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Weltpolitik: Vom Imperialismus bis zu Kairos!

Dass der reklamierte gemeinsame politische Wille nur dann einen nennenswerten Stellenwert hat, wenn keine eigenen Geschäftsinteressen im Spiel sind, war nie anders. In Bezug auf die Etikettierung von Kriegsbündnissen als Wertegemeinschaften war der Vorfall um das neue Militär- und Technologiebündnis AUKUS wieder einmal eine gute Lektion.

Es ist beklemmend wie erkenntnisreich: Der Vorfall um das neue Militär- und Technologiebündnis AUKUS zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA hat gezeigt, welchen Charakter die NATO mittlerweile angenommen hat (1). Frankreich, das einen Vertrag über rund 40 Milliarden US-Dollar mit Australien über die Lieferung von U-Booten hatte, war plötzlich außen vor, als die USA ein Konkurrenzangebot gemacht hatten (2).

Es wird deutlich, dass der reklamierte gemeinsame politische Wille nur dann einen nennenswerten Stellenwert hat, wenn keine eigenen Geschäftsinteressen im Spiel sind. Das war nie anders, aber in Bezug auf die Etikettierung von Kriegsbündnissen als Wertegemeinschaften war das wieder einmal eine gute Lektion. Die Seele des imperialen kolonialen Westens ist das Geld.

Weltpolitik … und Berlin schweigt!

Dass nun Frankreich ausgegrenzt wurde, ist sicherlich kein Zufall. Präsident Emmanuel Macron war es, der angesichts der Gefahr, zu einem Bürzel der USA zu verkommen davon sprach, die NATO sei hirntot (3). Er bekommt nun die Quittung für sein garstiges Verhalten.

Frankreich ist bis dato die einzige europäische Macht von Gewicht, die es gewagt hat, von eigenen, von den USA unterschiedenen Sicherheitsinteressen zu sprechen. Und Macron hatte dafür plädiert, gemeinsame Interessen der EU-Staaten mit Russland und China auszuloten und daraus eine eigene Politik abzuleiten.

Man stelle sich vor, Deutschland schlösse sich einer solchen Betrachtungsweise an. Erwüchse daraus nicht ein Signal für die USA, dass man es nicht mehr nur mit blind gehorchenden Wachhunden zu tun hätte? Doch wie es so oft in heiklen Situationen treffend heißt: Berlin schweigt! Es gibt ja genug Felder für heißes Geschrei im Bereich der praktisch folgenlosen Symbolik.

Die Aggressivität des Imperialismus

Abgesehen von dem Skandal um den australischen Vertragsbruch und die Schiebermentalität der USA verdeutlicht die Gründung von AUKUS die Aggressivität, mit der die militärische Eindämmung der aufstrebenden Macht China betrieben wird.

Die als zunehmende Gefahr beschriebene Aktivität Chinas besteht allerdings weder in kriegerischen Handlungen noch in völkerrechtswidriger Erpressung, worin sich die NATO unbestrittene Skills erworben hat, sondern in einer strategisch angelegten wirtschaftlichen Vorgehensweise: auf Verträgen, die nicht auf Nötigung, kriegerischer Erpressung et cetera basieren, wie zum Beispiel der britische Raub Hongkongs (4).

Dies als neuen Imperialismus zu beschreiben, ist aus dem Munde der alten Kolonialmächte und der sie übertrumpfenden imperialistischen Macht der USA nur dann möglich, wenn die Propagandamaschine läuft wie geschmiert. Wie hieß es noch neulich im heute Journal? Großbritannien sei die Schutzmacht der Demokratie in Hongkong! Lauter kann der Kolonialismus nicht schön gelogen und bejubelt werden.

Kolonialismus im kollektiven Bewusstsein

Während in Deutschland der Moment einer neuen geostrategischen Positionierung an der Seite Frankreichs mit Zielsicherheit verschlafen wird, weil man sich in einem Wahlkampf einig ist, dass bündnispolitisch alles in bester Ordnung ist, zeigt die NATO dennoch Risse. Und in dem die einzelnen Teile hinter dem Konfrontationskurs der USA blechern hinterherdümpeln, zeigt die Argumentation auch die abgrundtiefe Ignoranz gegenüber dem vermeintlichen Konkurrenten China.

Wer glaubt, die mentale Situation dieses Landes ließe sich an der Befindlichkeit urbaner Eliten bemessen, kopiert den immer wieder gemachten Fehler der USA. Zu deren Doktrin, die sich stets als falsch erweist, gehört der Glaube, man müsse den Menschen – unabhängig von ihrem Kulturkreis wie ihrer Geschichte – nur die entsprechende Freiheit geben und sie entschieden sich für den Kapitalismus und die damit verbundene parlamentarische Demokratie. Die Taten des Kolonialismus und das Wesen des Imperialismus sind im kollektiven Bewusstsein Chinas sehr präsent. Und dahin, da sind sich die meisten sicher, will niemand zurück.

Und Kairos, der antike Gott, der die Gelegenheit bekanntlich beim Schopfe zu greifen verstand, fühlt sich – wieder einmal – in Deutschland nicht zu Hause (5).


Quellen und Anmerkungen

(1) AUKUS ist ein trilaterales Militärbündnis zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Es wurde Mitte September 2021 geschlossen. Die USA und Großbritannien sollen im Rahmen des Bündnisses Australien bis März 2023 insbesondere bei der Entwicklung und dem Einsatz von Atom-U-Booten unterstützen. Zudem sollen Kenntnisse zum Beispiel zu künstlicher Intelligenz, Quantentechnologie und Cyberthemen ausgetauscht werden. Das Militärbündnis, dass das Wettrüsten anheizt, die Weltpolitik verändert und zu einer weiteren Destabilisierung des Friedens führt, richtet sich offenkundig gegen den wachsenden Einfluss der Volksrepublik China in der Indopazifikregion.

(2) ORF (19.9.2021): Streit über “Lügen” im U-Boot-Deal. Auf https://orf.at/stories/3229098/ (abgerufen am 20.9.2021).

(3) Tagesschau (7.11.2019): Macron nennt NATO “hirntot”. Auf https://www.tagesschau.de/ausland/macron-nato-101.html (abgerufen am 20.9.2021).

(4) Hongkong ist eine Sonderverwaltungszone mit einem relativ hohen Maß an Autonomie. Nach 156 Jahren britischer Kolonialherrschaft hatte die Volksrepublik China am 1. Juli 1997 die Souveränität und Kontrolle über Hongkong übernommen. Die chinesische Zentralregierung versucht, die Autonomie abzubauen. Dies führte 2014 zu Protesten (Regenschirmbewegung) und 2019 zu anhaltenden Massenprotesten.

(5) Kairos ist ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenutztes Verstreichen nachteilig sein könnte. In der griechischen Mythologie wurde der günstige Zeitpunkt als Gottheit personifiziert.


Foto: Daniel Koponyas (Unsplash.com)

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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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