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Meinung

Die Fußball-EM als demagogisches Theater

Im Nachklang zur Fußball-EM ist zu konstatieren, dass das Gemeinsamkeitsgefühl, das für den Gedanken eines vereinigten Europas nötig ist, nicht mehr existiert.

Das Turnier ist vorüber und die Fronten scheinen klar zu sein. Betrachtet man die Kommentare auf Artikel in den Sport- wie Massenjournalen, dann finden sich unzählige Einträge, die sich auf das Verhalten der englischen Fans beziehen.

Fußball-EM ohne Sportsgeist

Da wird moniert, dass beim Abspielen der Nationalhymnen der jeweiligen Gegner Englands kräftig gebuht wurde, da wird unsportliches Verhalten auf dem Platz beklagt, da werden die martialischen Motivationsversuche des englischen Trainers attackiert, der vor dem Spiel gegen Deutschland vom Zweiten Weltkrieg gefaselt hat. Da herrscht Kopfschütteln wegen Hasstiraden gegen ein kleines Kind in deutschem Trikot, das weinend im Stadion saß, da hagelt es Vorwürfe, warum sich die britische Regierung in Zeiten von Corona nicht gegen das Ansinnen der UEFA gestellt hat, Sicherheitsabstände im Wembley-Stadion zu ignorieren und da existiert Entsetzen gegenüber der Reaktion von Teilen des Publikums, das in rassistischer Weise auf die Schützen misslungener Elfmeter reagiert hat.

Summa summarum entsprechen alle beklagten Verhaltensweisen nicht dem Bild, das einst von englischem Sportsgeist und dem damit verbundenen Fairness-Begriff existierte. So wie es aussieht, hat England nicht nur das Finale verloren, sondern auch seinen Ruf.

Der jeweilige Gegenstand der Empörung kann nicht geleugnet werden. Doch bei der Erklärung dafür wird es zumeist nebulös. Zum einen ist zu konstatieren, dass das Gemeinsamkeitsgefühl, das für den Gedanken eines vereinigten gemeinsam agierenden Europas nötig ist, nicht mehr existiert. Der Verlust bezieht sich nicht nur auf England, sondern auch auf Ungarn, das ebenso in der Kritik stand – und dies nicht einmal wegen des Auftretens seiner Fans oder seiner Mannschaft, sondern wegen eines Gesetzes, das die Regierung eingebracht hatte. Im Westflügel führte das Gefühl, dass eine administrative Zentralisierung der EU die nationale Souveränität gefährde zum Brexit, im Ostflügel ist diese Befürchtung ebenfalls vorhanden und sie wird weiterhin einen Konflikt eskalieren.

Demontierter Journalismus

Zum anderen ist das Bild, welches von den englischen Fans nun hierzulande vorherrscht, eine ziemlich genaue Replik auf die Kontur, die durch die englische Presse mit ihren Massenorganen des Murdoch-Konzerns (1) seit Jahren über Rest-Europa gezeichnet wurde. Es wurden Feindbilder auf beiden Seiten produziert, die in Zeiten von Dauerkrisen, die mit Existenzängsten prall gefüllt sind, auf fruchtbaren Boden fielen.

Die Talfahrt des Journalismus, die durch die Monopolisierung der Presse und die Instrumentalisierung derselben durch Regierungen stattgefunden hat, ist verantwortlich für die tiefe, emotional aufgeladene Spaltung zwischen verschiedenen europäischen Nationen. Der gemeinsame Geist eines europäischen Projektes ist am Boden und es wird nach Fehlern gesucht, die selbstverständlich bei den jeweils anderen liegen. Genau das ist die Botschaft, die ein durch monopolistische Besitzverhältnisse und daraus resultierenden Produktionsverhältnissen demontierter Journalismus in die Welt setzt.

Man mag darüber spekulieren, wem das nützt. Auf jeden Fall jedoch dem Ressentiment und der Verschärfung der Konkurrenz. Die nächsten Maßnahmen, die bekanntlich nur noch aus Sanktionen bestehen, werden auf der jeweiligen Seite emotional auf fruchtbaren Boden fallen und die Spaltung beschleunigen.

Der Sand in den Augen

Wenn es eine Blaupause für die Art und Weise gibt, wie so etwas zu bewerkstelligen ist, dann war es diese Fußballeuropameisterschaft. Das zum Teil praktizierte Niederknien einzelner Mannschaften vor dem Spiel gegen Rassismus oder das Präsentieren von Regenbogensymbolen war der Sand, der in die Augen gestreut wurde.

Wenn es jenseits der sportlichen Ereignisse ein Fazit dieses Turniers gibt, dann sollte es die Weigerung sein, sich instrumentalisieren zu lassen: Auch in England und Ungarn leben viele Menschen, denen es genauso geht wie uns hier. Zum Teil sind sie verzweifelt, zum Teil suchen sie nach Wegen, wie sie aus der Krise herauskommen. Das ist doch eine Gemeinsamkeit, die stärker ist als jedes demagogische Theater.


Quellen und Anmerkungen

(1) Rupert Murdoch (Jahrgang 1931), ein in Australien geborener US-amerikanischer Medienunternehmer, war Gründer, Vorsitzender und CEO der News Corporation. Er ist zurzeit Executive Chairman der News Corp und der Fox Corporation.

Nach dem Tod seines Vaters übernahm Murdoch in Australien die Führung im väterlichen Medienunternehmen, das aus zwei Zeitungen in Adelaide und einem Radiosender bestand. Murdoch kaufte und gründete weitere Publikationen in Australien und weitete seine Marktpräsenz im Laufe der Zeit auf Großbritannien, die USA und einige asiatische Märkte aus. 1989 tätigte er seine erste Investition in den Fernsehmarkt und übernahm in Großbritannien Sky Channel.

Während der 2000er Jahre baute er seinen Einflussbereich im Satellitenfernsehen, in der Filmindustrie und im Internet aus. 2006 wurde geschätzt, dass zirka 2 Prozent der global vertriebenen Medien unter dem Einfluss von Rupert Murdoch stehen. Mehr Informationen auf https://de.wikipedia.org/wiki/Rupert_Murdoch (abgerufen am 14.7.2021).


Foto: Chien Nguyen Minh (Unsplash.com)

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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