Organisationen, Staaten und Gesellschaften weisen dann einen reifen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wenn sich diese Perspektiven in der eigenen Demografie widerspiegeln (1).
Das Szenario ist bekannt:
Ist eine Gesellschaft zu juvenil, dann schreitet sie mit einer ungeheuren Dynamik und Zielstrebigkeit in das, was sie als Zukunft begreift, und verursacht in der Regel Kollateralschäden, die die Geschichtslektüre zu einem beschämenden Kapitel für die Menschheit machen. Dominiert hingegen das mittlere Alter, was aus der Logik demografischer Entwicklung nicht nur selten, sondern auch allenfalls für sehr kurze Perioden der Fall ist, dann ist der Fokus in der Regel auf das Heute und den damit verbundenen Machterhalt gerichtet. Diese Art von Organisationen und Staaten sind Momentaufnahmen.
Die dritte Variante wird repräsentiert durch die Dominanz der Alten. Sie glauben die Welt zu kennen und zu wissen, wie sie funktioniert, aber sie halten die Chancen, etwas zu verändern, für sehr gering.
Die Schlussfolgerung aus der Betrachtung kann nur sein, sich eine Normalverteilung zu wünschen, in der die Kompetenzen der drei Generationen, die in jedem sozialen Organismus präsent sein können, tatsächlich auch aufzuweisen sind. Ist dies nicht der Fall, kommt es unweigerlich zu den genannten Verzerrungen.
Die Hegemonie von gestern
Der Zusammenbruch der alten Weltordnung durch aufkommende neue, juvenile Mächte und die Zerstörung bisher für unumstößlich geglaubter Strukturen durch den rasanten technologischen Wandel stellen alle Gesellschaften des Planeten unabhängig von den bekannten Problemen wie soziale Ungleichheit und Klimaveränderungen vor große Herausforderungen.
Es lohnt sich, die vorgenommene demografische Betrachtungsweise auf die Weltbevölkerung anzuwenden. Dann sehen wir einen großen, juvenilen Teil, der die bestehende Ordnung gefährdet oder bereits dabei ist, diese aufzulösen.
Und es existiert ein systemisch unabhängiger Teil, der als Momentaufnahme wird stehen bleiben und für die weitere Entwicklung keine Relevanz hat, aber als Stabilisator im Prozess der Veränderung durchaus von Gewicht sein kann. Und die dritte Kategorie repräsentiert die Hegemonie von gestern und kann als Repräsentanz des Alters gesehen werden.
Ließe man den Kräften den freien Lauf, so ist es mehr als wahrscheinlich, dass die jungen Gesellschaften die Welt gewaltig auf den Kopf stellen, die ausgeglichenen nur einen Augenblick der Ruhe werden spenden können und die alten Gesellschaften krachend zusammenstürzen.
Dass die Kompetenzen der unterschiedlichen Generationen im gesamten Weltgefüge zu einer konzertierten Aktion zusammenfinden werden, ist eher unwahrscheinlich. Aber es wäre eine Überlegung wert, auch wenn sie utopisch bliebe. Man stelle sich vor, die innovative Dynamik würde kombiniert mit der Beherrschung guter Verkehrsformen und dem Einblick in die sozialen Folgen des jeweiligen Handelns. Das wäre perfekt; die Welt gelänge zu Lösungsansätzen, die über die Form der Kooperation und nicht der Konfrontation eine Chance hätten.
Gegensatz der Demografie überwinden
Es wäre ziemlich unverfroren, es dabei zu belassen, die Kooperation der Generationen als ein erstrebenswertes Ziel zu skizzieren und gleichzeitig mitzuteilen, dass es bei einer Utopie bleiben wird. Aber um die Hand zur Versöhnung zu reichen, wie wäre es, wenn wir alle versuchten, das Modell im Alltag zu leben:
- Fragt die Jungen und lasst sie sprechen, wenn es um die Zukunft geht,
- lasst die schon Erfahreneren und Gesetzten die Prozesse organisieren und
- seht den Alten in die Augen, wenn ihr Antworten sucht, was die Pläne jenseits des Augenscheinlichen alles bewirken können.
Es wird bereichernd sein. Und vielleicht auch dazu beitragen, die große Utopie etwas mehr auf das Terrain der Realität ziehen.
Quellen und Anmerkungen
(1) Die Demografie ist eine Wissenschaft (Bevölkerungswissenschaft oder auch Wissenschaft der Populationen), die sich statistisch und theoretisch mit der Entwicklung von Bevölkerungen und ihren Strukturen befasst. Sie untersucht die alters- und zahlenmäßige Gliederung, die geografische Verteilung sowie die umweltbedingten und sozialen Faktoren, die für Veränderungen verantwortlich sind.
Foto: Luke Southern (Unsplash.com)
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Über die Kunst mit Trauer und Tod zu leben
“Rasch tritt der Tod den Menschen an, es ist ihm keine Frist gegeben; es stürzt ihn mitten aus der Bahn, es reißt ihn fort vom vollen Leben (…)” – ein schwacher Trost von Friedrich Schiller.
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Demografie: Die Generationen im Weltgefüge“
Interessante Betrachtungsweise, und in einer Demokratie ist die Einbindung aller gesellschaftlicher Kräfte sicher geboten. Wie Mensch in der heutigen Zeit sieht, sollte allerdings eine zweite Kategorisierung nicht fehlen: Die Einkommensverhältnisse. Auch hier gibt es drei Gruppen: Die eine lebt von der Hand in den Mund, die zweite kommt gut zurecht, die dritte hat im Überfluss und kann Geld in Macht umwandeln.
Ein guter Hinweis auf das Essay, ruft es doch mal wieder die Endlichkeit des eigenen Lebens ins Bewusstsein. Aber das entlastet nicht die Alten zum… weiter wie bisher und nach mir die Sintflut… das wäre zu einfach. Das Alte vergeht und das Neue entsteht, erst dann schließt sich der ewige Kreislauf der Natur. Der Jugend gehört die Zukunft und die steht mit gewaltigen Herausforderungen kurz vor uns. Und für eine gute Zukunft haben auch wir, die Alten, einen Beitrag zu leisten damit auch die heute Jungen in Zukunft den schicksalhaften, ewigen Überlebenskampf unseres Volkes meistern können. Wou, mit diesen pathetischen Sätzen habe ich mich heute selber übertroffen:)
Nun, im Bewusstsein der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit, weil das ist des Glückes Unterpfand, für die Zukunft :)