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Meinung

Moral: Die neue Hybris in der Außenpolitik

Wenn die eigene Moral und die eigenen Vorstellungen das alleinige Handlungsmotiv sind, dann ist das Säbelrasseln schnell zu vernehmen.


Und wieder sorgen die Infektionszahlen und alles, was damit zusammenhängt für einen Tunnelblick. Bei allem Verständnis für die Belästigungen, die das Virus und die damit verbundenen Maßnahmen bei einer tief gespaltenen Gesellschaft hervorrufen, ist es nicht ratsam, den Blick vor den international wachsenden Spannungen und Konflikten zu verschließen.

Existenzielle Belange

Im Hintergrund ist das lauter werdende Rauschen zu vernehmen, und es ist keine allzu gewagte Prognose, dass, sobald das Gerangel um Impfungen, die Verwerfungen um ein gewinnorientiertes Gesundheitssystem, die Liquidierung ganzer Branchen, die Weigerung, andere Impfstoffe zügig zuzulassen, die Erfordernisse wie die Illusionen um Maßnahmen gegen den Klimawandel beendet sind, wir uns konfrontiert sehen werden mit der Frage, wie in einer politisch, sozial und kulturell hoch diversen Welt agiert werden soll.

Nicht, dass darüber nicht geredet oder berichtet würde. Aber es ist nicht im Fokus dessen, was als existenzielle Belange bezeichnet werden müsste.

  • Wie, so die brisante Frage, soll das Land vorgehen in einer Welt, die bei Weitem nicht so gestrickt ist, wie es hier vermutet und immer wieder suggeriert wird?
  • Ist es ratsam, davon auszugehen, dass das Wissen um den richtigen Weg einer Gesellschaft der Zukunft exklusiv hier bei uns deponiert ist?
  • Und ist es richtig, die hiesigen Vorstellungen und Werte über das Zusammenleben als Maßstab für das Agieren in der komplexen und diversen Welt zu nehmen und daraus ein Schema von Gut und Böse abzuleiten, das seinerseits als Leitfaden für die Außenpolitik genommen werden kann?
  • Oder wäre es vielleicht nicht ratsamer, von den eigenen Interessen auszugehen und sich in einen Dialog zu begeben, bei dem ausgelotet werden kann, welche gemeinsamen Handlungsfelder ausgelotet werden können, unabhängig von der inneren Befindlichkeit?

Der Impetus, selbst das Recht auf seiner Seite zu haben und die anderen zu lehren, wie sie zu leben haben, ist alt, dogmatisch, und er führt zu Verwerfungen und gefährdet den Frieden (1).

Die Aggression der Technokraten und Bürokraten

Das große Handicap, mit dem die Deutschen aufgrund ihrer eigenen Geschichte belastet sind, führt zu einer argumentativen Nische für das Dogma an sich. Zu leicht werden Parallelen zum deutschen Faschismus und seinen Taten gezogen, die zumeist hinken und das Gegenteil von dem herbeirufen, was vielleicht beabsichtigt ist. Wenn die eigene Moral und die eigenen Vorstellungen das alleinige Handlungsmotiv sind, dann ist das Säbelrasseln schnell zu vernehmen.

Eine guter Rat besteht darin, neben der abstrusen Vorstellung, man könne sich auf militärische Konflikte einlassen, diese mit den eigenen Möglichkeiten abzugleichen. Allein dieser Hinweis sollte schon reichen, um zu mehr Bescheidenheit zu kommen. Leider sind die gegenwärtigen Politiker im Amt und die zu erwartende Regierung nicht in diesem Fahrwasser anzutreffen. Die Aggression ist aus jeder Pore zu vernehmen und sie wird sich noch steigern.

Jüngst gab es ein Stelldichein beim Bericht aus Berlin in der ARD, bei dem der Mentor der Münchner Sicherheitskonferenz, der Atlantiker Wolfgang Ischinger (2), der sich seinerseits bereits unzählige Male als ein Remake des Kalten Kriegers profiliert hat, als ein moderater Vermittler erschien. Besonders im Vergleich zu Franziska Brantner (3), die unter vorgehaltener Hand als die neue Außenministerin der Grünen gehandelt wird, die trotz ihres zivilisierten Auftretens an einem keinen Zweifel ließ: Die Moral wird die Ultima Ratio einer künftigen Außenpolitik sein und letztendlich die Kriegsgefahr dramatisch erhöhen.

Die alles dominierende eigene Moral

Bei der Formulierung dieser Befürchtung ist dann schnell aus diesen Kreisen der Begriff des Appeasements zu hören, und genau das entspricht dem Trauma der Vergangenheit (4). Aus der Hybris der maskulin-militärischen Stärke ist die einer alles dominierenden Moral geworden, die die Welt in Konflikte führen wird, die nichts besser machen werden (5).


Die CDU reformiert sich. (Symbolfoto: Joanna Kosinska, Unsplash.com)

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Quellen und Anmerkungen

(1) Der Begriff Impetus bezeichnet einen inneren oder äußeren Antrieb, einen Anstoß oder einen Impuls beziehungsweise eine Triebkraft, die (verstanden als eine Art Anfangsenergie) eine Sache in Bewegung setzt.

(2) Wolfgang Friedrich Ischinger (Jahrgang 1946) ist ein Jurist und Diplomat. Er war Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington, D.C. und London. Seit 2008 leitet er die Münchner Sicherheitskonferenz. Von Mai 2008 bis Dezember 2014 war er bei dem Versicherungskonzern Allianz SE “Generalbevollmächtigter für Regierungsbeziehungen” (“Global Head of Government Relations”).

(3) Franziska Katharina Brantner (Jahrgang 1979) ist Politikwissenschaftlerin und Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen). Seit 2013 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2009 bis 2013 war sie Abgeordnete im Europäischen Parlament.

(4) Unter Appeasement(-Politik) versteht man im internationalen Kontext eine Diplomatie, bei der einer aggressiven Macht politische, materielle oder territoriale Zugeständnisse gemacht werden, um einen Konflikt zu vermeiden. Der Begriff wird meist auf die Außenpolitik der britischen Regierungen der Premierminister Ramsay MacDonald, Stanley Baldwin und Neville Chamberlain gegenüber Nazi-Deutschland und dem faschistischen Italien zwischen 1935 und 1939 angewendet.

(5) Als Hybris wird eine extreme Form der Selbstüberschätzung (auch des Hochmuts) bezeichnet. Die Hybris geht häufig Hand in Hand mit Realitätsverlust (einer Person) und einer Überschätzung der eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten oder Leistungen – insbesondere bei Menschen, die sich in Machtpositionen befinden.


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Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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