Vielfach zeigt sich linke Kritik an den geopolitischen Geschehnissen kenntnisreich und sachkundig, aber durch einen aufgesattelten Kategorienapparat bleibt sie in der Finalisierung auf der Zielgeraden stecken. Den potenziellen Adressaten ist somit die klare Sicht auf politische und ökonomische Zusammenhänge versperrt. Diese These vertritt Klaus Hecker in seinem neuen Podcast. Im ersten Teil seiner Ideologiekritik versucht er anhand ausgewählter Beispiele Muster zu identifizieren, die in letzter Konsequenz selbst die augenscheinlich tiefgründigste Analyse der global herrschenden Machtverhältnisse – inklusive dem Streben nach einer neuen Weltordnung – in die Banalisierung führen.

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Um was es geht …
Kritik an Analysen und Betrachtungen zur westlichen Offensive gegen China und Russland
Exemplarisch ist ein lesenswerter Beitrag von Theo Wentzke in der Zeitung junge Welt (1) über ein Treffen von US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Nachdem Wentzke hergeleitet hat, dass sich die US-Amerikaner fraglos als Nummer 1 in der Welt fühlen, aber Russland sich bei Weitem nicht aufgegeben hat, geht er auf die US-amerikanische Strategie ein. Wentzke schreibt:
“Entgegen Bidens Gestus, dass die USA diesen Gegner im Prinzip im Griff haben, eben wegen der Tatsache, dass Russland über »new, dangerous and sophisticated weapons« verfügt, sehen sich die USA genötigt anzuerkennen, dass das strategische Kräftemessen mit Russland in eine neue Etappe eingetreten und damit auch wieder auf Russland als Verhandlungspartner zurückzukommen ist.”
Die Verhandlungen zwischen den (militärischen) Giganten werden hier also angeblich aus einer Position des Eingeständnisses von Russlands (noch) Stärke geführt. Dieser Ansatz verfängt sich in der Oberflächlichkeit. Denn schaut man sich den Inhalt der Gespräche genauer an, wird erkennbar, dass es lediglich um die Frage geht, ob Russland die vom Westen aufgetischten Offensiven wie zum Beispiel den angedachten NATO-Beitritt der Ukraine schluckt. So wird aus den Verhandlungen praktisch ein “lockerer Talk” über eine Form der Kapitulation.
“Real Shooting War” – Eine Frage der Kultur?
En passant wird eine angebliche DNA der Vereinigten Staaten bemüht, quasi die Mutter aller Argumente:
“Bei der Gelegenheit hält Biden es dann für angebracht, seine Landsleute schon einmal mit der Tatsache vertraut zu machen, dass in der heutigen Vorkriegszeit die Chancen auf einen »Real Shooting War« gar nicht schlecht stehen: »Der Präsident machte auch eine beunruhigende Vorhersage über die zunehmenden Cyberattacken auf die Vereinigten Staaten. Biden sagte, er glaube, dass die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass die Vereinigten Staaten infolge eines Cyberangriffs in einem echten Schießkrieg mit einer größeren Macht landen könnten« (Voice of America, 27.7.2021). Schießen gehört bekanntlich auch zur US-amerikanischen DNA.“
Mit leichter Feder wird der schnelle Griff zum Colt unterstellt. Mit dem Verweis auf das Schießen als kulturelle Besonderheit fällt allerdings jeder analytische Ansatz auseinander. Die gesamte “Fleißarbeit”, die fraglos in dem Artikel von Theo Wentzke steckt, ist für die Katz. Denn wenn sich der Entwicklungsstand der USA tatsächlich darin finalisiert, alles im Zweifel mit Gewalt zu lösen, dann scheint der Autor selbst nicht an das zu glauben, was er über die Verhandlungen geschrieben hat. Oder anders gesagt: Es gebe nichts zu verhandeln und somit auch nichts mehr zu schreiben, weil sich die Vereinigten Staaten ohnehin zivilisatorisch auf einem Level eingependelt haben, das Joe Biden jüngst Wladimir Putin unterstellte, nämlich Killer zu sein (2).
Diese Art Klischee ist in der Bevölkerung bereits vorhanden, sie zu befeuern und medial zu unterfüttert, ist alles andere als dienlich. Es führt fast zwingend zur Annahme, wir seien bereits im lauwarmen Krieg und der führt auf jeden Fall in die „big confrontation“, wenn nicht getan wird, was der Amerikaner sagt. Doch der wird kaum so leichtsinnig sein, dass er nicht vorher ganz andere in die erste Reihe schickt – zum Beispiel Deutschland.
Die große Versöhnung der Begriffe
Die Grünen, die heute Öko-Moral predigen und die soziale Frage beerdigen, sind (fast) in der Regierungsverantwortung, was in Anbetracht ihrer Geschichte die Alarmglocken ertönen lässt. Joschka Fischer drehte die Grünen im Mai 1999 um. Die Friedenspartei mauserte sich, wurde sozusagen realpolitisch und war bereit für den Jugoslawien-Krieg (3). Aber dieser Salto rückwärts im Sinne imperialistischer Interessen ist nur ein Detail im Nebel. Denn egal worum es geht, ob Armut, Krieg, Naturzerstörung, alles wird benannt und medial breitgetreten, und alles wird im nächsten Schritt begrifflich versöhnt.
Eigentlich ist Armut in der herrschenden ökonomischen und politischen Ordnung gar nicht vorgesehen, und wenn Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die noch amtierende Verteidigungsministerin der Bundesrepublik, Russland mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, dann ist das offenbar notwendig, weil Deutschland schließlich aus zwei Weltkriegen gelernt hat und immer für Frieden sorgt – das liegt wohl in der kulturellen DNA begründet.
Quellen und Anmerkungen
(1) jungeWelt (Ausgabe vom 4.10.2021; Seite 12): Den Respekt verweigert – Zum Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joseph Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 16. August 2021 in Genf. Auf https://www.jungewelt.de/artikel/411683.neuer-kalter-krieg-den-respekt-verweigert.html (abgerufen am 19.11.2021).
(2) CNBC (17.3.2021): Biden believes Putin is a killer, vows Russian leader ‘will pay a price’ for trying to help Trump win the election. Auf https://www.cnbc.com/2021/03/17/biden-says-putin-is-a-killer-will-pay-for-trying-to-help-trump-win-election.html (abgerufen am 19.11.2021).
(3) Rote Fahne News (8.8.2019): Wie Joschka Fischer den Jugoslawien-Krieg demagogisch durchsetzte. Auf https://www.rf-news.de/2019/kw32/wir-kamen-mit-der-bundeswehr-zu-ihnen (abgerufen am 19.11.2021).
(4) World Socialist Web Site (28.10.2021): Kramp-Karrenbauer droht Russland mit Nuklearwaffen. Auf https://www.wsws.org/de/articles/2021/10/27/atom-o27.html (abgerufen am 19.11.2021).

Schluss mit dem
Theater …
Karten auf den Tisch!
Journalismus ist entweder eine beliebige Ware und damit nutzlos oder wird von den Mediennutzern ökonomisch getragen und in ihren Händen zur vierten Gewalt.
Foto: Nadin Mario (Unsplash.com)
Klaus Hecker (Jahrgang 1954) ging nach dem Abitur in Wetzlar 1973 nach Marburg und studierte Deutsch, Politik und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien. Von 1985 bis 2017 war er in der Universitätsstadt Lehrer an der Carl-Strehl-Schule, einem Gymnasium für Sehbehinderte und Blinde. Seit jeher engagiert er sich in sozialen und politischen Initiativen und tut dies noch heute. Als DSV-Lehrer "Skitour und Alpinist" ist er häufig im Alpenraum unterwegs.
Eine Antwort auf „Der Rote Planet #005: Ideologiekritik (Teil 1)“
Um ungerechte oder gerechte Gesellschaftsverhältnisse erkennen und sie verbessern oder verändern zu können, muß man über den Erfahrungsschatz der Menschheit informiert sein.
Man braucht nur die Nachrichten eines Tages im Zusammenhang betrachten, um festzustellen, dass die Weltgesellschaft dem Verfall immer näher kommt. Da die Einen durch das Prinzip teile und herrsche ruhig gestellt werden, muss der Großteil der Menschen verunsichert, orientierungslos, angsterfüllt, hasserfüllt oder desinteressiert in sehr schlimmen, beziehungsweise der kleinere Teil in etwas besseren Verhältnissen leben. Die Anderen agieren mittels Ausbeutung und Profitgier, mittels Konsumterrors, ideologischer Manipulation und Indoktrination in weltweiten Scheindemokratien und haben so starke Machtinstrumente zu verfügen, um auch Kriege zu führen, wenn es aus ihrem Willen her notwendig sei.
Egon Bahr beschrieb am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die Situation Europas analysierend: „Der nüchterne Blick auf die Realität zeigt, dass die Welt für den wünschbaren und nötigen Qualitätssprung nicht reif ist, auch nicht Europa. Man müsse von der Wirklichkeit ausgehen, ohne die Vision zu verlieren. … Eine solche Vision fügt sich nahtlos in das Plädoyer jener Gruppe von Wissenschaftlern ein, die einen globalen Gesellschaftsvertrag entworfen haben. Er soll vier Abkommen umfassen: Einen Grundbedürfnis-Vertrag für die Versorgung aller Menschen mit Nahrung, Wasser und Wohnung; einen Kultur-Vertrag der Toleranz mit Regeln des Dialogs zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen; einen Demokratie-Vertrag mit Elementen globaler Steuerung gegen den Druck des Wettbewerbs, des bloßen technologischen Kostendenkens; einen Erd-Vertrag mit den Prinzipien für verantwortungsvollen Umgang mit der Natur.