern ginge, die sich für diese spezielle Funktion als geeigneter erwiesen. Konsequenz des Unternehmens sei es, den weniger qualifizierten Frauen Männer zuzuordnen, die quasi im Verborgenen und mit reichlicher finanzieller Kompensation die weniger qualifizierten weiblichen Vorstände unterstützen. Sein Kritikpunkt bezog sich vor allem darauf, dass das Vorgehen des Konzerns der eigenen Belegschaft bekannt sei und zum Ergebnis habe, dass großes Unbehagen gegenüber der Förderung leistungsfähiger Frauen insgesamt herrsche.

Inszenierung der Schattenspiele

Die Geschichte kam mir wieder in den Sinn, als ich die Reportagen über den gegenwärtigen Parteitag der Grünen verfolgte. Mit der Entscheidung, an der jetzigen Kandidatin für das Kanzleramt festzuhalten, und der Art und Weise, wie der Parteitag inszeniert wurde, fiel dann doch eine Analogie zu dem auf, was aus dem IT-Konzern berichtet wurde.

Wenn richtig mitgezählt, mussten bereits sieben Korrekturen in der veröffentlichten Vita der Kandidatin vorgenommen werden und zudem wurde eine nicht vorgenommene Deklarierung von Einnahmen gegenüber dem Bundestagspräsidium bekannt. Das sind, gelinde gesagt, Vorfälle, die in dem beschriebenen Unternehmen bereits zu einem Aus geführt hätten. Schummeln bei den formalen Voraussetzungen führen in den Personalbüros privater wie öffentlicher Unternehmen in der Regel dazu, dass eine Zulassung zum weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen wird.

Besonders auffällig bei besagtem Parteitag war allerdings, dass ausgerechnet der intern unterlegene Kandidat in die Bresche sprang und eine flammende Verteidigungsrede hielt, die an das beschriebene Prozedere erinnerte, einen Mann an die Seite schwächelnder Frauen zu stellen, um es zu richten. Da ist es kein böswilliger Schluss, sondern folgerichtig, das Vorgehen als einen Schlag gegen die Förderung leistungsfähiger Frauen insgesamt zu entlarven.

Denn es ist, unabhängig vom Geschlecht, ein altes, ja ein sehr altes Spiel, das dokumentiert, wie Dominanz unabhängig von Kompetenz organisiert werden kann. Übrigens ein Spiel, dass auch in vielen autokratischen Staaten immer gerne gespielt wird. Man setzt Symbolfiguren in die Funktionen, die eine bestimmte Botschaft vermitteln sollen und lässt andere, weniger populäre, aber intern mächtige Gestalten das Spiel der Macht inszenieren.

Es soll nicht darüber spekuliert werden, wer sich hinter der Kulisse positioniert hat, obwohl bestimmte Politiker, die längst jenseits der grünen Gründungsprogrammatik ihr Unwesen treiben, sich eine Figur ausgesucht haben, die optisch vieles mitbringt, was der Common Sense (1) akzeptiert, allerdings schwach genug ist, um sie mit ritterlichem Gestus so steuern zu können, dass die eigene Agenda keinen Schaden nimmt.

Die Spiele beginnen

Vieles spricht dafür, dass ein solches Szenario gerade im Gange ist. Und vieles spricht dafür, dass die wahren Hardliner, und seien Sie sicher, es sind keine Frauen, im Hintergrund Regie führen. Dass dabei die Restposten eines einstigen grünen Aufbruchs verramscht werden, ist egal. Schließlich geht es ums Ganze. Das grüne Schattenspiel hat begonnen.


Quellen und Anmerkungen

(1) Der gesunde Menschenverstand (auch Gemeinsinn oder Hausverstand) ist der vor allem erfahrungsbezogene und allgemein geteilte Verstand des Menschen beziehungsweise dessen natürliches Urteilsvermögen; eine Form natürlicher Urteilskraft. “Gesunder Menschenverstand”, “Gemeinsinn” oder auch “Urteilskraft” und andere werden häufig mit dem Begriff Common Sense beschrieben.


Foto: Dimitar Belchev (Unsplash.com)

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Unter der Lupe: Wollt ihr das totale Grün?

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Grüne Schattenspiele“

Schon sportlich, wenn die Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland mit Konzernchefs gleichgesetzt werden. Besonders bedenklich erscheint mir, dass die Männer “im Verborgenen”, in der 2. Reihe, dem gleichen Parteisoldaten-Rekrutierungsprozess entstammen.
Was bedeutet es für den Rechtsstaat, wenn das auch intellektuelle oder emotionale Flachzangen sind?

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