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Erneuerung durch fette Mönche oder dürre Bauern?

Wenn die Mönche fett und die Bauern dürr sind, dann hilft nicht der von den Mönchen vermittelte Gott, sondern nur ein Aufstand der Bauern.

Ist es nicht eigentümlich, von einer Wahl zu sprechen, wenn bereits vorher klar ist, wer sie gewinnt? Ist es nicht genau das Verhältnis, über das man sich seit Jahrzehnten in anderen Ländern, die sich erst gar nicht die Mühe machen, von Demokratie zu sprechen, so trefflich mokiert hat? Und fällt es nicht auf, dass in den selbst ernannten Demokratien die Wahlbeteiligung stetig absinkt, dass es immer schwieriger wird, regierungsfähige Mehrheiten zu finden, die dann letztendlich aber keine faktische Mehrheit angesichts der Wahlberechtigten widerspiegelt? Existieren nicht immer mehr Zweifel an der Legitimation derer, die sogar gewählt wurden? Und wird nicht jede Regierung, die die Verantwortung innehatte, danach gehörig abgestraft?

Ja, besonders in einer Situation, in der der Systemvergleich immer wieder bemüht wird, um die Regierungsform anderer Staaten zu kritisieren, wäre es an der Zeit – für ein System, das sich überlegen wähnt –, die Schleusen für eine gewaltige Erneuerung zu öffnen.

Wenn hier die offene Gesellschaft das favorisierte Paradigma darstellt, warum werden dann nicht die Kräfte, die in Diversität und unterschiedlicher Perspektive liegen, geradezu entfesselt, um etwas Neues, Besseres entstehen zu lassen? Stattdessen sind Tendenzen zu beobachten, die genau in die andere Richtung weisen.

  • Da werden Grundrechte mit immer weicheren Argumenten eingeschränkt,
  • da herrscht das Duo von Regel und Sanktion,
  • da wabert aus allen Lebensritzen eine akklamatorische Presse (1),
  • da wird jede Form von Kritik denunziert und mit einer faschistischen Volte gleichgesetzt,
  • da wird Widerspruch zunehmend drastisch sanktioniert
  • und da wird die Schere zwischen denen, die nichts haben als ihre Arbeitskraft und den Besitzenden immer größer.

In dieser Konstellation nicht auf Veränderung zu bestehen, gleicht einem nicht wieder gutzumachenden Defätismus (2). Dass die Initiative nicht aus den Kreisen kommen wird, die mit den gegenwärtigen Verhältnissen gut fahren, liegt auf der Hand. Das war schon immer so und ist keine revolutionäre Erkenntnis. Wenn die Mönche fett und die Bauern dürr sind, dann hilft nicht der von den Mönchen vermittelte Gott, sondern nur ein Aufstand der Bauern.

Die Erneuerung wird nicht aus den etablierten Strukturen kommen, sondern aus den Teilen der Gesellschaft, in denen der existenzielle Druck groß ist und/oder die täglich errichtete Fassade einer lupenreinen Demokratie bereits als erheblich gebröckelt betrachtet wird.

Die Selbstgefälligkeit derer, die gut im Denunzieren und schlecht im Reformieren sind, treibt übrigens die Zahl der Unzufriedenen stetig in die Höhe. Dass diese das nicht begreifen, liegt an ihrer fatalen Isolation von der realen Lebenspraxis derer, die sich Veränderung wünschen. Die an den Tag gelegte Ignoranz wird über kurz oder lang als Brandbeschleuniger wirken.

Dazu gehören Veranstaltungen wie die Wahl des Bundespräsidenten, dessen Amt gut dazu geeignet wäre, in Form einer allgemeinen, freien und gleichen Wahl durch die Bevölkerung als eine Art initiierende Frischzellenkur zu wirken. Stattdessen wird eine Zeremonie abgehalten, in der – ganz pathetisch versteht sich – viel von Demokratie schwadroniert wird, obwohl das Ergebnis bereits seit Wochen feststeht (3). Und jeder Vorschlag, der etwas anderes forderte, wurde quasi mit der Begründung, alles andere führe in den Faschismus wie mit dem Hexenhammer totgeschlagen.

Die Welt hat sich verändert, die Verhältnisse haben sich verändert, nur die Struktur, die hat sich bewährt?

In jeder Hinsicht ist diese Frage berechtigt, in Bezug auf die internationalen Verhältnisse, hinsichtlich der eigenen Strukturen in Bürokratie und dem politischen System und in Bezug auf die eigene Haltung.


Quellen und Anmerkungen

(1) Unter Akklamation wird im Allgemeinen ein zustimmender Beifall in einer Versammlung verstanden und vor allem eine Zustimmung zu einer Vorauswahl per Zuruf, Beifall oder einfachem Handzeichen. Hiermit unterscheidet sich die Akklamation von einer Abstimmung, wo mehrere Möglichkeiten erwogen werden.

(2) Defätismus steht für einen Zustand der Mutlosigkeit oder Schwarzseherei. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Überzeugung, dass keine Aussicht auf einen Sieg besteht, und eine daraus resultierende starke Neigung aufzugeben.

(3) inFranken.de (13.2.2022): Wahl des Bundespräsidenten: Wird Steinmeier heute wiedergewählt? Auf https://www.infranken.de/ueberregional/politik/wahl-des-bundespraesidenten-wird-steinmeier-heute-wiedergewaehlt-art-5388338 (abgerufen am 24.2.2022).


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Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.


Foto: Joanna Kosinska (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Erneuerung durch fette Mönche oder dürre Bauern?“

Unser menschliches Mit- und Füreinander fordert den weiteren Ausbau der Demokratie,

um die schöpferischen Potenzen aller nutzen, Engagement fördern, Gefahren erkennen, Risiken minimieren sowie Entscheidungen durch das Zusammenführen der Kompetenz der Betroffenen zu fundieren.

Je nach Charakter der Gesellschaftsverhältnisse unter denen Politik stattfindet, geschieht dies überwiegend kontrovers oder ebenso konstruktiv, herrscht mehr oder weniger Toleranz, wird Macht und Gewalt tendenziell im mehrheitlichen Konsens oder in diktatorischer Einseitigkeit ausgeübt. Politik ist die Art und Weise, wie ein Gemeinwesen geführt und gestaltet wird, sie ist eine Kulturleistung der Menschen, die in Gesellschaft zusammenleben. Mittels der Wirtschaft fügt sich der Mensch in die Bewegungsvorgänge der Wirklichkeit, konkreter in den Stoff- und Energiewechsel beziehungsweise die informationsübertragenden Kreisläufe zwischen allen Produzenten, Konsumenten und Reduzenten des Ökosystems Erde ein. Von Kulturstufe zu Kulturstufe erarbeiten sich die Menschen, aus allumfassender Wahrheit schöpfend, das Wissen und Können, um alle ihre Bedürfnisse befriedigen und ihre Wirklichkeit in schöner Vervollkommnung gestalten zu können.

Wir Menschen müssen uns lebenslang entsprechend unserer lebensnotwendigen Bedürfnissen befriedigen, wir müssen versuchen die jeweils konkreten Wahrheiten in unserer Wirklichkeit zu begreifen und wir müssen mit unserem wachsenden Bewusstsein uns vor unserem Verfall bewahren. Darum muss die Wissenschaft die Effektivität unserer menschlichen Tätigkeit erhöhen, denn Wissenschaftsfortschritt als Kulturfortschritt ist die Erweiterung des Erklärungs-, des Vorhersage- und des Gestaltungspotentials der Menschheit.

Wissenschaft wird zur Humankraft, wenn sie die Grundlagen für die Gestaltung und Erhaltung solcher Daseinsbedingungen liefert, die der Weiterexistenz und Weiterentwicklung der Menschheit dienen. Überaus viele Inhalte im Sinne gesellschafts- und naturwirklicher Notwendigkeiten gilt es zu durchdenken, zu diskutieren und zu bearbeiten, um das produktive Potential der Gesellschaft zu erschließen.

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