Afghanistan bleibt weiterhin ein Thema, vor allem weil sich etwas abzeichnet, was vor wenigen Tagen noch unmöglich schien: Das politische Milieu hat sein diplomatisches Herz für die Taliban entdeckt, für jene Gruppierung, die sich unter den rivalisierenden islamistischen Gruppen als stärkste erwiesen hat und sich nun anschickt, das Machtvakuum am Hindukusch auszufüllen.
Auf den schnellen Abzug der US-Streitkräfte und ihrer Verbündeten folgte der nicht minder schnelle Verstoß der Taliban. Dies zeigt, dass die Besatzungstruppen und die vom Westen in der Vergangenheit gestützte Regierung in Kabul das Land nie wirklich unter Kontrolle hatten. Es wurde vor allem versäumt, die Bevölkerung für die eigene Sache, und sei die noch so abstrakt, zu gewinnen: Wie auch, wenn unzählige Menschen verschleppt, gefoltert und Tausende umgebracht werden (1). Jetzt zeichnen sich die Konturen einer neuen Ordnung ab.
Afghanistan, der Super-GAU?
Teil 6: Die neue Ordnung
Von Klaus Hecker
Die Taliban sind als Verhandlungspartner anerkannt, die Regierung von Präsident Aschraf Ghani, der in die Vereinigten Arabischen Emirate geflohen ist, ist aus dem Spiel. Die dafür nötigen politischen Grundlagen wurden 2018 geschaffen, als die US-Regierung unter Präsident Donald Trump in Gespräche mit den Taliban eintrat (2). Der vom amtierenden US-Präsidenten Joe Bidens verkündete Truppenabzug war der Knockout für Ghani und seine Regierung, für die auf dem geopolitischen Schachbrett kann Feld mehr frei ist.
Normalisierung in Afghanistan
Afghanistan war für die USA ein teures Unterfangen. Etwa 2 Billionen US-Dollar wurden buchstäblich verballert: Die größten Summen gingen für das Militär und Kriegsgerät drauf, der vielfach beschworene Aufbau des Landes blieb aus (3). Deutschland hat sich das Kriegsabenteuer etwa 12,5 Milliarden kosten lassen (4).
Wie geht es jetzt weiter? Man wird sich nach 20 Jahren Krieg in Afghanistan neu ausrichten. Die USA wollen die Kräfte bündeln und sich anderen Aufgaben widmen, die wichtiger sind … Und die Taliban, die brauchen Verbündete und werden sie finden – mittlerweile auch im Westen. Das nennt sich dann Normalisierung.
In seiner neuen Podcast-Serie “Afghanistan, der Super-GAU?” versucht unser Autor Klaus Hecker die Geschehnisse in die gesamtpolitische Lage einzuordnen. Im sechsten Teil geht er auch auf die Rollen von China und Russland ein, die vermeintlichen Hauptfeinde des Westens.
Quellen und Anmerkungen
(1) NZZ (19.8.2021): 240 000 Tote, 5,5 Millionen auf der Flucht – die grausame Bilanz des 20-jährigen Krieges in Afghanistan. Auf https://www.nzz.ch/international/der-krieg-in-afghanistan-forderte-240000-tote-ld.1640684 (abgerufen am 6.9.2021).
(2) FAZ (19.8.2021): Ghani flieht, Karzai verhandelt. Auf https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ghani-und-karzai-der-eine-flieht-der-andere-verhandelt-17492768.html (abgerufen am 6.9.2021).
(3) NZZ (23.8.2021): Wo die Billion Dollar geblieben ist, welche die USA in den Afghanistan-Krieg gesteckt haben. Auf https://www.nzz.ch/international/afghanistan-krieg-was-die-billionen-investition-gebracht-hat-ld.1640697 (abgerufen am 6.9.2021).
(4) Tagesschau (17.4.2021): 12,5 Milliarden Euro für Bundeswehreinsatz. Auf https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/verteidigung-kosten-101.html (abgerufen am 6.9.2021).
Foto und Audio: Brooke Cagle (Unsplash.com) und Klaus Hecker
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Klaus Hecker (Jahrgang 1954) ging nach dem Abitur in Wetzlar 1973 nach Marburg und studierte Deutsch, Politik und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien. Von 1985 bis 2017 war er in der Universitätsstadt Lehrer an der Carl-Strehl-Schule, einem Gymnasium für Sehbehinderte und Blinde. Seit jeher engagiert er sich in sozialen und politischen Initiativen und tut dies noch heute. Als DSV-Lehrer "Skitour und Alpinist" ist er häufig im Alpenraum unterwegs.