Es nützt alles nichts: In einer Atmosphäre, die als Amalgam aus Hysterie und Euphorie beschrieben werden muss, ist es erforderlich, sich mit den kalten Fakten auseinanderzusetzen.
Angesichts dessen, was in einer kommenden Regierung in Angriff genommen werden soll, sind die wesentlichen Punkte – und die aus ihnen resultierenden Wechselwirkungen – zu betrachten und daraus Entwicklungslinien abzuleiten und die mit ihnen verbundenen Problemstellungen zu benennen. Egon W. Kreutzer hat das in einem neuen Buch gemacht.
In seiner gewohnt im Titel provozierenden Weise (Wo bleibt die Revolution?; Wollt ihr das totale Grün?) – die nicht die von der Lektüre abhalten sollte, die sich in einem überkommenden Verortungssystem zu Hause fühlen –, die vielleicht irritieren sollte, hat er sich ans Werk gemacht. “Links abgebogen. Was auf Deutschland zukommt” ist, bis auf die Schlusspassage, in der der Autor eine Prognose wagt, eiskaltes Rechnen.
Momente der Selbstzerstörung
Im ersten Teil seiner Ausführungen listet Kreutzer die Faktoren auf, die eine wesentliche Rolle spielen: Die Börsenentwicklung, die Wirtschaftskriege um Öl, Gas, Kohle und Uran, den Bruch der Lieferketten, die Entwicklung des Versandhandels, die Datenkraken und die Rolle Chinas.
Diesen Feldern stellt er zwei Momente der, wie er es nennt, Selbstzerstörung gegenüber: die Dekarbonisierung – Energiewende, mit den Implikationen vorhandener technischer Grenzen und den Aspekten von Biomasse und Biogas, Wasserkraft, Fotovoltaik und Windkraft sowie einem Faktor, der einer mentalen Disposition entspringt und als Wunschkonzert der Wohlstandskinder bezeichnet wird (1). Bei jedem einzelnen Punkt wird auf Basis von Fakten eine Prognose erstellt.
Informationen zum Buch
Links abgebogen
Was auf Deutschland zukommt

Autor: Egon W. Kreutzer
Genre: Politik
Seiten: 260
Erscheinung: November 2021
Verlag: BoD – Books on Demand
ISBN-13: 978-3-75-571559-7
Entscheidendes Bild für die gesamte Argumentation ist das Problem der Wechselwirkungen (S. 183), in denen die Beschreibung der Folgen kategorisiert wird (von verheerend, extrem, massiv problematisch bis gering, zunehmend und schwach, irrelevant). Wer sich tatsächlich lieber mit Fakten auseinandersetzen und nicht in Horrorszenarien und Wunschdenken verlieren will, sollte sich diese Matrix ansehen und dem eigenen Urteilsvermögen trauen. Kreutzer selbst erstellt daraus eine Rangliste der Trends, die die Problematik unterstreicht, dass Wunschdenken allein ins Desaster führen kann.
In einem letzten Kapitel wird eine Prognose über die Auswirkungen der Ampel-Koalition in den nächsten vier Jahren und die politischen Verwicklungen angestellt, die, so Kreutzer, zu einer Neukonstellation konservativer Politik nach 2026 führen kann.
Rationaler Streit als Gebot der Stunde
Der Autor hat die Implikationen der Corona-Krise und der gegenwärtigen und zunehmenden internationalen politischen Krise bewusst ausgeklammert und nur in bestimmten Fällen allenfalls touchiert, weil er bei seinen Betrachtungen von den vorliegenden Fakten ausgehen wollte und nicht durch spekulative Prognosen eine Komplexität erzeugen will, die von den Sicherheiten, die bereits vorliegen, ablenken würde.
Und obwohl sich Kreutzer an eine strikt faktenbezogene Argumentation hält, tauchen mit jeder Seite Aspekte auf, die politisch hoch kontrovers sind und polarisieren. Das umschreibt jedoch nicht die politische Disposition des Autors, sondern die Brisanz der Lage insgesamt. Es geht um die Wechselwirkungen der anstehenden politischen Agenda. Und vieles von dem, was er thematisiert, wird in der gegenwärtigen politischen Debatte, die mehr von Hysterie als von kalter Argumentation gekennzeichnet ist, gerne mit Tabus und politischer Stigmatisierung aus dem Diskurs verbannt.
Deshalb ist Kreutzers Beitrag ein wichtiger. Und deshalb sei die Lektüre unbedingt empfohlen. Die Inflation der Sterndeuterei muss ein Ende finden. Rationaler Streit ist das Gebot der Stunde.

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Quellen und Anmerkungen
(1) Dekarbonisierung (auch Entkarbonisierung) bezeichnet die Umstellung einer Wirtschaftsweise, speziell der Energiewirtschaft, in Richtung eines niedrigeren Umsatzes von Kohlenstoff. Die Schaffung einer kohlenstofffreien Wirtschaft im Rahmen der Energiewende ist das Ziel. Auf dem G7-Gipfel 2015 vereinbarte die Gruppe der Sieben (USA, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und das Vereinigte Königreich), die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 % bis 70 % im Vergleich zum Jahr 2010 zu reduzieren. Die Weltwirtschaft soll bis 2100 vollständig dekarbonisiert werden. Die Bevölkerung der G7 (rund 10 Prozent der Weltbevölkerung) erwirtschaftet etwa 45 Prozent des weltweiten Bruttonationaleinkommens.
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Fotos und Video: Keagan Henman (Unsplash.com), Gerhard Mersmann und Egon W. Kreutzer (Buchcover)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Links abgebogen“
Egon W. Kreutzer beschreibt in seinem Buch „Links abgebogen: Was auf Deutschland zukommt“ im ersten Teil seiner Ausführungen die Faktoren auf, die eine wesentliche Rolle spielen: Die Börsenentwicklung, die Wirtschaftskriege um Öl, Gas, Kohle und Uran, den Bruch der Lieferketten, die Entwicklung des Versandhandels, die Datenkraken und die Rolle Chinas.
Auch hier gilt die Feststellung: Was in der Welt gemacht wird, bestimmt eine weltweit verquickte Finanzoligarchie moderiert durch profitorientiertes finanz- und betriebswirtschaftliches Kalkül. Der gesamte Geldfluss gebietet darüber ob wann, wie und wo etwas oder ob nichts geschieht in der Welt.