Sage und schreibe 25.000 Menschen haben sich in Glasgow zusammengefunden, um auf einer zweiwöchigen Konferenz das Weltklima zu retten. Gekommen sind sie zu Land, zu Wasser und in der Luft, bewaffnet mit technischen Instrumenten, die einmal den Raubbau an natürlichen Ressourcen museal dokumentieren werden (1).
Bekannte Verdächtige
Begonnen haben sie bereits. Und natürlich waren es die apokalyptischen Reiter, die durch den großen Konferenzsaal ritten, beschworen von denen, die aktiv an so manchem Affront gegen den natürlichen Stoffwechsel von Mensch und Natur beteiligt sind. Aber sei es drum: mit der Phrasendreschmaschine im Gepäck, lässt sich in diesen Zeiten gut leben (2).
Gut angefangen hat es auch mit der gegenseitigen Bezichtigung. Die Weltmeister im Pro-Kopf-Verbrauch von natürlichen Ressourcen und den meisten schädlichen Emissionen klagen ausgerechnet die Nationen und Völker an, auf deren Kosten sie Jahrhunderte gelebt haben.
Schnell waren China und Indien als die globalen Pestbeulen identifiziert, wobei China mehr stinkt als Indien, weil es wirtschaftlich erfolgreicher ist. Russland seinerseits ist schon immer verdächtig, weil es natürliche Ressourcen besitzt, die alle anderen gerne hätten und die ein Motiv sind, es vielleicht ein drittes Mal in der Neuzeit mit einem militärischen Überfall zu versuchen.
Wer glaubt eigentlich noch …
Von der moralischen Befindlichkeit hingegen verläuft es in Glasgow prächtig. Die 25.000 Regierungsvertreter fühlen sich auf der guten Seite – und sie kämpfen gegen eine uneinsichtige, störrische und begriffsstutzige Welt an. Aber, um ein altes Wort der rheinischen Rhetorik zu bemühen, nehmen wir einmal an, alle Ziele, so weitgehend sie auch formuliert sind, hätten tatsächlich einen Sinn und würden auch noch beschlossen. Wer glaubt eigentlich noch, dass diese auch tatsächlich umgesetzt werden könnten?
Nehmen wir durchaus an, niemand in den einzelnen Ländern würde sich politisch motiviert dagegen stellen. Wer glaubt, die verschiedenen staatlichen Administrationen und Bürokratien wären in der Lage, derartige Beschlüsse auch umzusetzen? Bürokratien, die, wenn nicht bis in die letzte Pore korrupt, darauf geeicht sind, keine Fehler zu machen, auch zu dem Preis, damit die Lösung zu verhindern?
Stellen wir uns das einmal in Deutschland vor, von dem fälschlicherweise noch viele in der Welt glauben, es hätte eine effektive Bürokratie: wo man 10 Jahre braucht, um eine Brücke zu reparieren, wo man 30 Jahre braucht, um einen Bahnhof zu bauen, wo man 10 Jahre braucht, um eine Straßenbahnlinie einzurichten, wo man 25 Jahre brauchte, um einen Flughafen zu bauen? Die Ziele, die jetzt bis 2035 oder 2050 formuliert werden, entsprechen nicht den momentan existierenden Realisierungszeiten der jeweiligen Bürokratien, es sei denn, man bezöge die chinesische ein, die wäre wahrscheinlich in der Lage, aber so, wie diese arbeitet, will das ja auch niemand.
Bestie Krieg auf dem Klimagipfel
Wie die Varianz der Nebel im Gastgeberland Schottland wabern auf dieser Konferenz die Illusionen durch die verschiedenen Tagungsräume. Dabei werden die Gefahren einer Katastrophe, die den Klima-Gau nicht nur beschleunigen, sondern auch die Sorge darum übertreffen werden, und die in jedem Raum durchaus sichtbar wären, wenn man denn nur wollte, geflissentlich übersehen: die gefletschten Zähne der Bestie Krieg, die im Westen gut genährt und gefräßig mindestens ebenso existiert wie im verpönten Osten.
Der Krieg wird für die meisten, die jetzt dem leeren Gerede über die Rettung des Planeten in Glasgow lauschen, die alles beherrschende Katastrophe ihres Lebens sein. Angesprochen hat das bis jetzt dort niemand. Dem schottischen Nebel sei Dank!

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Quellen und Anmerkungen
(1) Kronen Zeitung (2.11.2021): Mit 400 Privatjets zum Klimagipfel nach Glasgow. Auf https://www.krone.at/2545649 (abgerufen am 3.11.2021).
(2) Kleine Zeitung (2.11.2021): Weltklimakonferenz in Glasgow – USA will hundertausende verlassene Öl- und Gasbohrlöcher versiegeln. Auf https://www.kleinezeitung.at/international/6055152/Weltklimakonferenz-in-Glasgow_USA-will-hundertausende-verlassene (abgerufen am 3.11.2021).
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Foto: Etienne Girardet (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Vernebelt: Klimagipfel in Schottland“
Klimagipfel in Schottland:
„Gut angefangen hat es auch mit der gegenseitigen Bezichtigung. Die Weltmeister im Pro-Kopf-Verbrauch von natürlichen Ressourcen und den meisten schädlichen Emissionen klagen ausgerechnet die Nationen und Völker an, auf deren Kosten sie Jahrhunderte gelebt haben. Schnell waren China und Indien als die globalen Pestbeulen identifiziert, wobei China mehr stinkt als Indien, weil es wirtschaftlich erfolgreicher ist. Russland seinerseits ist schon immer verdächtig, weil es natürliche Ressourcen besitzt, die alle anderen gerne hätten und die ein Motiv sind, es vielleicht ein drittes Mal in der Neuzeit mit einem militärischen Überfall zu versuchen.“ – stellt Gerhard Mersmann in seinem Beitrag in der „Neuen Debatte“ fest.
Doch weder eigene Interessen einzelner Staaten oder Wirtschaftsgemeinschaften sind die tiefgründigen Ursachen für den eskalierenden Verfall des Ökosystems Erde und der unser Mensch-Sein ausmachenden Werte. Denn unsere Welt wird immer deutlicher von der allgemeinen Krise der kapitalistischen Wirtschaftsweise geprägt. Sie äußert sich dadurch, dass sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, Staatskrisen, Strukturkrisen, humanitäre Krisen, Terrorkrisen, Flüchtlingskrisen und so weiter. Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen und wir alle müssen uns darauf einstellen, dass aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, um Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte fast immer mit Zerstörung und Krieg endet.
Darum muss unbedingt beachtet werden, dass die menschliche Gesellschaft ein Teil des Ökosystems Erde ist. Leben kann ein Mensch nur, wenn er die Vielzahl der von ihm lebensnotwendiger Weise zu erbringenden Leistungen unter Verwendung seines Bewusstseins in menschlicher Gemeinschaft erarbeitet, austauscht, verteilt und nutzt.
In Ökosystemen geschieht Gleichwertiges durch Interaktionen zwischen Erzeugern, Verbrauchern und Rückgewinnern, wobei jedes in die ökologischen Kreisläufe integrierte Lebewesen sowohl den Produzenten, als auch den Konsumenten und den Reduzenten zugeordnet werden kann.
In diesen Systemen und selbstverständlich auch im gesamten Ökosystem Erde in dem auch wir Menschen leben, werden Stoffe, Energie und Informationen produziert, verteilt, ausgetauscht und verbraucht, wodurch die momentane Existenz und die künftige Entwicklung sowohl der einzelnen als auch aller Beteiligten in ihrer Gesamtheit ermöglicht wird.
Von Menschen nicht genutzte Ökosysteme passen sich spontan an die sie bestimmenden äußeren Bedingungen im Rahmen der sie bewirkenden und durch sie selbst mitverursachten Auf- und Abbauprozesse an und bewegen sich erhebend, verkomplizierend und ihre Existenz bewahrend, solange es eben die vorhandenen äußeren und inneren Bedingungen zulassen.
Erst das zu Bewusstsein befähigte und zu Kreativität begabte Wesen Mensch kann die Spontaneität natürlicher Entwicklungslinien in der Kultur seines Willens aufheben und sich mit harmonisch verlaufenden Wirtschaftskreisläufen in das Ökosystem Erde bewusst und zielorientiert eingliedern.