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Auf Augenhöhe?!

Das mit der Augenhöhe ist so eine Sache. Kaum eine Diskussion, in der unterschiedliche Interessen oder Meinungen aufeinandertreffen, in der nicht zumindest eine Seite reklamiert, dass die Augenhöhe gewährleistet werden muss. Aus der Perspektive der Kommunikationstheorie ist die Forderung trivial. Denn dort streitet sich niemand darüber, dass Augenhöhe der Aufeinandertreffenden die Voraussetzung für jede gelungene Kommunikation ist (1). Aber das Leben verläuft zumeist anders, als es die kluge Theorie verortet hat.

Deutsche Augenhöhe

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Beispiel ein, dass zu großem Schmunzeln geführt hat und unverfänglich ist, weil es sich weit genug entfernt zugetragen hat. Da traf ein deutscher Emissär in Sachen Entwicklungszusammenarbeit auf einen indischen Wirtschaftsminister. Er kam mit einem kleinen, sicherlich wichtigen Projekt und stellte es einem Mann vor, der die Regierungsverantwortung für ein Land mit einer Milliarde Menschen trug. Der Deutsche umriss dem Mann das Prozedere und bedeutete ihm, wenn die indische Seite sich darauf einließe, dann könnten die beiden alles weitere auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Die Reaktion des indischen Ministers war eindeutig: Wenn das der Fall sein soll, dann müssen Sie noch merklich wachsen!

Neben der wohlbekannten Tatsache, dass Deutsche im Ausland gerne einmal sich selbst überschätzend und belehrend auftreten, weist die Geschichte auch auf etwas anderes hin: Augenhöhe hängt mitunter von Macht und Kompetenz ab. Wer das ignoriert, bringt immer eine gute Voraussetzung mit für eine große Enttäuschung.

Zum anderen kann mit der Reklamation von Augenhöhe auch ein anderer Aspekt aufgehellt werden. Er hat die Dimension eines entwicklungspsychologischen Moments. Wenn eine Seite Augenhöhe fordert, obwohl weder Kompetenz noch Macht vorhanden ist, kann die andere Seite das Postulat der Augenhöhe dennoch annehmen, muss das Gegenüber dann allerdings als für die Augenhöhe qualifiziert behandeln. Das hört sich jetzt vielleicht etwas gespreizt an, ist aber, wiederum an einem einfachen Beispiel konkretisiert, sehr einfach.

Scharlatanerie, Ablenkung, schwache Appelle

Die Fridays-for-Future-Bewegung (2) fordert Augenhöhe, und angesichts ihrer demografischen Bedeutung ist es richtig wie wichtig ihr die reklamierte Augenhöhe zu gewährleisten. Diese beinhaltet jedoch für die Bewegung dahingehend Stress, weil ganz hart gefordert werden muss, was sie zu leisten hat, um das Privileg der Augenhöhe zu behalten.

Da reicht dann nicht mehr Unmut, Wut, Angst oder der Verweis auf die Erkenntnisse bestimmter Wissenschaften. Das mag alles richtig sein, aber die eigenen Forderungen einem wirtschaftlichen wie politischem System gegenüber so zu stellen, als könnte die andere Seite dem gerecht werden, wenn sie die Notwendigkeit der Veränderung nur erkenne, ist mehr als blauäugig. Und zu glauben, man könne exklusiv durch Erkenntnis und Gesetze die Welt verändern, ist an Scharlatanerie nicht zu überbieten.

Der Ressourcenverbrauch einer auf Privateigentum basierenden freien Marktwirtschaft neoliberaler Färbung ist mit den Forderungen der Bewegung nicht kompatibel. Der Verweis auf das individuelle Konsumverhalten ist ruchlose Augenwischerei in Bezug auf die destruktive Kraft des Systems.

Das Ausblenden der chronischen militärischen Aktionen dieses Systems, die ihrerseits alles in den Schatten stellen und stellen können, was als Maßnahmen gegen den Klimawandel gefordert wird, ist eine inakzeptable Fehlleistung in einem Ausmaß, das auch so gedeutet werden kann, dass die Vermutung einer ideologischen Ablenkung durchaus platziert wäre.

Wer Augenhöhe reklamiert, muss auf seiner Seite die Voraussetzungen schaffen, dass die andere Seite sie guten Gewissens zu akzeptieren bereit ist. Der Appell an ein schlechtes Gewissen ist da einfach zu wenig.


Quellen und Anmerkungen

(1) Unter Kommunikationstheorie (auch Kommunikationsmodell) werden wissenschaftliche Erklärungsversuche zur Beschreibung von Kommunikation verstanden. Die theoretischen Ansätze sollen in der Kommunikations- und Medienwissenschaft erklären, was Kommunikation ist und wie sie funktionieren. Es wird versucht, durch Modelle verallgemeinerbare (und theoretische) Zusammenhänge des Kommunikations­prozesses erkennbar zu machen. Dies geschieht sowohl auf der Mikroebene wie auch in Bezug auf Massenkommunikation.

(2) Fridays for Future ist eine vor allem im globalen Norden aktive und signifikant wahrgenommene Bewegung, die sich für umfassende, schnelle und effiziente Klimaschutzmaßnahmen einsetzt. Das 2015 auf der Weltklimakonferenz in Paris im Weltklimaabkommen beschlossene 1,5-Grad-Ziel der Vereinten Nationen soll eingehalten werden. Informationen zum Weltklimaabkommen auf https://unfccc.int/process-and-meetings/the-paris-agreement/the-paris-agreement (abgerufen am 24.10.2021).


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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Auf Augenhöhe?!“

” Der Ressourcenverbrauch einer auf Privateigentum basierenden freien Marktwirtschaft neoliberaler Färbung ist mit den Forderungen der Bewegung nicht kompatibel. Der Verweis auf das individuelle Konsumverhalten ist ruchlose Augenwischerei in Bezug auf die destruktive Kraft des Systems. ”

genauso ist das, insbesondere der letzte satz oben …

” Das Ausblenden der chronischen militärischen Aktionen dieses Systems, die ihrerseits alles in den Schatten stellen und stellen können, was als Maßnahmen gegen den Klimawandel gefordert wird, ist eine inakzeptable Fehlleistung in einem Ausmaß, das auch so gedeutet werden kann, dass die Vermutung einer ideologischen Ablenkung durchaus platziert wäre. ”

so manches scheinbar systemkritische, das vom system begleitend mitgeschleppt wird, dient der sys-stabilisierung, zb indem so das bild aufrechterhalten wird, das sys biete freiheit in jeder form, wobei aber fakt ist, man kann kritisieren wie und solange man will, es ändert sich genau garnichts an den in stein gegossenen natur- und mensch- verachtenden sys grundlagen (zb jetzt DE-wahlen: wir durften nur die “blackrocks” gegen die “cum-ex, cumcums” austauschen, was am sys genau null ändert)

mir fällt da immer ein alter spruch (aus che guevaras zeiten) ein: “die macht kommt aus den läufen von gewehren”, und das gilt bis heut unverändert, deshalb auch dürfen wir FRIEDLICH herum-demonstrieren usw bis die sonne stirbt, und es ändert sich garnichts, und für anderes hat das sys längst seine “notstandsgesetze” als unmissverständliche, höfliche “handreichung” an und gegen uns, dass es auch anders kann.

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