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Regierungsbildung unter dem Auge der Plutokratie

Das große Wort, alles sei verhandelbar, hat seit dem Ende des Kalten Krieges und der damit beendeten Systemkonkurrenz die Runde gemacht. Vor allem das Milieu, das momentan das Denken der politischen Kaste und der Medien prägt, hat sich anhand dieser Maxime durch die Zeit geschaufelt. Und seien wir ehrlich: Viele sind dem Glauben tatsächlich verfallen.

Manchmal sind die Slogans, denen sich eine Zeit verschrieben hat, auch ein Indiz für den Ausgang des Dramas, das sich vor aller Augen abspielt. Slogans sollen den Geist der Zeit manifestieren und das Wesen der Beziehungen, aus denen eine Gesellschaft besteht, charakterisieren.

Das große Wort, dass alles verhandelbar ist, hat seit dem Ende des Kalten Krieges und der damit beendeten Systemkonkurrenz bis in die letzten Fugen der Gesellschaft die Runde gemacht. Vor allem das Milieu, das momentan das Denken der politischen Kaste und der Medien prägt, hat sich anhand dieser Maxime durch die Zeit geschaufelt und sie überall propagiert.

Alles ist verhandelbar! Und, seien wir ehrlich, viele sind dem Glauben tatsächlich verfallen.

Verhandelbarkeit als Aberglaube

Die Probe aufs Exempel zu machen fällt hingegen nicht schwer. Die Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft sind nach wie vor durch den Besitz geprägt. Wenn ein Prozent der Bevölkerung, wie unter anderem auch in der Bundesrepublik, über so viel Besitz verfügt wie auf der anderen Seite 50 Prozent der Menschen, dann ist die Frage der freien Verhandelbarkeit von Ressourcen, Beziehungen und Lebensverhältnissen schnell beantwortet.

Global gesehen verhält es sich ähnlich: Diejenigen, die mit ihren Waffen und Streitkräften dominieren, bestimmen über diejenigen, die lediglich mit ihrem zivilen Lametta protzen. Der General bestimmt, wohin marschiert wird. Und er seinerseits erhält den Befehl von dem, der über die Mittel verfügt. So frei ist das Verhandeln seit dem Ende der Geschichte!

Dennoch lässt das den Geist des gesellschaftlichen Diskurses dominierende Milieu nicht von der Maxime ab. Und folglich wird auch die Politik von diesem Satz geleitet. Ein wunderbares Beispiel dafür liefern die zwischen drei Parteien geführten Sondierungsgespräche als Vorbereitung für Koalitionsverhandlungen.

Es ist kein Zufall, dass die Möglichkeit eines Regierungsbündnisses von liberalen, neoliberalen und sozialdemokratischen Kräften von dem Vertreter der Grünen in den Raum gestellt wurde. Genau in seinem politischen Milieu ist der Satz über die Möglichkeit der allgemeinen wie allseitigen Verhandelbarkeit ein Glaubensbekenntnis.

Dass die anderen Kräfte die Idee freudig aufgegriffen haben, hängt mit dem Wunsch zusammen, das politische Ruder wie die staatliche Gewalt in die Finger zu bekommen. Legitim ist das alles, ob es allerdings zu dem führt, was da in die schöne Welt des nicht kritisch hinterfragten Wunsches gesprochen wird, kann bei den existierenden Besitz- und Machtverhältnissen angezweifelt werden; denn soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsliberalismus stehen sich diametral gegenüber.

Plutokratie und destruktive Kräfte

Es ist nicht im Interesse der Plutokratie, dass diese schlichte wie letztendlich entscheidende Wahrheit in die Köpfe kommt (1). Auch, weil es dazu führen würde, die einfache Möglichkeit einer solchen Koalition zu hinterfragen. Denn um ehrlich zu sein, andere Tableaus erscheinen noch absurder.

Die Christdemokraten erwecken mit keiner Regung mehr den Eindruck, als dass sie die Kompetenz eines geschäftsführenden Ausschusses der besitzenden Klassen auch nur ansatzweise aufblitzen ließen. Da lechzt das Publikum nach etwas Neuem, das kühne Wünsche repräsentiert und dennoch an den Systemgrundlagen nichts verändert.

Das, was nun bezeichnenderweise von einem Wirtschaftsliberalen als die größte Chance einer grundlegenden Innovation in allen Bereichen in der Geschichte der Bundesrepublik an den Himmel gemalt wurde, ist der Startschuss für die freie Entfaltung der zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus. Serviert in Form einer romantischen Schmonzette. Wer da die Frage nach den wahren Machtverhältnissen stellte, der würfe den ersten Stein!

Quellen und Anmerkungen

(1) Die Plutokratie (altgriechisch: plutokratía; Reichtumsherrschaft) ist eine Herrschaftsform, in der Vermögen die entscheidende Voraussetzung für die Teilhabe an der Herrschaft ist. Darunter fällt die Herrschaft des Geldes oder auch Geldherrschaft des “Geldadels”. Die Plutokratie kann indirekt ausgeübt werden durch die Abhängigkeit der gewählten Entscheidungsträger vom “Geldadel” beziehungsweise von den Plutokraten oder sie kann institutionalisiert sein durch zum Beispiel ein Zensuswahlrecht. Bei diesem darf nur derjenige wählen, der über bestimmte Finanzmittel verfügt und dies nachweisen kann beispielsweise durch Steueraufkommen, Grundbesitz oder Vermögen.


Piratenschiff im Sturm. (Illustration: Iván Tamás, Pixabay.com)

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Foto: Thula Na (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

4 Antworten auf „Regierungsbildung unter dem Auge der Plutokratie“

sehe ich genauso. “freie wahlen” sind veranstaltungen zur volks-beschäftigung, aber völlig sinnlos, egal wen man wählt, weil eine real-bestimmende plutokratie der besitzenden, die ihrerseits natürlich nicht zur “wahl” steht, auch die “parteien” und ihre großkopferten dominiert, andernfalls würden sie zu “wahlen” garnicht erst zugelassen.
deshalb ändern “wahlen” auch nie etwas, bis auf schönheits-reparaturen, am ablaufenen system, das uns als “freiheitlich” vorgemacht wird, in wahrheit aber äußerst rigide an den interessen der plutokratie festgezurrt bleibt.
das ergebnis der jetzigen DE-“wahl”, mit verlaub, lässt mich erbrechen, und bestätigt lediglich, unsere hiesige plutokratie wird weiterhin -ungewählt- regieren !
ein wirklicher systemwechsel, den wir dringend (und außerdem global) brauchen würden, ist mit “wahlen” nicht möglich, weshalb ich für die lösung unserer heutigen/jetzigen DE- und globalen probleme schwarz sehe = die probleme (wie zb klimadrift) werden sich erst zu tatsächlichen eingetretenen katastrophen auswachsen müssen, ehe es einen systemwechsel geben wird, der aber dann ohne “wählereien” kataklysmisch ablaufen wird, wie historisch praktisch immer, denn menschen/die menschheit “schreitet eben nicht aufrecht antizipierend, vernünftig, in zukünfte”, sondern wird von ereignissen überrollt, und dadurch dann in zukünfte an den haaren mitgeschleift und hineingeprügelt.
aber dies ist biologisch sogar normal, einfach energetisch bedingt (energieaufwand gegen nutzen), als alle lebewesen und arten in ihren comfortblasen bleiben, solange, bis ein tatsächlich eingetretener verlust der blase neuanpassung (systemwechsel = moduswechsel), oder im schlimmen fall auslöschung der betreffenden art erzwingen.
auch wir menschen = auch nur eine tierart, spielen also um unser artliches fortbestehen, und die steuerung unseres mitspielens durch plutokratien (letztlich kakistokratien) ist weder eine gute noch eine intelligente strategie dabei.

Ja, “soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsliberalismus stehen sich diametral gegenüber”. Aber haben wir Menschen (zu mindest viele von uns) denn die “soziale Gerechtigkeit” denn verdient? Ist denn Faulheit und Gier nicht zu tief in uns verwurzelt. Ist denn nicht die Gier die Haupttriebkraft unseren Handelns? Und verfallen wir nicht in Faulheit, wenn es und nicht möglich ist, unsere Gier zu befriedigen. Wie ist es denn mit den hochgelobten “Gründern”, denn “Startups”? Würden diese Leute auch dann neue innovative Produkte entwickeln, wenn sie in einem großen Unternehmen arbeiten würden und zum Dank nur netto 100 € monatlich Gehaltserhöhung bekommen würden?
Und wie Gier und politische Macht zusammespielen, hat man ja in der letzten Zeit, insbesondere bei der CDU gesehen.

@ karsten:
wie hantieren tiere? sie versuchen durchaus gierig, ihre bedürfnisse zu befriedigen, zb fressen, sind die bedürfnisse befriedigt, verfallen sie in andere modi, zb vermehrenwollen (mehr nahrung = mehr vermehrung), oder schlafen/ruhen = das alles ist energieaufwand/nutzen ausgewogen. selbst unsere nächsten verwandten, die menschenaffen, hantieren so, und auch hamsterartige “sammeln” nahrung nur für magere zeiten (sie “antizipieren” wirklich eintretende magere zeiten, etwa winter).
der mensch ist das einzige tier das ich kenne, bei dem antizipatorisch allerdings immer “magere zeiten bevorstehen” = seine gier ist tatsächlich grenzenlos, zb “geldsammeln”, “machtsammeln”, “kleidersammeln”, “sexpartner sammeln” usw. = sein energieaufwand beim gieren steht in keinerlei “vernünftigem” (wirklich nachvollziehbarem) verhältnis (mehr) zum nutzen = mensch giert grundsätzlich immer und grenzenlos (“man kann niemals genug haben, und zwar von allem”)

man stelle sich im gedankenexperiment einmal vor, ein mensch würde statt zb geld-horten oder kleider oä. nüsse sammeln, sagen wir statt 1 euro = 1 nuss, dann hätte er milliarden von nüssen gesammelt, mehr als 10.000 menschen in ihren ganzen leben essen könnten, und er hätte trotzdem noch immer nicht genug, und würde wie ein verdurstender fanatisch weitersammeln, und nur für sich selbst, und ohne von seinem vorrat abzugeben – man würde ihn mit recht für verrückt erklären.
nicht so aber “die sammler” unserer plutokratien etc., die werden sogar mit der steuerung des mensch-systems über politiken hinweg usw beauftragt, bzw beauftragen sich selbst, und ziehen dadurch alle anderen mit in endloser gier “nüsse” zu sammeln, was genau das bewirkt, das ihre sammeltätigkeit (wenn sie denn sinn machen würde) vermeiden sollte, nämlich allgemeinen “nuss-mangel” mit allen folgen = zurückübersetzt: degradation unserer gesamten welt, und es fehlt heute nicht mehr viel, und das ganze wird unumkehrbar werden, zb klimadrift, zb “kippen” der weltmeere, zb “ersticken” in den selbstproduzierten abfällen, usw.

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