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Die Atlantik-Brücke und die Full Spectrum Dominance

Es geht um Interessen. Das war immer so und das wird so bleiben. Und die Interessen, für die Organisationen wie die Atlantik-Brücke eintreten, sind auf die einer bestimmten Fraktion in den USA zugeschnitten und nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Europa gerichtet.

Manchmal sprechen Bilder Bände. Als davon die Rede war, dass US-Präsident Joe Biden darüber räsoniert hätte, bei einem geringfügigen Eingriff des russischen Militärs in der Ukraine müsse nicht gleich ein Krieg ausbrechen, verbreitete sich große Unruhe.

In den Nachrichten wurden Bilder von einem Treffen der Atlantik-Brücke gezeigt, bei dem der amerikanische Außenminister Antony Blinken erwartet wurde (1, 2). Es herrschte große Aufregung.

Der selbst ernannte CDU-Russlandexperte Norbert R. wetterte in die Kamera, die Anmerkung des US-Präsidenten sei nicht hilfreich gewesen, es gelte Konsequenz und Stärke zu zeigen und der deutsche Vorsitzende der Atlantik-Brücke, ehemaliger Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, hoffte auf sofortige Aufklärung durch den amerikanischen Gast.

Überlegenheit auf allen Ebenen: Full spectrum dominance

Während die Fahnen durch eine Ordonnanz gerichtet wurden, liefen alle herum wie die aufgescheuchten Hühner und gaben damit ihre Verunsicherung zum Ausdruck, so als wäre es eine Katastrophe, wenn ein Krieg verhindert würde. Es drängte sich der Verdacht auf, dass da ein Konsortium versammelt gewesen ist, das nahezu versessen auf eine militärische Auseinandersetzung mit Russland war, koste es, was es wolle.

Die Atlantik-Brücke, ihrerseits zu einer angeblich seriösen Quelle in der deutschen Nachrichtenwelt avanciert und immer wieder zitiert, wenn es um die Beschleunigung der Konfrontation geht, steht mit ihrer Ausrichtung nicht allein da. Aber sie ist das wohl markanteste Zeugnis für eine Haltung, die kongruent ist mit dem US-amerikanischen Establishment, das in den beiden großen Parteien der USA vorherrscht und den Anspruch auf die alleinige Weltherrschaft durch das US-Imperium aufrecht erhält und dafür bereit ist, dieses auch mit kriegerischen Mitteln zu erreichen. Unter dem Stichwort Full-spectrum dominance (Anm.: “Überlegenheit auf allen Ebenen”) sollen die Truppen aufgestellt und die Strategie im eigenen Lager verbreitet werden (3). Zu diesem Tableau gehört die Atlantik-Brücke.

Ob diese Strategie eine empfehlenswerte für Zentraleuropa darstellt, darf bezweifelt werden. Ein Krieg gegen Russland empfiehlt sich aus amerikanischer Perspektive deshalb, weil er sich aus dieser Sicht lokal begrenzen lässt, in Europa ausgetragen werden soll, somit Russland und die europäischen Staaten schwächt, sie zudem als mögliche Konkurrenz der USA schwächt und diesen gleichzeitig den Rücken freimacht, um sich auf eine Auseinandersetzung mit China fokussieren zu können.

Die kontaminierte Wertegemeinschaft

Das, was von den genannten Protagonisten mit Vehemenz für Europa und Deutschland propagiert wird, entspricht somit den Interessen der US-amerikanischen Imperial-Fraktion. Man sollte sich bei den immer wieder genannten Argumenten, dass es sich dabei um eine Wertegemeinschaft handelt, vergegenwärtigen, dass die Substanz dieser Aussage durch die permanente Anwendung doppelter Standards vollkommen kontaminiert ist. Wer für die Freiheit eines Alexei Nawalny (4) eintritt, während ein Julian Assange in einem eigenen Hochsicherheitstrakt vermodert, wer die Verurteilung syrischer Verhörmethoden feiert, während die Folterkammer Guantanamo in voller Blüte steht, sollte nicht erwarten, dass die Glaubwürdigkeit die Zeiten überdauert.

Es geht um Interessen. Das war immer so und das wird so bleiben. Und die Interessen, für die Organisationen wie die Atlantik-Brücke eintreten, sind auf die einer bestimmten Fraktion in den USA zugeschnitten und nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Europa gerichtet.

Wer sich das vergegenwärtigt, kommt der Funktion derartiger Organisationen auf die Schliche. Und es existiert der Eindruck, dass sich diese Erkenntnis immer mehr durchsetzt, mit Ausnahme des Ortes, wo über die Richtung der hiesigen Außenpolitik entschieden wird, und weder in Brüssel noch in Berlin. Die einzige Ausnahme bildet Paris. Eine europäische Friedensordnung, die tatsächlich Bestand hat, muss sich an den eigenen Interessen orientieren. Das Hoffen auf den wohlwollenden Onkel jenseits des Atlantiks ist eine Schnapsidee.


Quellen und Anmerkungen

(1) Antony John “Tony” Blinken (Jahrgang 1962) ist seit dem 26. Januar 2021 Außenminister der Vereinigten Staaten.

(2) Die Atlantik-Brücke, die als Netzwerk und privates Politikberatungsinstitut fungiert, ist eine Lobbyorganisation. Sie wurde 1952 als privater, überparteilicher und gemeinnütziger Verein gegründet. Ziel des Vereins war es, eine wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitische Brücke zwischen den USA und Deutschland zu schlagen. Zu den Mitgliedern der Atlantik-Brücke zählen heute (wenige Hundert) führende Persönlichkeiten aus Bank- und Finanzwesen, Wirtschaft, Politik, Medien und Wissenschaft. Sitz des Vereins ist Berlin.

(3) Full-spectrum dominance ist ein Einsatzkonzept der US-Streitkräfte. Es geht von der Theorie aus, dass (echte) militärische Überlegenheit nur erreicht werden kann durch eine die Teilstreitkräfte übergreifende gleichzeitige Kontrolle aller Einsatzebenen. Deshalb werden neben den klassischen drei Bereichen (Land, See, Luft) auch der Weltraum, die elektromagnetische Ebene und der Informationskrieg dazugezählt. Echte Kontrolle sei demnach im Sinne einer Full-spectrum dominance nur zu erzwingen, durch eine ausreichende Besetzung aller Ebenen mit entsprechenden Einsatzmitteln.

(4) Alexei Nawalny (Jahrgang 1976) ist ein russischer oppositioneller Politiker, Dissident, Aktivist und Dokumentarfilmer. Er war früher als Rechtsanwalt tätig. Im Juli 2013 wurde er in einem Prozess wegen Unterschlagung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Strafe wurde im Oktober 2013 zur Bewährung ausgesetzt. Beobachter bewerteten das Verfahren als politisch motiviert. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Februar 2016 setzte der Oberste Gerichtshof Russlands das Urteil aus. Es kam zur Neuaufnahme des Prozesses und Nawalny wurde im Februar 2017 erneut zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Seit November 2013 ist er Vorsitzender der Kleinpartei Russland der Zukunft, im August 2020 wurde Nawalny Opfer eines Giftanschlages.

Leseempfehlung

Valdai Discussion Club: The Future of Wars and Technological Development Challenges. Auf https://valdaiclub.com/a/highlights/the-future-of-wars-and-technological-development (abgerufen am 26.1.2022).


Ein ruhender Mensch auf einem weißen Bett. (Foto: Ahmet Ali Agir, Unsplash.com)

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Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: Denise Jans (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

4 Antworten auf „Die Atlantik-Brücke und die Full Spectrum Dominance“

Die Hetze im Fernsehen, in den Nachrichten, im Bundestag etc. ist einfach nur noch unerträglich! Letztendlich geht es den Amis und ihren europäischen ” Helferlein” um die Bodenschätze in Sibirien, in der Arktis, in der Taiga und natürlich um Macht und ihre gierigen Auswüchse… In meinen Augen sind die Argumente, die uns zur Zeit Gebetsmühlenartig von den Medien ständig eingeredet werden gegen Russland/ genau wie China genauso durchsichtig, unglaubwürdig und verlogen wie all die anderen Ausreden, die sie nutzten, um die blöden Europäer dazu zu bewegen, sich ihrem Bullying of the World spätestens nach Vietnam anzuschließen… Und ich hoffe wirklich, auch wenn die Chancen dafür nicht sonderlich groß sind, das Deutschland und Europa diesmal diesen Quatsch nicht mitmachen werden. Wir können es uns wahrlich nicht leisten, uns mit Russland oder China anzulegen, weder strategisch noch militärisch, noch haben wir einen Grund dazu, Russland beweist schon seit dem Ende des ” Kalten Krieges” daß es mit uns zusammen arbeiten will, im Gegensatz zu Amerika, die uns nur von einem Krieg in den nächsten Krieg zerren, ohne Rücksicht auf anything oder anybody, außer ihrer Gier auf Bodenschätze und Macht!!! Und dazu ist ihnen jede Lüge und jedes Mittel recht!!! Danke für den Artikel

Die Frage warum dieser oder jener Krieg geführt wird, braucht heutzutage nicht mehr gestellt werden.

Zum Beispiel sitzen einmal im Jahr in Davos, in München und auch in Berlin, die negativen Helden unserer Zeit, die Oligarchen mit ihren Marionetten. Von Jahr zu Jahr, immer mehr durchdrungen von der Melancholie des Untergangs, spielt sich auch immer hemmungsloser dieser Untergang nach dem Muster ab: Verlieren – ja, aber erst zum Schluss. Ein Motto, das in der modernen Welt bekanntlich einen Riesen Erfolg hat.
Unsere Welt wird immer deutlicher von der allgemeinen Krise des Kapitalismus geprägt. Akut äußert sich diese, dass sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Ukrainekrise, die Flüchtlingskrise, die Terrorkrise, die Syrienkrise und so weiter. Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen. Die Bestien im Haifisch-Becken werden immer bösartiger. Aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, um Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte endet immer mit Zerstörung und Krieg.
Aber nichts muss so bleiben wie es ist, wenn man das jeweils Notwendige benennt und das Mögliche tut. Aufklärung über das Warum, das Was und das Wie ist die Grundlage für zielorientiertes Verändern.

Ich stimme dem Artikel zu, aber:

“… im August 2020 wurde Nawalny Opfer eines Giftanschlages.”
Das ist nach wie vor eine Behauptung des Westens – insbesondere der deutschen Regierung – die niemand jemals mit Beweisen unter unterlegt hat. Selbst offizielle Anfragen an deutsche Stellen dahingehend wurden nicht beantwortet.

Es ist bedauerlich, dass der Autor die Nawalny-Geschichte des Westens kritikfrei übernimmt.

Vielen Dank für den Kommentar und die kritische Anmerkung. Der Hinweis zum Fall Nawalny basiert auf den Informationen, die uns verfügbar sind. Sollten Sie andere haben, lassen Sie uns dies wissen.

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