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Der Mob und die Nieten in der Lostrommel

Die Wahlen zum Bundestag rücken näher. Die Menschen wollen von jenen, die Mandate anstreben, wissen, wie die Zukunft aussieht. Ohne Wenn und Aber. Keine Beschreibungen einzelner Maßnahmen, die sich auf das Zurückblickende beziehen, sondern Klartext.

Die Liste ist lang. Sehr lang. Bei der Lektüre der Zustandsbeschreibungen des Landes, die zurzeit kursieren, trifft man auf eine unendliche Abfolge von bitteren Erkenntnissen. Das ist so kurz vor einer Wahl ein Indiz dafür, dass alles möglich ist.

Die Lostrommel

Unwille, Zorn und Verbitterung sind Gemütsverfassungen, die ein rationales Urteil nicht gerade begünstigen. Folglich ist damit zu rechnen, dass vor allem Emotionen darüber entscheiden werden, ob Menschen zur Wahl gehen werden oder wen sie gewillt sind zu wählen. Die Republik, die sich für viele gar nicht mehr so anfühlt, gleicht einer Lostrommel: Ausgang ungewiss; mit der einzig sicheren Prognose, dass aus solchen Gefäßen nur wenige Gewinne und sehr viele Nieten gezogen werden.

Fragt man die Menschen auf den Straßen, dann beklagen sie vor allem im Hinblick auf die nicht enden wollende Abfolge von Krisen, dass von dem ehemalig vermuteten und teils auch beobachtbaren Organisationstalent nicht mehr viel übrig geblieben ist.

Eine sich zunehmend welt- und lebensfremd generierende Bürokratie agiert langsam, umständlich und überfordert, in den politischen Ämtern sind kaum noch Menschen zu finden, die gewillt sind, Verantwortung zu übernehmen und dort, wo einmal der Pioniergeist herrschte, hat sich ein lauwarmer Geist der Absicherung, des Opportunismus und der Gefallsucht breitgemacht.

Und wo der Finger auf die Wunden gelegt wurde, in Presse und Medien, leiert das Band der Rechtfertigung, Unternehmen, die den Globus eroberten, meiden das Risiko und treffen konformistisch ihre Entscheidungen und dort, wo gute Ideen den Unterschied machen könnten, findet sich kein Investor mehr.

Stattdessen folgt man einer Schimäre nach der anderen, Hauptsache, sie kaschiert die eigene Verantwortung und Unzulänglichkeit. Mal sind es Skeptiker im eigenen Land, mal sind es Bösewichter am sogenannten Rande der EU, mal ist es Russland, mal China, mal ein amerikanischer Präsident und mal in störrisches Inselvolk im eigenen Westen.

Die Illusion

Der Zorn, der sich jedes Mal entlädt, ist das Ventil, das gebraucht wird, um der Verzweiflung eine Richtung zu geben. Vieles entspringt vielleicht sogar der eigenen inneren Überzeugung, aber es führt mit Sicherheit zu einem erneuten Zustand eines neuen deutschen Sonderweges, der sich vor allem über die eigene, nicht vorhandene Überlegenheit stützt. Dass allein die Frage, ob das gut gehen kann, dazu führt, von der größten lokal existierenden Echokammer mit dem Vorwurf der Brunnenvergiftung konfrontiert zu werden, dokumentiert nicht nur, wo man gesellschaftspolitisch wieder unrühmlich gelandet ist, sondern auch, dass der Glaube an eine schnelle, zumindest mentale Wende aus der Misere eine Illusion bleibt.

Wie war das in der jüngeren Geschichte, wenn Staatsoberhäupter und die ihnen unkritisch folgende Entourage solche Slogans bemühten, die mit folgenschweren Sätzen begannen wie “Immer weiter, immer weiter”? Zumeist dauerte es nicht lange, sondern es ging überraschend schnell, dass ihr Kartenhaus zusammenbrach und nichts mehr übrig blieb von der ganzen Konstruktion.

Und wie unglaublich ist die Verblendung, wenn jetzt diejenigen, die bei den nächsten Wahlen ein Mandat anstreben, glauben, sie könnten aus den letzten Krisen, die allen noch in den Gliedern stecken, auch weil so vielen deutlich wurde, dass da mit einer falschen Perspektive und einer fragwürdigen Haltung gearbeitet wurde, noch profitieren?

Der Mob

Der Mob, von dem sie sich in ihrer Lebensweise distanziert haben und von dem die Mandate vergeben werden, der will wissen, wie die Zukunft aussieht. Ohne Wenn und Aber, einfach nur Klartext. Keine einzelnen Maßnahmen, die sich auf das Zurückblickende beziehen. Wer das glaubt, hat sich elementar getäuscht.


Foto: Bruce Warrington (Unsplash.com)

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

2 Antworten auf „Der Mob und die Nieten in der Lostrommel“

Auf der Feier zum 1-jährigen Bestehen der Basispartei am Olympiastadion in Berlin hat Dr. Wodarg auch angesprochen, dass Direktmandate (Erststimme) die Demokratie repräsentieren. Nachdem “Pfingsten in Berlin” verboten wurde, ich aber als Anmelder Menschen nach Berlin gelockt habe, die hier von der Polizei mißhandelt wurden, habe ich mich entschlossen statt der außerparlamentarischen Opposition die Parlamentarische zu suchen. Seit Montag bin ich im Wahlkreis 80 als unabhängiger Direktkandidat zugelassen. direkt – bürgerschaftlich – unabhängig

Hallo Herr Mersmann, verehrte Leser,

So ist es und so lassen wir es auch :)
Ein guter Hinweis auf Rainer Mausfelds … Angst und Macht …
Zum Glück hat das keine große Verbreitung, sonst würde uns der Mob, oder wie wir Franzosen sagen, le peuble, mitbekommen, was wir wirklich treiben.
Nun Schluss für heute, ich muss noch etwas für die nächste Vorstandssitzung vorbereiten… Agrarinvest am Ovagango … 64000 squaremiles kaputten, ungepflegten Wald in eine schöne Palmölplantage umwandeln. Da können wir für unsere Kapitalgeber eine gute Rendite erzielen :) bis demnächst

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