Dass bestimmte Erfolgsautoren historischer Romane sich angesichts der am laufenden Band erscheinenden voluminösen Werke regelrechte Schreibfabriken mit hauptamtlichen Rechercheuren und Schreibern errichtet haben, ist mittlerweile kein Geheimnis. Dennoch erscheinen die Werke in der Regel nur unter dem Namen des Erfolgsautors.
Mongolenkriege
Der amerikanische Schriftsteller Neal Stephenson, Autor von Cryptonomicon (1999) und Snow Crash, letzteres Werk bereits 1992 erschienen und jetzt wegen seiner Aktualität in Bezug auf Datenkraken wiederentdeckt, hat sich den Ereignissen in Folge der Mongolenfeldzüge aus dem 13. Jahrhundert mit einem Kollektiv aus sieben namentlich genannten Mitgliedern genähert. Es ist ein gewaltiges wie gewagtes Unternehmen, das von der kompositorischen wie erzählenden Seite als gelungen bezeichnet werden muss. In deutscher Sprache liegt bis dato nur der erste Band einer insgesamt fünf Bände zählenden Mongoliade vor.
Wer einen Roman über diese Phase der Geschichte lesen möchte, in dem es um die grausamen wie erfolgreichen Feldzüge der Mongolen, wilde Kampfszenen, martialische Methoden und den Clash mit der abendländischen Kultur geht, ist bei dem Werk gut aufgehoben. Spannung wird erzeugt durch eine Mission von christlich-mönchischen Schwertbrüdern, die ins Herz der mongolischen Herrschaft vordringen und mit einem Attentat, das sie auf den mongolischen Herrscher Ögedei (1) verüben wollen, das Blatt zu wenden suchen. Durch verschiedene Handlungsebenen wird ein Faden gesponnen, dem man unbedingt folgen will.
Clash of Civilizations
Die Erzählung unterschiede sich nicht von vielen erfolgreichen historischen Romanen, drängten sich nicht – wohl kalkuliert – Fragen auf, die den Bezug zu heutigen Diskussionen und Forschungsgegenstände herstellten.
Da geht es um die Funktionsweise und innere Organisation von Geheimbünden, da geht es um asymmetrische Kriegsführung, da geht es um die strategische Überdehnung von Imperien, wo der geografische Raum der Beherrschbarkeit fremder Territorien in Bezug zu der eigenen ökonomischen wie kulturellen Stärke die Linie des Machbaren definiert, da geh es um Aufweichungs- und Dekadenzerscheinungen im Zentrum der imperialen Macht nach den vermeintlich entscheidenden Siegen, da geht es um die Reformbestrebungen unterlegener Mächte, um die eigene Dominanz wiederherzustellen, und da geht es um die Möglichkeiten und Grenzen interkultureller Kommunikation.
Neal Stephenson, Greg Bear, Mark Teppo, Erik Bear, Nicole Galland, Joseph Brassey und Cooper Moo haben mit der Mongoliade ein Werk geschaffen, das durch die beschriebenen zwei Ebenen fasziniert. Einerseits ein spannendes Narrativ, das durch die historische Ferne und das epische Konstrukt fasziniert, andererseits durch die Andeutung historisch wie politologisch hoch aktueller und brisanter Fragen, die auch unter der aufreizenden Überschrift eines Clash of Civilizations (2) erörtert werden können.
Ein spannender politologischer Diskurs
Dass ausgerechnet ein amerikanisches Autorenkollektiv eine Reise in die Vergangenheit der verheerenden Kriege zwischen Ost und West unternimmt und die Aspekte von Macht und Zivilisation derart im Fokus hat, ist sicherlich kein Zufall und suggeriert weiteres Nachdenken einer aufmerksamen Leserschaft. Was sich zunächst anfühlt wie ein historischer Roman, der auch immer wieder den Wunsch nach Flucht aus dem aktuellen Alltag so attraktiv macht, entpuppt sich als spannender politologischer Diskurs mit massiven Verweisen auf die Gegenwart. Das ist gute Literatur!
Informationen zum Buch
Die Mongoliade: Band 1
Originaltitel: The Mongoliad: Book One
Autoren: Neal Stephenson, Greg Bear, Nicole Galland, Erik Bear, Joseph Brassey, Cooper Moo, Mark Teppo
Sprache: Deutsch
Übersetzung: Jonas Jarr
Seiten: 512
Erscheinung: Juni 2013
Verlag: AmazonCrossing
ISBN: 978-1-4778-0877-1
Quellen und Anmerkungen
(1) Ögedei Khan (1186 oder 1189 bis 1241) war der dritte Sohn von Dschingis Khan, dem Begründer des Mongolischen Reichs. Ögedei regierte nach dem Tod seines Vaters als zweiter Khagan (vergleichbar mit dem Titel eines Kaisers) das Mongolenreich von 1229 bis 1241.
(2) Kampf der Kulturen ist ein politikwissenschaftliches Buch von Samuel P. Huntington (1927 bis 2008). Es trägt den Untertitel Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Das amerikanische Original erschien 1996 als The Clash of Civilizations (deutsch wörtlich “Zusammenprall der Zivilisationen”) und war die Erweiterung eines gleichnamigen Artikels (der aber mit einem Fragezeichen versehen war), den Huntington 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlicht hatte. Das Buch enthält die Hypothese, dass es im 21. Jahrhundert zu Konflikten zwischen verschiedenen Kulturräumen, insbesondere der westlichen Zivilisation mit dem chinesischen und dem islamischen Kulturraum kommen könnte.

Schluss mit dem
Theater …
Karten auf den Tisch!
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Foto und Video: Maxim Medvedev (Unsplash.com) und Gerd Mersmann
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.