Einige kommen zur Besinnung, andere nicht. Seit dem Beginn dessen, was mittlerweile zunehmend als Ukraine-Krieg bezeichnet wird, sammeln sich die Lager. Die einen sind entsetzt über die russische Invasion, verurteilen diese scharf und fordern den sofortigen Rückzug der russischen Streitkräfte. Die anderen versuchen das russische Handeln mit einem jahrzehntelangen diplomatischen Versagen und einer kontinuierlichen Aufrüstung des Westens an der russischen Grenze zu erklären.
Wollte man bösartig sein – und was, bitte schön, wäre in diesen Zeiten nicht passender? –, dann könnte man der einen Seite ihre Geschichtsvergessenheit vorwerfen und der anderen, dass sie das schreckliche Jetzt ausblendet.
Beiden Seiten ist gemeinsam, dass sie das System der vorherrschenden Logik nicht durchbrechen. Die Eskalation hat Hochkonjunktur und es fällt auf, dass dort, wo man von den Kampfhandlungen am weitesten entfernt ist, das Kriegsgeschrei am lautesten zu vernehmen ist.
“It’s the economy, stupid!”
Betrachtet man das Ausmaß der Sanktionen gegen Russland, so muss man nur bis drei zählen, um sich ausrechnen zu können, wann die nächste Eskalation von russischer Seite kommt. Wer meint, durch diese Spirale das gegenüberstehende System destabilisieren zu können, ist naiv, wer diese Schimäre öffentlich verbreitet, ist ein Verbrecher. Und wer auf den Tyrannenmord (1) setzt, sollte vorher noch einmal genau in den Spiegel schauen.
So deprimierend die Ereignisse auch sind, die gegenseitige Kriegshetze hat auch dazu geführt, dass sich zunehmend mehr Menschen aus der täglich verbreiteten Lügenwelt, die ein Krieg hervorbringt, verabschieden und sich die Ereignisse aus einer Art mentalen Distanz noch einmal ansehen.
Und da entsteht ein differenziertes Bild, dass dazu führt, die Loyalität zu den Denkstrukturen der beteiligten Kriegsparteien aufzugeben und den wahren Charakter des erneuten, immer wiederholten und durch keinerlei der reklamierten Werte zu rechtfertigenden Blutbades zu erkennen.
Es geht um Macht, Einfluss, Zugriff auf Ressourcen und Geld. Und wenn man sich ansieht, wer letztendlich von diesem konkreten Fall, dem Ukraine-Krieg, profitiert, dann hat man das System erkannt.
Es sind die Rüstungsindustrien, es sind die Militärstrategen, die mal in Echtzeit die Gelegenheit haben, die eigenen Kräfte auszurechnen und die feindlichen zu beobachten. Es sind die ‘Dogs of War‘, denen das Schicksal der Bevölkerung in der Ukraine, seien es ethnische Ukrainer oder Russen, unter dem Strich egal ist. Man freut sich über gigantische Waffenverkaufszahlen, man kann die eigenen Militärbestände modernisieren und den Schrott in die Ukraine liefern und man freut sich auf frische, gut ausgebildete Arbeitskräfte, die helfen, den hiesigen Mangel zu beheben und das Gehaltsniveau weiter drücken zu können. Wie nannte es noch Bill Clinton? “It’s the economy, stupid!” (2)
Gegen den Krieg!
Es mehren sich die Kräfte, die dieses durchschauen. Und es ist an der Zeit, die wohlmeinenden, reinen Herzen dabei zu unterstützen, zu erkennen, vor welchen Karren sie sich spannen lassen und dass denen, die ihnen suggerieren, sie setzten sich für Werte ein, die ihnen heilig sind, genau diese Werte völlig egal sind.
Dutzende Kriege, zu denen das jetzt so laute politische Personal geschwiegen hat wie ein Grab, Tausende Menschenrechtsverletzungen, bei denen es desinteressiert aus dem Fenster geschaut hat und Abertausende von Täuschungen, bei denen es präsent war, zählen plötzlich nicht mehr, wenn dazu aufgerufen wird, sich zu erheben über den bösen russischen Bären im Osten?
Und allen, die reinen Glaubens sind, sei noch ein Hinweis gegeben: der Krieg in der Ukraine beunruhigt mehr, weil die Kriegsgefahr geografisch näher rückt; wir reden nicht über Afghanistan, Libyen, Syrien, den Irak oder den Jemen. Und der Mut, auf der richtigen Seite zu stehen, kostet noch nichts. Aber je näher er rückt, desto besser erkennt man das Preisschild, auf dem das eigene Leben steht. Die richtige Seite? Gegen den Krieg! Egal von welcher Seite!
Quellen und Anmerkungen
(1) Der Begriff Tyrannenmord bezeichnet die Tötung beziehungsweise gewaltsame Beseitigung eines als ungerecht empfundenen Herrschers, dem vorgeworfen wird, das Volk (beziehungsweise die Bürger eines Staates) gewaltsam zu unterdrücken. Die Befreiung von dem Tyrannen und seiner Tyrannei wird durch einen (politischen) Mord vollzogen. Ob der Tyrannenmord ein legitimes Mittel des Widerstands darstellt oder der Tyrannenvorwurf zu leicht zur Rechtfertigung politischer Gewalt missbraucht wird, ist Gegenstand kritischer Diskussionen in Ethik und Recht.
(2) “It’s the economy, stupid” beziehungsweise “The economy, stupid” (deutsch: “Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf”) ist ein Satz, der 1992 von Chester James Carville Jr., Strategieberater von Bill Clinton, im US-Präsidentschaftswahlkampf gegen den amtierenden Präsidenten George H. W. Bush ersonnen wurde. Der Satz richtete sich an die Mitarbeiter der Kampagne und war als eine von drei Botschaften gedacht, auf die sie sich konzentrieren sollten. Die anderen lauteten: “Change vs. more of the same” (deutsch: “Veränderung vs. mehr vom Gleichen”) und “Don’t forget health care.” (deutsch: “Vergesst die Gesundheitsversorgung nicht”).

Alles beginnt mit dem ersten mutigen Schritt!
Journalismus hat eine Zukunft, wenn er radikal neu gedacht wird: Redaktion und Leserschaft verschmelzen zu einem Block – der vierten Gewalt. Alles andere ist Propaganda.
Foto: Shahin Khalaji (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
4 Antworten auf „Die richtige Seite? Gegen den Krieg!“
der einzige wert, der bei kriegen und ähnlichem zählt, ist geldverdienen auf dem rücken und zulasten der direkten und indirekten opfer, kriege sind nichts als raubzüge gepaart mit menschenopfern, und das gilt ganz archaisch seit uralten tagen, und heute mitzubedenken, kriege beinhalten immer auch erhebliche menschferne umweltzerstörungen + verbrauchen völlig sinnlos ressourcen aller arten, zudem lassen sich hinter kriegen ganz hervorragend wirkliche probleme-lagen bestens verstecken (zb: und ganz plötzlich sehen unsere fossilien in politik und wirtschaft + atomkraftfreunde anlässlich ukr-krieg wieder oberwasser, und die ganze mühselige umweltdebatte wird dem kleinen mann sehr schnell wurscht, wenn man ihm den brotkorb ein wenig höher zu hängen auch nur androht)
kriege, und schon die vorbereitungen dazu wie aufrüsten, sind nichts als geld-druckmaschinen – und nur unbelehrbare idioten glauben daran, man würde kriege durch rüsten/aufrüsten verhindern können – kriege brechen auch nicht aus, sondern werden immer bereits im langen vorfeld geplant, inszeniert, orchestriert, lange bevor der erste schuß fällt.
Ich bin gegen jeden Krieg, die ständigen weltweiten Kriegsvorbereitungen der USA und gegen Kriegshetze wie in den Massenmedien jeden Tag, auch gegen die Kriege der NATO, der USA – auch wenn da niemand auf die Straße geht. Auch die da Getöteten waren Menschen.
Wettrüsten – Ich stelle mir gegenwärtig mehr denn je die Frage: Was kann ich gegen Kriegstreiberei und Wettrüsten tun?
Was sind das nur für Menschen, die meinen sie könnten uns einreden ihr menschenunwürdiges Denken und Handeln wäre alternativlos für die Lösung der gewaltigen Probleme unserer Gegenwart, die wir Menschen alle nur gemeinsam bewältigen können. Um nicht in Zorn zu geraten, lasse ich besser Leo Tolstoi zu Wort kommen: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun“, zitiert der große russische Erzähler in seinem Kalender diese Weisheit aus der Bibel und kommentiert dazu: „Das moralische Gesetz ist offensichtlich und klar, dass es sogar für diejenigen, die es nicht kennen, keine Entschuldigung für Übertretungen gibt. Es bleibt ihnen nur eins: ihren Verstand zu leugnen, und genau das tun sie.“
… und auch richtig im obigen artikel erwähnt: je mehr und intensiver sie uns jetzt mit “ihren werten”, die angeblich sakrosankt sind, bombardieren und hirnwäscheartig zupflastern, desto mehr ist klar, dass genau diese werte sie selbst bei ihrem tun und lassen nicht die bohne interessieren, sonst wären ua kriege unmöglich. das jetzige westliche werte-gesäusel gehört als camouflage zur westlichen art zu sagen: “wir begrüßen den krieg”, allein schon deshalb, weil er für westliche experten jetzt ein live-lehrstück übers russ. militär ist, dass sie natürlich jetzt mit adleraugen beobachten, und ihre schlüsse für die nächsten kriege ziehen, die heute schon geplant, irgendwo auf der welt dann abgebrannt werden.